Freizeit

Action 52: Büroklammern zum Abballern

52 Spiele (?) auf einmal. Die berüchtigte Spielsammlung Action 52 ist Trash in Reinkultur. Vielleicht ist diese Obskurität dem einen oder anderen Gamer ein Begriff, aber die dazugehörige Entstehungsgeschichte hat es auch in sich. Eine Legende! Für Zocker, denen Daikatana zu qualitativ und für Trash-Fans, denen »Troll 2« zu mainstream ist.

Will man einen gelungenen Abend mit Freunden verbringen, so hat man die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten. Entweder legt man den guten alten Scheiß von damals auf, oder schaut kultigen Trash zum Ablachen. Richtig schlechte Filme, die so unerträglich mies sind, dass sie geradezu genial wirken. Aber es müssen nicht immer Filme sein, besonders PC- und Videospiele können schlecht, frustrierend und nervig sein. So grauenvoll, dass sie wieder Kult sind.

Angeheitert gibt es kaum ein schöneres Vergnügen, als mit einem Pixelklotz in alter Atari-Konsolen-Manier über andere absurde Pixeldinger zu hüpfen, diese webzuballern oder zu umfliegen. Ich bin mit Spielen dieser Art groß geworden, doch stieß ich erst vor kurzem auf die wahnwitzige Spielesammlung namens »Action 52« und die dazugehörige Geschichte. Das Drumherum, wie dieses Projekt entstand, faszinierte mich so arg, dass ich das an dieser Stelle teilen möchte.

Action 52: Eine Vision, 52 Spiele

Vinnie Perri staunte nicht schlecht, als er seinen Sohn beim Zocken beobachtete. Die Games, die er spielte, waren illegal! Versammelt auf einer Multicart (Cartridge, Spielmodul) waren zig Spiele, ein verbotener Import aus Taiwan. Normalerweise bot der Handel nur ein Spiel pro »Modul«, wie es in meiner Jugend hieß. Perri hatte daraufhin eine Vision. Er wollte selbst Video- und Computerspiele investieren, mindestens 40 Games auf eine einzelne Cartridge packen und diese dann Nintendo anbieten. Ein Geniestreich! Schließlich zockt sein Sohn am liebsten illegale Games, die Kids in der Nachbarschaft erst recht. Also sammelte Perri 5 Millionen US-Dollar von Investoren in Europa und Saudi-Arabien, um damit die Active Enterprises Limited zu gründen. Wie man das eben in seiner Freizeit so macht.

Das Büro der Active Enterprises Limited wurde mit irgendeinem Aufnahmestudio geteilt. Perri konnte seine Begeisterung für seine Idee kaum verbergen; jeder, der sich nicht wehren konnte, erfuhr vom Traum der Multicart. Die besten Spiele, alle auf einer einzelnen Cartridge! Wow! Das hörten auch die drei Studenten Mario Gonzales, Albert Hernandez und Javier Perez, die nebenbei im Aufnahmestudio arbeiteten. Sie boten Perri ihre Dienste den kleines Geld an, und kurze Zeit war der Deal geschlossen. Gemeinsam mit einem vierten Entwickler, der bis heute als unbekannt gilt (man nennt ihn nur mysteriös »The 4th developer«) schafften sie das Unmögliche: 52 Spiele auf einer Multicart für das populäre NES. Sie nannten ihr Baby »Action 52«.

Beware of the Cheetahmen!

Die Spiele auf Action 52 zeichnen sich vor allem durch eins aus: miserable Qualität. Vielleicht lag es am Unvermögen der Ersteller, vielleicht am Zeitmangel oder an der Schwierigkeit, sich mal eben 52 komplett unterschiedliche Spiele auszudenken. Ein Großteil der Games ist furchtbar hässlich, es gibt viele Fehler im Spiel, einige starten erst gar nicht!

Besonders berüchtigt ist unter anderem der Titel »Ooze« auf Action 52, zu dem es einen eigenen Wettbewerb gab. Jeder Spieler, der alle fünf Level des Spiels erfolgreich absolvierte, sollte an einer Verlosung (Preisgelds 104.000 US-Dollar) teilnehmen. Der Gag daran: durch einen Programmierfehler kam man nur bis Level 2, lol. Dringend hervorzuheben ist auch das Spiel »The Cheetahmen«. Perri wollte mit diesem Game einen Abklatsch der seinerzeit wahnsinnigen erfolgreichen Teenage Mutant Ninja Turtles ins Spiel bringen. Geparden mit Ninja-Fähigkeiten. Die Pläne waren groß: Comics, eine Zeichentrick-Serie und Action-Figuren. Na ja, viel passierte nicht, aber hey, es gab wenigstens diesen abgefahrenen Werbespot.

Trash mit Sammlerwert

An dieser Stelle möchte ich ein paar Zahlen nennen, um den Wahnsinn der Entwicklung von Action 52 zu unterstreichen. Die vier Studenten hatten nur insgesamt drei Monate Zeit, um 52 komplett fertige Games zu erstellen. Wahrscheinlich ist der Zeitmangel auch der Grund, warum sich viele der Spiele arg ähneln. Das fertige Produkt wurde am Ende für 199 US-Dollar verkauft. Wer alt genug ist, wird sich erinnern, dass Spiele früher deutlich teurer waren, aber 199 US-Dollar war schon … hui. Natürlich war der Flop vorprogrammiert. Mit der Ablehnung durch Nintendo war das Ende besiegelt, auch wenn Vince Perri noch versuchte, das Projekt weiter zu treiben. Er hatte sogar teilweise Erfolg, denn Action 52 wurde auch für das Sega Mega Drive (Genesis) umgesetzt – aber von anderen Programmierern.

Heutzutage hat Action 52 extremen Sammlerwert. Auf eBay und Co zahlt man derzeit durchschnittlich um die 450 US-Dollar. Es wurden aber auch Exemplare für 1.500 US-Dollar gesichtet. Die Story um die Entstehung der Spiele auf Action 52 ist mittlerweile Kult, es gibt sogar einen Blog vom mysteriösen vierten Programmierer, der noch einmal die Dinge aus seiner Sicht erzählt. Ich selbst habe alle 52 Games via Emulator im Browser gespielt und kann nur sagen: was für ein genialer Scheiß. Alles ruckelt, alles flackert, man fliegt in dem einen Game mit verpixelten Ameisen und ballert auf Büroklammern und in dem anderen springt eine Jump-N-Rum Nase umher, um sich gegen Föns zu wehren. Was ein Trip! Wer sich ein Bild machen möchte, kann beim Angry Video Nerd miterleben, wie er sich durch die vielen Kandidaten der schlechtesten Spiele aller Zeiten quält.

Ich für meinen Teil widme mich gleich erneut dem auf Action 52 enthaltenden Spiel »Micro Mike«. Instant-Death nach nicht einmal einer Sekunde Spielzeit! Trashiger und unterhaltsamer kann man kaum scheitern.

Oliver Peters

Notorischer Schwarzmaler und Weltmeister im »Böse gucken«. Geboren am Niederrhein, verdorben durch den Rest der Welt. Mag Pandas, verabscheut Pendeln. Kontakt: Facebook, Twitter oder Email.

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Veröffentlicht von
Oliver Peters
Schlagwörter: Gamestrash

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