Gesundheit

Kuschelhormon Oxytocin: Angst kann man nicht wegschmusen

Schmuse deine Sorgen weg. Dank des Kuschelhormons Oxytocin soll es möglich sein, mit Gekuschel glücklich zu werden. Seit wann machen volle U-Bahnen happy?

Ich versuche mir das vollen Ernstes auszumalen. Oxytocin soll also die Rettung sein. Der Alltagswahnsinn zermürbt mich und meinen Ruf als Therapie-Tourist habe ich schon lange durch. Bleibt demzufolge nur noch ein Kuschelmeeting. Ein Event, bei dem Ängste, Sorgen und alle sonstigen Probleme weggeschmust werden. Warum nicht einfach sämtliche Verschuldungen, nervige Deadlines und den Frust über laute Nachbarn bedeutungslos kuscheln?

Klingt bizarr und muss es auch sein. So sehe ich mich in einem undefinierbaren Haufen voller Jogginghosenträger mit einer kontroversen Vorstellung von Hygiene, wobei ich diese Situation auch in der Berliner U-Bahn haben kann. Dieses Kuschelhormon, das sogenannte Oxytocin, soll angeblich glücklich machen? Wer sich einmal die Mühe macht und die angepissten Gesichter in den öffentlichen Verkehrsmitteln zählt, kann über diese Kuscheltheorie nur lachen.

Kuscheln wie bei Mama

Muttersöhnchen. So möchte ich sie am liebsten schimpfen, diesen Haufen Kuschler. Man stelle sich vor: die meisten Leute mit Ängsten, Sorgen und sonstigen Problemen sollen sich auf solchen Kuschelpartys schmusend von ihren Lasten befreien. Ironisch, wie die Realität häufig ist, basiert dieses Leid doch auf der Interaktion mit anderen Personen. Angefangen mit der Mutter, die einem die Kekse verweigert. Später nervt der Vater, weil ihm die Berufswahl des Nachwuchses nicht passt – und die Frisur erst recht nicht. Die Folge sind Unsicherheiten, schwaches Selbstwertgefühl und ein Abo auf Ritalin. In der Schule wird es auch nicht besser; Mitschüler hänseln und der Mathelehrer redet irgendeine Fremdsprache. Dieses Drama findet seiner Steigerung in der Universität. In diesem Lebensabschnitt eiert man orientierungslos von einem Drogenexzess zum nächsten und paukt zwischendurch ein wenig, obwohl man keine Ahnung hat, welche Kurse man überhaupt belegt hat. Absurder wird es nur noch bei der Partnerwahl. All die gerissenen Kondome auf der Rückbank und jene Telefonnummern, an die man sich nicht mehr erinnert, bestätigen nur die Vorurteile im Hinterkopf, die bereits die Eltern ansprachen: man hat auf voller Linie versagt.

Konsequenz: Kuscheln gehen. Man holt sich dieses Gefühl von fehlender Wärme und Geborgenheit wieder zurück, indem man flauschigen Körperkontakt austauscht. Das soll zur Ausschüttung des Kuschelhormons Oxytocin dienen, fast wie damals mit Mutti. Erwachsene Menschen holen sich auf so einem Kuschelmeeting die Portion Glückseligkeit in Form von Berührungen. Auf diese Art und Weise kann man es seinen Eltern noch einmal richtig beweisen, nach dem Motto: »Ich bin zwar 32 und habe nichts erreicht, aber hey – Hans-Günther reibt seinen Bauch an mir«. Wer soll da nicht glücklich werden? Doch gibt es auch dunkle Seiten des Kuschelhormons Oxytocin.

Kuscheln gegen den Krieg

Das Kuschelhormon triggert auch unsere schlechten Erinnerungen. In einer US-Studie wurde Oxytocin auch als »Hormon der negativen Erinnerung« betitelt. Das leuchtet ein. Dieses Gekuschel muss zwangsläufig an frühere Erlebnisse erinnern, in denen man sich geborgen fühlte. Im Laufe der Jahre verändert sich aber möglicherweise das Verhältnis zu der Person oder der Situation, bei/in der man sich wohl fühlte. Man denke da nur an all die Frauen, die in jungen Jahren ihren Vater heiraten wollten und ihn am Ende verfluchten, weil er alle Schwiegersohn-Kandidaten vergraulte.

Ohnehin ist es fraglich, ob die Ausschüttung von Oxytocin so positiv ist, wie behauptet wird. Angeblich soll das Kuschelhormon ja schmerzlindernd wirken und sogar Hilfsbereitschaft wecken und Vertrauen stärken. Ein totaler Selbstwertgefühlbooster. Jedoch zweifeln immer mehr Wissenschafter an diese Aussagen und vermuten eine kleine Imagekampagne, die der Geldmaschine Wellness in die Hände spielt.

Man kann Alltagsscheiß nicht wegschmusen. Man kann auch nicht Rassismus, Korruption, Terror, den Klimawandel und die Rechnung der Autowerkstatt wegkuscheln. Bis ich die bezahlt habe, muss ich wieder U-Bahn fahren. Seltsam, irgendwie macht mich diese Vorstellung nicht glücklich.

Photo: 155/365. FREE! by Denise P.S., CC 2.0

Oliver Peters

Notorischer Schwarzmaler und Weltmeister im »Böse gucken«. Geboren am Niederrhein, verdorben durch den Rest der Welt. Mag Pandas, verabscheut Pendeln. Kontakt: Facebook, Twitter oder Email.

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Veröffentlicht von
Oliver Peters
Schlagwörter: GlückKörpersprache

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