Senf

Das Lächeln des Rentieres

Eine Weihnachtsgeschichte in 24 Teilen. Bis zum Heiligen Abend lud ich an anderer Stelle täglich einen Text hoch, der wie die Schokolade aus dem Adventskalender zu begreifen ist. Ausnahmsweise glücklich machend und kalorienarm.

Letztes Jahr schrieb ich eine 24-teilige Weihnachtsgeschichte, die ich an dieser Stelle noch einmal teilen möchte. Sicherlich wirkt sie etwas holprig, wenn man sie am Stück liest. Die einzelnen Textblöcke sollten sich Tag für Tag ergänzen, um am Ende ein vollständiges Bild zu zeigen. Nun überlasse ich es Dir, wie Du die Story lesen möchtest.
Frohe Weihnachten.

1.

23.12.2013
Norman kontrolliert seinen Bart. Dieser sitzt perfekt, genau wie die rot beplüschte Mütze. Die letzten Tage waren lang, und Norman kann das nicht verstecken. Er arbeitet als Weihnachtsmanndarsteller in einem Einkaufszentrum, welches von der Größe nahezu an Liechtenstein erinnert. Norman muss stets den gutmütigen und herzlichen Charakter mimen, den man aus Film, Fernsehen und Coca-Cola-Werbung kennt. Ein undankbarer Job; vor allem, wenn man sich schlecht bezahlt und vom Winterblues geplättet, Beleidigungen und Verhöhnungen aller Art gefallen lassen muss. Zum Beispiel Sprüche, die einen „dicken Sack“ und eine „harte Rute“ beinhalten, und die man dann höchstens mit einem „Warst wohl nicht artig, hm?“ abstrafen kann. Nein, Weihnachtsmann sein ist nicht leicht.
Oft versteckt er sich in einer der Herrentoiletten und schaut minutenlang regungslos in den Spiegel über dem Waschbecken. Seine Augenringe gefallen ihm gar nicht und irgendein Scherzbold hat einen schwarzen Balken mittig drauf geschmiert. Norman verliert sich in wirren Gedanken. Weihnachtshitler. Wollt ihr die totale Weihnacht. Norman bremst sich selbst und atmet tief durch.
Das Einkaufszentrum ist bunt, grell, laut. Norman ist ohne Maske genau das Gegenteil von bunt, grell und laut. Er ist unauffällig und ein ruhiger Typ. In seiner Aufmachung ist das jedoch nahezu unmöglich, nicht aufzufallen. Am liebsten würde er sich tot stellen, doch alle paar Sekunden huschen größere oder kleinere Familien an ihm vorbei, die mit einem toten Weihnachtsmann nur recht wenig anfangen könnten. Außerdem würde das der Geschäftsführung nicht gefallen. Das wäre schlecht für das Geschäft.
Norman schaut auf die Uhr. Er überlegt, wieder die Toilette aufzusuchen. Doch er hat diese erst vor 10 Minuten verlassen. Es würde auffallen und er könnte für inkontinent gehalten werden. Oder für drogensüchtig. Norman wird durch den Dress manchmal leicht paranoid und spürt die angeblichen Blicke sogar, wenn er nach dem Job den Bart und die Klamotten ablegt und nach Hause geht. Doch das ist noch lange hin. Jedoch freut er sich auf morgen. Morgen ist Heilig Abend und sein letzter Arbeitstag. Nach den Feiertagen will zum Glück keiner mehr was vom Weihnachtsmann wissen, für mindestens ein Jahr.

Norman hat die Auszeit auch bitter nötig. Manchmal gehen ihm Bilder durch den Kopf, die Sorge bereiten. Vielleicht sind es die langen Tage. Vielleicht die vielen Menschen, die etwas von ihm erwarten. Vielleicht die Jahreszeit. Vielleicht aber auch nur falscher Alarm. Doch manche Gewaltphantasie, die Norman schnell wieder verscheucht, sollte wohl besser niemand erfahren. Sie wirken wie aus einem schlechten Horrorfilm, mit lauter Blut und einem axtschwingenden Weihnachtsmann, der Schaufenster einschlägt und Rentiere köpft.
Eine Familie nähert sich. Ein kleiner Junge zeigt auf Norman und brabbelt etwas unverständliches.
Norman wünscht sich in diesem Moment eine Axt.

