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Früher ging ja mal gar nicht Ein Gastbeitrag von Simon Höckesfeld

Beitragsbild: Früher ging gar ja mal gar nicht

»Fucking shit!«, schimpft der Großbauer zu dem Veterinär, der soeben die Ergebnisse seines monatlichen Kontrollbesuchs niederschreibt: Wunde Euter bei 2/3 der Milchkühe. »Meine Melkanlage hat schon wieder Softwareprobleme und saugt meinen Bessies den letzten Tropfen aus den Zitzen. Thanks Obama! Früher war alles Besser! Da war noch nicht alles so kompliziert und man konnte seine Geräte noch selbst reparieren!«, gestikuliert er wutschnaubend. »Heute muss ich erstmal per App einen IT-Menschen rufen, der dann hier erst sechs Wochen später aus seinem Uber aussteigt!«

»Früher«, denkt sich der Tierarzt nur und schaut verträumt auf sein Klemmbrett. Dort sieht er einen kleinen Trecker mitten auf einem Feld, schwarzer Rauch tritt aus dem Motorraum hervor. Unter dem Trecker schiebt sich, ölverschmiert, der Bauer hervor, und schnauzt seine Frau an: »Verfluchter Schlot! Dank dieses verdammten Krieges bekomme ich die richtigen Ersatzteile nicht mehr. Es würde ja gehen, wenn nicht mein ganzes Feld mit Bombenkratern übersäht wäre, und ich mir nicht allenthalben die Achse bräche! Gute deutsche Ingenieurskunst, pah, dass ich nicht lache! Nutzlose Technik! Beim Barte des Führers! Früher war alles besser! Ständig muss ich dieses verfluchte Ding reparieren! Als noch mit Pferden gepflügt wurde, da hatten wir solche Probleme nicht!«.

»Früher«, nickt seine Frau abwesend und schaut verträumt in den Himmel. Dort liegt, auf Heu in einem kleinen, dunklen Stall, ein ausgemergeltes Pferd, den Kopf gesenkt. Vor dem Gatter stehen der Bauer und sein Stallbursche und starren hinunter auf das kranke Tier. Eine Faust landet auf dem hölzernen Gatter und eine bebende Stimme erfüllt den Stall: »Pest und Cholera!«, donnert sie, »Da ist das Mistvieh doch tatsächlich an seinem Hunger eingegangen! Und das obwohl wir jeden Monat pünktlich unseren Zehnten gezahlt haben! Wer pflügt jetzt das Feld, nachdem dieser vermaledeite Kreuzzug es mit seinen tausend heiligen Stinkestiefeln zerfurcht hat?! Gott schütze uns! Pah! Früher war alles besser! Als die Menschen noch in harter und ehrlicher Arbeit, mit ihrer eigenen Muskelkraft die Felder umgruben, und sich nicht auf diese untreuen Viecher hier verließen!«

Gedankenverloren schüttelt der Stallbursche den Kopf, denkt sich »Früher« und starrt dem Pferd in die traurigen Augen. Darin sieht er einen Mann, der fuchtelnd einen Holzstab über dem Kopf schwingt und eine Handvoll Männer in Lumpenkleidern über ein Feld verfolgt. Als diese im Unterholz verschwinden, bleibt er keuchend stehend und stützt sich mit den Händen auf den Oberschenkeln ab. Die Vogelscheuche, die das Geschehen reglos beobachtete, hört sein atemloses Fluchen: »Bei Jupiter! Seit diesem Aufrührer Spartakus hat man hier wirklich keine Ruhe mehr! Die ganze Qualitätsware ist verdorben! Faul, widerspenstig oder flüchtig! Fürs Kolosseum zu schade! Bei Caesars Lorbeeren! Früher war alles besser! Da hat die eigene Frau noch loyal und treu für ihren Herrn die Früchte gesammelt! Die hat sich nicht, wie diese dreckigen Sklaven, einfach davongemacht! Aber heutzutage haben Frauen ja Rechte! Ha! Rechte! Das soll sich mal einer vorstellen!«

Vom Wind gekitzelt, flüstert das Stroh der Vogelscheuche »Früher« und ihre Steinaugen starren in die Ferne. Irgendwo dort sitzt ein nackter, stark behaarter Mann unter einem Felsabhang und lauscht dem Knistern des Feuers vor ihm. Plötzlich tritt aus dem Gebüsch vor der Felswand eine ebenso nackte Frau hervor. »Weib!«, ruft der Mann, »du mir Essen?« Die zusammengewachsenen Augenbrauen der Frau schauen grimmig drein und sie antwortet: »Frucht hoch Baum. Nicht reiche Hand dran, ugh.« »Graaagha.« Echot die Stimme des Mannes von den Felswänden wieder, »Auf Boden jagt Säbelzahntiger. Auf Baum Weib nicht komme hoch und nicht ich komme hoch.« Früher, als wir haariger und Finger an Füße, als wir Affe, bei Zahn von Mammut, früher besser!«

»Früher«, denkt die Frau und beobachtet wie die Flammen im Dunkeln zucken. In ihnen wird ein dichter Urwald sichtbar. Unter den grünen Kronen schwingen Affen von Baum zu Baum, von Ast zu Liane, jagen wild umher, und pflücken Früchte aus den Wipfeln. Plötzlich durchbricht ein lauter Knall die Stille. Unten, am Fuß der Stämme, steht ein Mann und reckt ein langes Gewehr in die Höhe. Kreischend stieben die Affen auseinander und ergreifen die Flucht. Der Jäger jedoch hat eine ruhige Hand, und ein scharfes Auge, und eines seiner Opfer klar im Visier. Ein zweites Mal würde er garantiert nicht verfehlen, das ist ihm noch nie passiert. Er drückt ab. Nicht passiert. »Fucking shit!« tönt es durch den Dschungel. »Ladehemmung! Nicht schon wieder! Jeden verfluchten Tag helfe ich diesen verdammten, dreckigen Tieren, weil mein verfluchter Vater wollte, dass ich Tierarzt werde! Da habe ich mir endlich Urlaub, nachdem ich 2000 stinkenden Kühen den Euter abgetastet habe weil dieser dämliche Bauer seine Melkanlage nicht im Griff hat! Da will ich mich endlich mal bei einer schönen Afrikajagd an der widerwärtigen Tierwelt rächen, die mir den Alltag vermiest, und da streikt mein Gewehr! Thanks Obama! Früher war alles besser! Da wurde noch mit Pfeil und Bogen gejagt, und ein Bogen hatte sicher keine Ladehemmung!

»Früher«, denkt sich der schwarze Einheimische, der einige Meter weiter in dem Jeep sitzt, mit dem er den Tierarzt umherfährt, und starrt in die Windschutzscheibe. Dort….

Gastautor: Simon Höckesfeld
Ursprünglich aus dem Münsterland stammend liebt der Künstler und Autor Gegensätze: tagsüber verbindet er harten Stahl mit weichem Moos zu eindrucksvollen Skulpturen, nachts schleift er Texte bis zur Perfektion.

In der Rubrik »Graubereich« präsentieren Gastautoren ihre Texte, in denen ausnahmsweise nicht nur Schwarzmalerei betrieben wird.

Foto: scarecrow | jojo nicdao | CC 2.0


Letzte Bearbeitung war am 19.03.2017

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