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Wenn der Präsident von Klugscheißistan anruft

Rezension: »Papa ruft an« - Bastian Bielendorfer

Nach »Mama ruft an« legt Bastian Bielendorfer nun nach. »Papa ruft an« ist die Fortsetzung der lustigsten Standleitung seit langem. Eine Rezension samt Interview mit dem Autor.

Vorhin rief meine Mutter an. »Wollte nur mal schauen, ob du noch lebst, Sohnemann!« Normalerweise beginnt das Gespräch mit Vorwürfen dieser Art. Erst wenn ich gefühlte achtmal mein Bedauern versichert habe, kommt der wahre Grund des Anrufs zum Vorschein. Sie drückte irgendeinen Knopf, doch kann sich nicht mehr erinnern, welcher es gewesen sein könnte. Jedenfalls lässt sich die Mikrowelle nicht mehr öffnen, die Fernsehanzeige stellt japanische Schriftzeichen dar und der Hund läuft nur noch rückwärts. Der ganze normale Wahnsinn. Kommt irgendwie bekannt vor, oder?

Bastian Bielendorfer kennt das Dilemma nur zu Genüge. Der in Gelsenkirchen geborene Autor, der als »Lehrerkind« Bekanntheit erlangte, beschrieb in seinem Werk »Mutter ruft an« den alltäglichen Telefonterror zwischen Mama und Sohn. Nun legt er aktuell mit »Papa ruft an – Standleitung zum Lehrerkind« nach. Normalerweise würde ich gelangweilt abwinken, meist finde ich deutsche Humoristen so unterhaltsam wie Fahrstuhlmusik. Aber mich reizten beim Lesen jene Déjà-vu Momente, die an meine eigene Standleitung erinnerten.

Papa ruft zurück

Wenn Papa anruft, sieht man Chewbacca auf dem Handydisplay und hört ein ausdruckstarkes Schmatzen. So werden in Bielendorfers »Papa ruft an« zahlreiche Unterhaltungen zwischen Vater und Sohn eingeleitet. Das Bild wurde heimlich von seiner Frau Nadja aufs Handy gemogelt und sein Vater verschwendet ungern Ressourcen für ein schnödes »Hallo«. Es dauert nicht lange, bis Papa seinem Sohn den Grund des Anrufes nennt. Wahrscheinlich ist irgendwas ordentlich in die Hose gegangen. Das kann zum Beispiel eine überschäumende Waschmaschine sein, die aus der Not heraus mit Shampoo gefüllt wurde oder ein USB-Stick, der zum Aufladen in einer Steckdose landete. Sollte mal nicht der Weltfrieden auf der Kippe stehen, werden alte Fotoalben durchblättert, um den Sohn vor seiner Frau bodenlos zu blamieren. Solchen Sadismus lobe ich mir!

Es ist eine Wonne, die aberwitzigen Dialoge zwischen den Familienmitgliedern zu verfolgen und ab und an zuzugeben: »Uups, das kenne ich doch«. Glücklicherweise bekommt der Autor selbst den Großteil ab, sodass nicht nur seine Familie etwas zu lachen hat, sondern auch die Leser. Bielendorfer hat mit »Papa ruft an« möglicherweise die ideale – wenn auch leicht verspätete – Sommerlektüre abgeliefert. Auch für Schwarzmaler wie mich eignet sich das Werk ideal, da sogar einige Vorurteile, die hier im Blog durchgekaut wurden, durch eine einzige Person repräsentiert werden: Ludger.

Gehäkelter Horror

Auf dem Titel des Buches ist der Hinweis »Achtung! Kann Spuren von Ludger enthalten« zu lesen. Diese Warnung sollte man ernst nehmen. In mehreren kurzen Texten werden Bastian Bielendorfers Erfahrungen mit dem gehäkelten Horrorneffen Ludger geschildert. Mit seiner altklugen und ironiefreien Art ist der Neffe der heimliche Star von »Papa ruft an«. Das muss an Sprüchen wie »Sprechende Autos sind etwas für Männer mit gestörtem Selbstbild« liegen, die er vom Stapel lässt, wenn Bastian zum Kino bzw. Cars 2 einlädt. Oder wenn er seinen Onkel bei einer Veranstaltung an der Waldorfschule charmant wie folgt vorstellt: »Sein Beruf ist, dass Leute ihn auslachen«.