2.

23.12.2013 | 15:00 Uhr

Blumen, Schokolade, Parfüm.
Nein, Daniel ist ganz und gar nicht zufrieden mit diesen Vorschlägen. Blumen, Schokolade und Parfüm. Das soll alles sein? Er versucht es ein weiteres Mal und füttert Google mit „Ausgefallene Geschenke für Schwiegermutter“. In einem Forum beschreibt irgendwer einen wohltuenden Tee für das angespannte Nervengerüst. Daniel stellt sich vor, wie die Mutter seiner Freundin den Tee auspackt und sagt „Gute Idee, Du gehst mir eh auf die Nerven.“
Daniel ist 22 Jahre alt, Brillenträger und studiert. Er liebt Onlinerollenspiele, Bars und lacht viel über diverse US-Sitcoms. Außerdem liebt er Marie.
Die beiden lernten sich auf einer WG-Motto-Party kennen, wo Verkleidungen Pflicht waren. Sie ging als Cracknutte und er als Dionysos. Sie waren direkt Feuer und Flamme; tauschten zuerst Nummern und später Körpersäfte aus. Das ist ganze sieben Monate her. Nun steht das erste gemeinsame Weihnachtsfest an und Daniel wurde von Maries Eltern eingeladen. Ein Alptraum für Daniel, denn er hat keine Ahnung, was er seinen Schwiegereltern in spe schenken soll. Vor allem nicht Maries Mutter.

Daniel erinnert sich noch sehr gut an die erste Begegnung mit Ruth, Maries Mutter. Nach einer knappen Begrüßung beäugte sie ihn gefühlte 10 Minuten lang und fragte kritisch: „Bist Du ein Drogendealer oder Schlimmeres?“ In diesem Moment war er so perplex, dass er nur Unsinn vor sich hin stammelte („Nein … eh … ich bin nur … ein Magier bei World of Warcraft..“), was ihn von dem Moment an unter Generalverdacht stellte.
Er ist sich aber sicher, dass er seinen Ruf mit dem passenden Geschenk retten kann.
Aber was? Blumen verwelken, Schokolade macht dick, Parfüm stinkt.

Daniel holt sich Rat bei seiner Freundin Marie und wählt ihre Nummer.
„Ich verzweifel gerade ein wenig. Womit kann ich Deine Mutter begeistern?“
„Du könntest ihr was basteln.“
„Machst Du Witze? Ich habe zuletzt was im Kindergarten gebastelt, dabei hätte ich mir fast den Arm gebrochen.“
„Das wäre aber was von Dir. Es würde zeigen, dass Du Dir Gedanken gemacht hast.“
„Gedanken machen. Wozu gibt es denn Google?“
„Also ich bastelte ihr letztes Jahr eine Fotocollage und sie hatte sich sehr drüber gefreut.“
„Ich könnte ihr eine Collage meiner Kneipenexzesse zusammenstellen. Das würde ihr Vorurteil unterstreichen…“
„Du spinnst. Ich sage ja nur, dass etwas Persönliches vielleicht besser ankommt.“
„Hmm. Etwas Persönliches.“
Daniel legt auf und beginnt, eine Liste zu erstellen. Er schreibt übertrieben fett „Opfergaben für Ruth“ drüber und startet sein Brainstorming. Aus einem Film weiß er, dass der Weg in das Herz der Freundin über das Ohr der Mutter führt. Versagen ist demnach tabu!

Marie bekommt derweil einen weiteren Anruf, dieses Mal jedoch von ihrer Mutter.
„Sag mal, Schatz? Hast Du eine Idee, was ich Daniel schenken könnte?“

3.

23.12.2013 | 16.00 Uhr

Wenn Lena sich ärgert, sollte man schnell den Raum verlassen, oder besser noch die Stadt bzw. das Land. Man erkennt ihre Rage am besten am knallroten Gesicht, einen irren Blick und an der Unterlippe, auf die sie rhythmisch beißt. All das tut sie in diesem Moment, als sie haufenweise Last-Minute-Angebote diverser Fluglinien im Netz abklappert. Lena hämmert ihren Zeigefinger vor Wut so stark auf die Maustaste, dass fast ein Echo entsteht. Sie ist richtig richtig sauer.

