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Ein kurzer Dialog in der S-Bahn zur Zeit

Beitragsbild: Ein kurzer Dialog in der S-Bahn zur Zeit

Wenn ältere Menschen mit der Jugend sprechen, bleiben Konflikte nicht aus. So auch in der unterhaltsamen Konversation, die ich jüngst belauschen durfte.

Heute wurde ich Zeuge eines Generationenkonflikts. Ich wartete auf die Abfahrt der S-Bahn, in der ich schmökernd hockte, als plötzlich eine lautstarke junge Dame den Wagon enterte. Im Schlepptau ihren Opa. Sie hatte blaues Haar und er trug trotz Sommerwetter einen Regenschirm bei sich. Normalerweise würde so ein Gespann kaum meine Aufmerksamkeit auf sich lenken, aber deren Konversation war zu unterhaltsam. Außerdem finde ich es immer wieder erfrischend, wenn der Nachwuchs ältere Familienmitglieder fragt: Alter, bist du behindert?

Blau vs. Beige

Damit man sich die Szenerie besser vorstellen kann: Die Enkelin musste garantiert noch nie an die Wahlurne und war hochgewachsen; ihre Haare blau gefärbt und zu einem lieblosen Dutt verknotet. Ihre Stimme war das Erste, was ich von ihr wahrnahm. Ein Klang, so  dröhnend wie eine Entkernung des Nachbarhauses und mit nicht zu überhörbaren Sch-Lauten. Ihr Opa betrat die Bühne erst, als sie bereits einen Sitzplan ausgewählt hatte. Er trug einen schlichten Anorak in der typischen ü60 Farbe Beige. Rasch stiegen sie in ein atypisches Großvater-Enkel-Gespräch ein, dem ich mich kaum entziehen konnte.

Enkelin: Schau mal, die ist voll Hardstyle. Erkennt man sofort an der Lonsdale-Jacke und den Buffalos. Sehen immer gleich aus. Erkennste sofort. (sie zeigt auf eine Person zwei Sitzreihen weiter)
Opa: Sind das diejenigen, die ich letztens bei YouTube sah? Mit der bayrischen Volksmusik? Der Clip hatte mir gut gefallen!
Enkelin: Nein, man. Das war Industrial.
Opa: Und das ist nun ..?
Enkelin: Hardstyle! Möglicherweise auch Shuffle. Hüpfen auf einer Stelle rum und bilden sich ein, das wäre Tanzen. Voll bescheuert.
Opa: Macht das der Justin auch?

Justin war der erste Name, der in diesem Gespräch fiel. Irgendwie überraschte mich dieser Name kaum. Jedoch erstaunte mich die Gelassenheit, wie der garantiert schon lange in Rente gegangene Opa den aggressiven Tonfall seiner Enkelin tolerierte. Die S-Bahn kam ins Rollen.

Justin macht gerne Cyber

Enkelin: Justin macht so einen Scheiß nicht. Der macht Cyber. Oh, schau mal. Krasse Graffitis.
Opa: Das sind die hässlichsten Graffiti, die ich je sah.
Enkelin: Der Yoshi, der Arbeitskollege von Justin, der sprayt auch.
Opa: Das sind ja nur Schriftzüge.
Enkelin: Der Totenschädel ist total gut geworden.
Opa: Nicht so schön. Was soll denn das überhaupt? Ich schreibe doch meinen Namen auch nicht überall hin. Im Gegenteil! Bei Unterschriften bin ich vorsichtig geworden.
Enkelin: Der Regenbogen gerade war auch sehr krass. Boar, guck mal. Heftige Outline.
Opa: Vandalismus.

Es muss mir entgangen sein, da ich das Gespräch mehr hören denn sehen konnte. Aber ich gehe davon aus, dass sie während der Unterhaltung permanent ihr Smartphone zur Hand hatte. Anders lässt sich der (erneut) schnelle und verwirrende Themenwechsel kaum erklären.

Enkelin: Schau mal. So tanzt Justin.
Opa: Aha. Aber man erkennt ja kaum was.
Enkelin, abgelenkt: Ich muss dir unbedingt Tokyo zeigen.
Opa: Oh, gibt es die noch?
Enkelin: Nein, von Tatanka! Boar, ich hasse Sonne.
Opa: Dabei haben die Regen angesagt. Deshalb auch der Schirm.
Enkelin: Regen? Bist du behindert? Die Sonne nervt doch jetzt schon.

Letzte Hoffnung Pommesbude

Diese Bemerkung ließ der Opa ohne Regung an sich abperlen. Möglicherweise hat es aus diesem Grund einen Regenschirm dabei, falls die Enkelin doch über die Stränge schlägt. Diese Gelassenheit imponierte mir. Wahrscheinlich wiegte er sich in der Sicherheit, dass sich die Blauhaarige eines Tages in einer ähnlichen Situation wiederfinden könnte, nur um sich von der Jugend den nächsten Steampunk-Nanotechnik-Roboto-Style erläutern zu lassen. Den Rest der Fahrt diskutierten sie noch über die Verkommenheit der hiesigen Bahnhöfe und dass eine gern frequentierte Pommesbude voraussichtlich anstehenden Bauarbeiten weichen muss. Die Enkelin kommentierte dies mit »Finde ich scheiße. Wieso machen die das? Boar, ich hass‘ die.«

Auch hier reagierte der Opa entspannt. Was will man gegen den Wandel der Zeit auch machen, erklärte ich mir sein Verhalten und stieg wenige Augenblicke später aus. Das ungleiche Gespann fuhr weiter ins Unbekannte und ich ertappte mich dabei, wie ich erst einmal Hardstyle googelte.


Letzte Bearbeitung war am 12.07.2016

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