Kategorien: Freizeit

Aus dem Tagebuch eines Tannenbaums

Wer denkt, dass Bäume zu keinerlei Denkvermögen fähig seien, kann mal eben die Klappe halten. Dieser Text handelt schließlich von den aufgeschriebenen Gedanken eines Tannenbaums, der eine schlimme Torture Porn Episode à la „Hostel“ durchstehen muss.

21. Dezember

Wurde immer noch nicht adoptiert. So langsam muss sich mal jemand erbarmen. Noch drei Tage bis Heiligabend und ich habe noch keine Christbaumkugel gesehen. Musste mir wieder Sprüche von den größeren und breiteren Bäumen anhören. Die nadeln doch alle, haben keine Ahnung! Kommt schließlich nicht auf die Größe an.

22. Dezember

Bekomme Komplexe. Sind meine Nadeln nicht grün genug? Oder hat der Verkäufer eine lausige Taktik? Ich würde mich freuen, wenn mich einer mitnimmt, aber andererseits habe ich Angst vor dieser Netzmaschine. Das muss doch wehtun. Ausserdem bin ich kein Fussball. Zwei Leute hatten sich für mich interessiert, aber sie sagten, dass sie es sich noch überlegen wollen, ob sie nicht wieder den Plastikbaum vorziehen. Ich hasse den Fortschritt.

23. Dezember

Das letzte Stündlein hat geschlagen. Ich habe aufgegeben. Fast alle anderen sind schon weg. Ich werde abgeholt und dann zu Kleinholz verarbeitet. Nie werde ich Christbaumkugeln sehen. Nie mich mit Lametta schmücken. Niemals eine Krone aufbekommen. Ich verzweifle und beginne zu nadeln. Habe gestern geträumt, ich ende als Skateboard.

24. Dezember

Der kleine Mann ohne Haare interessiert sich für mich. Er meint, er hätte eh nicht soviel Platz und wäre auch zu faul zum Schmücken. Ich habe es geschafft. Eigentlich habe ich mir meinen Adoptivpapa anders vorgestellt, aber man kann ja nicht alles haben. Habe mir den Kopf beim „Einnetzen“ gestoßen und fühle mich dank der Bondage nun sehr unwohl. Der Umstand, dass ich in seinem Kleinwagen die ganze Strecke über zur Hälfte nur knapp über der Straße hing, weil ich sogar noch zu groß für den Kofferraum war, macht das alles nicht leichter.
Bei ihm angekommen, bringt er mich direkt in ein typisches Wohnzimmer. Zumindest habe ich sie mir immer so vorgestellt. Bis auf die „ästhetischen“ Schwarz-Weiß Aufnahmen halbnackter Männer. Was es wohl damit auf sich haben mag? Er schneidet mein Netzkleid mit einem Brotmesser auf. Endlich kann ich wieder atmen. Wäre die Luft hier nicht so eklig, könnte ich mich mehr darüber freuen. Er holt einen Christbaumständer, der genauso grün ist wie meine letzten Nadeln. Ob das Sympathie ist? Er benutzt das Brotmesser von eben, um mich quasi zu beschneiden. Es tut höllisch weh. Stellt euch vor, jemand hackt euch den Fuss ab.

Er zwängt mich in diesen Ständer mit meinen verunstalteten Stumpf. Irgendwie frage ich mich, warum ich so scharf darauf war, adoptiert zu werden. Totale Scheiße bisher. Und ausserdem steh ich mit dem Gesicht zu einem dieser Männerposter. Werde nun auch noch geschmückt. Ich freute mich ja auf meine erste Kugel, aber nun hängt sie an mir runter wie ein tonnenschweres Gewicht und sieht dazu auch noch dämlich aus. Dazu lauter Glitzerlametta und die Krönung ist das Schneespray, woran der kleine Wicht wohl besonders Spass hat. Die eigentliche Krönung, also der Moment, wo er mir die Krone aufsetzt, hat mich beinahe erlöst. Denn er steht ein wenig zu wackelig auf seinem Hocker, doch kann sich rechtzeitig fangen. Zu schade. Er fängt an, mir wäscheklammerartig Glühbirnen umzuwickeln. Sie zwicken einerseits und das Kabel stranguliert mich. Willkommen im SM-Dungeon. Ich bin am Ende.
Versetzen sie sich nochmal in meine Lage: Sie stehen mit zerstückelten Füssen mitten auf einem Tisch, an ihren hängen bunte Gewichte, sie tragen eine glitzernde Toga, sie haben eine Art (meinetwegen Burger-King) Krone auf, müssen permanent auf nackte Männerarsche schauen, sind von oben bis unten mit Chemie eingesprüht, haben heiße Glühbirnen an Stellen, wo noch nicht mal die Sonne scheint und werden von lauter Menschen angesungen. Mit Weihnachtsliedern. Das ist die Hölle. Und irgendwie habe ich das schlechte Gefühl, dass man mich bald wieder loswerden will.

Oliver Peters

Notorischer Schwarzmaler und Weltmeister im »Böse gucken«. Geboren am Niederrhein, verdorben durch den Rest der Welt. Mag Pandas, verabscheut Pendeln. Kontakt: Facebook, Twitter oder Email.

Kommentare anzeigen

  • Tannenbäume, die man nicht mehr braucht kann man übrigens als Elefantenfutter im Zoo abgeben. Zum Beispiel in Duisburg.

Share
Veröffentlicht von
Oliver Peters
Schlagwörter: ErfahrungenWeihnachten

Recent Posts

Fragen, die man beim Deeptalk nicht stellen sollte

Spoiler vorab. Die Frage »Und sonst so?« zählt nicht als typische Frage für Deeptalk. Doch…

11 Monaten her

Wie man den Valentinstag (als Single) überlebt

Es gibt unendliche viele Gründe, den Valentinstag zu hassen. Nicht nur für Singles ist der…

11 Monaten her

Lachen statt Schwanzvergleich

Als Mann muss ich an dieser Stelle gestehen: Ja, auch ich fühlte mich bereits unter…

11 Monaten her

Wie man das fünfte Rad am Wagen ist, ohne zu nerven

Das letzte Wochenende war mal wieder fantastisch! Kaum ein Auge zugemacht, die ganze Nacht durchgetanzt,…

12 Monaten her

Wie geht man Kollegen um, die einem zu nahe kommen?

Jeder kennt diese eine Person unter den Kollegen, die einem beim Sprechen immer viel zu…

12 Monaten her

»Ich kann keine Nachrichten mehr schauen, ohne zu verzweifeln«

Es gibt diese süße Radio-Station, dessen Name mir gerade entfallen ist. Der Name spielt keine…

12 Monaten her