Solche Pauschalisierungen gefallen mir. »Papa ruft an« lebt von seinen Wortwitz und Dialogen, die wie One-Liner daherkommen und ein Weglegen unsinnig erscheinen lassen. Der Titel ist absolut empfehlenswert für alle Freunde des guten Humors der Marke Tommy Jaud oder Mark-Uwe Kling. Oder als Geschenk für den nächsten Vatertag.

Bewertung :

(4,5 / 5)

Interview mit Bastian Bielendorfer

Bastian Bielendorfer stellte sich im Zuge der Veröffentlichung von »Papa ruft an« freundlicherweise für ein paar Fragen zur Verfügung. In den folgenden Zeilen wird geklärt, ob es für Ludger eine reale Vorlage gibt und was man unter Fernschimmeln verstehen könnte.

Telefoniert ihr tatsächlich so häufig? Und wenn es mit der Erreichbarkeit nicht so hinhaut, schreibt ihr in eine eigene WhatsApp-Gruppe?

Wir telefonieren täglich. Aber nicht immer geben die Telefonate Anlass sie aufzuschreiben, sonst wäre mein Buch wahrscheinlich dick wie die »Herr der Ringe«-Trilogie. WhatsApp fällt im Falle meines Vaters schon mal raus, für ihn ist die Bedienung von Smartphones purer Stress, der ist schon froh, wenn er mit dem Ding nicht versehentlich eine Kernschmelze hervorruft.

Nun ist »Papa ruft an« der Nachfolger von Deinem dritten veröffentlichten Werk »Mama ruft an«. Entsteht mittlerweile ein leichter Konkurrenzkampf zwischen Deinen Eltern, wer die absurderen Vorlagen für die Texte liefert?

Eher nicht. Jedenfalls nicht bewusst. Beide halten sich da letztlich die Waage. Das neue Buch basiert eigentlich auf dem Fakt, dass meine Mutter länger in Kur und mein Vater eigentlich als vollumfänglich abhängiger Ehemann, der zwar den Faust komplett rezitieren, aber noch nicht mal ein Ei braten kann, auf sich allein gestellt ist. Und um nicht komplett zu verwahrlosen, ruft er mich und meine Frau an und produziert eine Katastrophe nach der anderen. Eins meiner Lieblingskapitel ist das, wo er statt Waschmittel eine komplette Flasche Shampoo in die Maschine füllt … und damit das halbe Haus in eine Schaumparty verwandelt hat. Das ist sehr ähnlich so passiert.

In den Dialogen zwischen Deinem Vater und Dir kommt es häufig zu Verbesserungsvorschlägen bzw. Korrekturen. Macht das Dein Vater auch bei Deinen Texten?

Ja, tut er. Das erste Buch »Lehrerkind« endet sogar mit originalen Korrekturen meines Vaters, das ist seine echte Schrift. Das neue Buch habe ich meinen Eltern deshalb erst nach dem Erscheinen geschenkt und man glaubt es kaum, nach 5 Minuten hatte er den ersten Grammatikfehler gefunden.

Ludger, das gehäkelte Waldorfschüler-Kind, ist der heimliche Star des neuen Buches. Gibt es für diesen Vorzeige-Eurythmieschuhe-Träger eine Vorlage aus dem wahren Leben?

Ja, gibt es. Aber mehr kann ich nicht sagen, ohne verklagt zu werden. Haha.

Dein Vater pflegt einen einzigartigen Gesprächsstil am Telefon, wie ein einleitendes Schmatzen. Meinst Du, er wird das spätestens nach dem Buch ändern?

Nein, warum sollte er? Mein Vater ist ein lustiger Mittsechziger, der gar keine Lust mehr hat, sich zu ändern, und das muss er auch nicht. Er ist mit seinen ganzen kuriosen Verhaltensweisen und seiner Verweigerung von Computern – er hackt wirklich noch Briefe in seine alte Schreibmaschine – glücklich. Und ich mag ihn so, wie er ist. Außerdem würde mir dann ja auch der Nachschub an Geschichten ausgehen.

Es finden sich wunderbare Berichte über eure gemeinsamen Familienausflüge in dem Buch wieder. Würdest Du heute noch mit Deinen Eltern verreisen? Selbst in Zeiten von Wellness-Oasen und Online-Buchung?

