Senf

Bitte liebt Deutschland

Was wäre, wenn Schlingensief die Gelegenheit gehabt hätte, ein politisches Statement bezüglich der AfD abzugeben? Nach dem Motto: »Bitte liebt Deutschland!«

Schlingensief, Du fehlst. Was würdest Du anhand der politischen Ereignisse nur für ein Feuerwerk veranstalten. Seien es die AfD-Wahlerfolge oder die Entschuldigung der Kanzlerin, weil Satire nicht jedermanns Sache ist. Du würdest den Status Quo der Kuschelrepublik, die um Gottes Willens bloß nie anecken möchte, gewiss mit einer zündenden Provokation den Spiegel vorhalten, nur um zwei Wochen lang von Kritikern und Medien so lange durchgekaut zu werden, bis es einem hoch kommt. Du würdest schreiend durch die täglichen Talkrunden der Öffentlich-rechtlichen wüten, damit mal wieder Leben in der Bude herrscht.

Hochsaison der Wutbürger

Es geschah im Rahmen der Wiener Festwochen im Jahr 2000. Da platzierte Christoph Schlingensief direkt neben der Wiener Oper mehrere Container, in dem eine recht eigenwillige Variante des seinerzeit populären Big Brother Sendeformats stattfand. Die Österreicher hatten für eine Woche die Möglichkeit, die in den Containern wohnhaften Asylbewerber mittels Voting nicht nur rauszuwählen, sondern auch direkt abzuschieben. Der Skandal war perfekt. Die Presse überschlug sich mit Berichterstattungen und in zahlreichen Diskussionen kamen positive Stimmen wie auch Kritiker zu Wort. Hintergrund waren der damalige Einzug der FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) als zweitstärkste Partei in den Nationalrat, die mit fremdenfeindlicher Propaganda traurige Berühmtheit erlangte. Unter dem Motto »Bitte liebt Österreich!« wurde das Projekt von Schlingensief weltweit ins Netz übertragen.

2016. Die Alternative für Deutschland (AfD) erreichte bei den Landtagswahlen in Rheinland Pfalz 12,6 Prozent, in Baden Würtemberg 15,1 Prozent und in Sachsen-Anhalt 24,2 Prozent. Was würde Christoph Schlingensief wohl veranstalten, wenn er noch unter uns weilen würde?

Piep, piep, piep – habt uns lieb

Warum kein Revival? Frei nach dem Motto »Bitte liebt Deutschland« könnte statt dem mittlerweile abgenutzten Big Brother Format eher das Dschungelcamp oder ein Casting als Vorlage dienen. Man stelle sich vor, dass Flüchtlinge (Asylbewerber waren gestern, heute geht es in den Medien nur noch um Flüchtlinge) vor einer dreiköpfigen Jury um Kopf und Kragen singen, damit sie nicht abgewiesen werden. Oder wir lassen das Volk entscheiden, indem ein Haufen Flüchtlinge in den Kölner Studio-Dschungel abgeladen werden, nur um sie nach und nach per Telefon-Voting wieder loszuwerden. Ich wäre ich gespannt auf die dementsprechenden Grimme-Preis verdächtigen Hartwich-Anmoderationen.

Was wäre das für ein Über-Shitstorm, der über Deutschland hereinbrechen würde. Schlimmer als der Song von Hallervorden samt dem Gedicht von Böhmermann würde Schlingensief in der Luft zerfetzt werden. Schließlich möchte Deutschland die Rolle des Everybody’s Darling nicht aufgeben, nur weil so ein paar »Künstler« für Tumulte sorgen. Dabei würde diese unbequeme Aussage vielleicht genau den Nerv treffen, den die Medien gekonnt umspielen und somit wieder Dialoge ermöglichen, ehe uns Wahlergebnisse aufscheuchen. Die Politik und die Medien sollten eh mal an ihren Soft-Skills arbeiten.

Oliver Peters

Notorischer Schwarzmaler und Weltmeister im »Böse gucken«. Geboren am Niederrhein, verdorben durch den Rest der Welt. Mag Pandas, verabscheut Pendeln. Kontakt: Facebook, Twitter oder Email.

Share
Veröffentlicht von
Oliver Peters
Schlagwörter: AfDMedien

Recent Posts

Fragen, die man beim Deeptalk nicht stellen sollte

Spoiler vorab. Die Frage »Und sonst so?« zählt nicht als typische Frage für Deeptalk. Doch…

1 Jahr her

Wie man den Valentinstag (als Single) überlebt

Es gibt unendliche viele Gründe, den Valentinstag zu hassen. Nicht nur für Singles ist der…

1 Jahr her

Lachen statt Schwanzvergleich

Als Mann muss ich an dieser Stelle gestehen: Ja, auch ich fühlte mich bereits unter…

1 Jahr her

Wie man das fünfte Rad am Wagen ist, ohne zu nerven

Das letzte Wochenende war mal wieder fantastisch! Kaum ein Auge zugemacht, die ganze Nacht durchgetanzt,…

1 Jahr her

Wie geht man Kollegen um, die einem zu nahe kommen?

Jeder kennt diese eine Person unter den Kollegen, die einem beim Sprechen immer viel zu…

1 Jahr her

»Ich kann keine Nachrichten mehr schauen, ohne zu verzweifeln«

Es gibt diese süße Radio-Station, dessen Name mir gerade entfallen ist. Der Name spielt keine…

1 Jahr her