Das wohl eher nicht. Als Lehrerkind ist jeder Urlaub Bildungsreise, mit meinem Vater kann man kaum auf einen Aldi-Parkplatz fahren, ohne dass er einen 20-minütigen Monolog über die Geschichte des Unternehmens hält. Außerdem ist mein Vater auch nicht für Wellness-Oasen gemacht, er ist eher der Typ, der die geplatzte Luftmatratze unter die Schlafsäcke schiebt, damit man nicht in der Pfütze schlafen muss.

Mich begeisterten Deine Dialoge und vor allem Wortschöpfungen wie »Mittelstandsfaust«. Kennst Du die Kandidaten für das Unwort des Jahres – oder noch besser – das Jugendwort des Jahres 2017? Inspirieren Dich solche Wörter wie »Fernschimmeln« oder »Tindergarten«?

Ehrlich gesagt kannte ich beide nicht. Was ist denn Fernschimmeln? So lange vorm Fernseher hängen, bis man verrottet? Tindergarten finde ich dagegen echt schön, ich bin ja schon so lange vergeben, dass ich es nicht mehr erlebt habe, dass man potentielle Partner wie einen Fettfleck wegwischen kann. Ich freue mich immer, wenn Leute Spaß an meinen Wortschöpfungen haben, viele überlesen sie wahrscheinlich einfach.

Dein Debüt Lehrerkind war 64 Wochen konstant in der SPIEGEL Bestsellerliste vertreten. Haben sich daraufhin viele Lehrer – vielleicht sogar ehemalige Lehrer von Dir – bei Dir bzw. Deinem Verlag gemeldet?

Einige, ja. Manche haben sich wiedererkannt und die meisten waren eher geschmeichelt als beleidigt. Ich habe sogar zwei Lesungen in meiner ehemaligen Schule gemacht, bei denen viele meiner ehemaligen Lehrer anwesend waren. Das war selbst für mich schräg. Von meinem ehemaligen Sadisten in Ballonseide, meinem Sportlehrer, habe ich jedoch nie was gehört. Ich habe bis heute ein bisschen Angst, dass er mir mal mit einer Reckstange in der Hand auflauert.

Im Zwischengeplänkel »Er sagt, sie sagt« zwischen Deiner Frau und Dir kommt es zu Beziehungsgesprächen, die man häufig aus dem alltäglichen Rosenkrieg kennt. Provozierst Du sie manchmal, damit sie Dir neuen Schreibstoff liefert?

Nein, das muss ich nicht. Meine Frau ist ein nicht enden wollender Quell an schrägen Sprüchen, erst gestern habe ich ihr einen Kakao gebracht und ihn fröhlich mit einem »Hier meine Prinzessin« hingestellt. Von ihr kam ernsthaft nur »Früher war ich immer deine Königin…«
In der Hotelsprache nennt man so was wohl downgrade.

Als Gamer von der alten Schule muss ich nachhaken bzw. mir von Dir eine Bestätigung einholen: Ballerspiele wie »Call of Duty« und Geisteswissenschaften wie ein Psychologie-Studium schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich, oder?

Überhaupt nicht. Ich bin schon immer leidenschaftlicher Spieler gewesen, und ich bin der festen Überzeugung, dass Games irgendwann als völlig gleichwertiges Medium neben Film und Musik wahrgenommen werden. Man muss nicht blöd sein, um an Spielen wie COD oder Battlefield Spaß zu haben, die Begriffe »Baller-« oder »Killerspiele« sind ja auch von Menschen wie Beckstein geprägt worden, die in ihrem ganzen Leben kein Videospiel gespielt haben, und haben mit der eigentlichen Erfahrung, die an diesen Spielen Spaß macht – die Action, das Taktieren und die Zusammenarbeit – nichts zu tun.

Vielen Dank für das Interview!

Bastian Bielendorfer:
Papa ruft an – Standleitung zum Lehrerkind.

Piper Verlag GmbH, München 2017,
272 Seiten, 10,00 Euro,
E-Book 9,99 Euro.

Oliver Peters

Notorischer Schwarzmaler und Weltmeister im »Böse gucken«. Geboren am Niederrhein, verdorben durch den Rest der Welt. Mag Pandas, verabscheut Pendeln. Kontakt: Facebook, Twitter oder Email.

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Veröffentlicht von
Oliver Peters
Schlagwörter: LiteraturRezension

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