Der letzte Tag vor Heiligabend und sie ist immer noch hier. Dieser Gedanke schwirrt ihr stets durch den Tomatenkopf. Normalerweise flüchtet sie jedes Jahr vor Weihnachten und allem, was dazu gehört. Manchmal betrinkt sie sich und hofft, dass sie nach dem „Koma“ aufwacht und das Gröbste vorbei ist. Manchmal verreist sie aber auch; am besten dorthin, wo Schnee ein Fremdwort ist und niemand weiß, dass man Dominosteine auch essen kann.
Dieses Jahr ging jedoch einiges schief. Die Finanzen stimmten trotz Auflösung eines Bausparvertrags nicht, und es sah so aus, als ob Lena sich doch dem Alkohol hingeben müsste. Außerdem wurde es immer schwieriger ein Reiseziel zu finden, welches nun rein gar nichts mit Weihnachten zu schaffen hat. Der Coca-Cola-Truck ist einfach überall. Lena schimpft in solchen Momenten gerne über die, Zitat, „scheiß Globalisierung.“

„Es müsste eine Art Verein geben“, phantasiert sie. „Einen Club, eine Brüder- und Schwesternschaft.“ Sie muss kurz an die anonymen Alkoholiker denken, verwirft den Gedanken aber. „Eine Art „Anti-Weihnachtssitzung“, wo all jene teilnehmen, die keinen Bock auf den Kram haben. Die sich dort einfinden und herrlich über den Konsumwahn und über die Spießigkeit schlechthin, Kartoffelsalat mit Würstchen, ablästern wollen“, denkt sie weiter. „Ja, sowas müsste es geben! Gemeinsam leidet man einfach effektiver.“

Lena schließt die Last-Minute-Angebote und gründet eine Facebook-Gruppe mit dem Namen „Unheiliger Abend“ und schreibt eine kurze Beschreibung dazu:

„Habt ihr Weihnachten satt? Findet ihr Lebkuchen doof? Kriegt ihr bei Jingle Bells Kopfschmerzen? Dann kommt zu uns – den Unheiligen Abend. DIE Anti-Weihnachtssitzung!
PS: Das ist keine unchristliche Veranstaltung, Satanisten u.ä. bitte draußen bleiben.“

Sie gibt einen Treffpunkt an, eine recht angesagte Bar, die gar nicht weit von ihr entfernt ist und trotz der Feiertage geöffnet hat. Zufrieden lehnt sich Lena zurück und wartet auf die ersten Zusagen. Der Krampf in ihrem Zeigefinger ist schon fast verschwunden.

4.

23.12.2013 | 17 Uhr.
„Wir brauchen erst einmal Geschenke. Dann Schokolade! Ganz viel Schokolade!“
„Nein! Keine Geschenke, keine Schokolade.“
„Wir brauchen auch einen Tannenbaum. Mit ganz vielen Kugeln und einem Stern oben drauf.“
„Ich werde hier bestimmt keinen Baum hinstellen. Der nadelt alles voll und ich darf täglich staubsaugen.“
„Dann dieses lange Glitterschlange da. Ich komme nicht auf den Namen ..“
„Lametta.“
„Ja, genau! Das brauchen wir auch!“
„Keine Geschenke, keine Schokolade, kein Tannenbaum, keine Kugeln, kein Stern und vor allem kein Lametta!“
„Das klingt nach einem ziemlich blöden Weihnachten.“
„Tja. Aber so wird dein Weihnachten aber dieses Jahr aussehen. Ich mache den Firlefanz nicht mit, nur weil deine Mutter unbedingt über Weihnachten ins Krankenhaus musste. Ist doch scheiße, so ein Timing!“
Malte guckt Peter lange an und fragt sich, ob es sich um einen misslungenen Scherz handelt. Malte ist 8 Jahre alt und für die nächsten paar Tage Gast bei Peter, seinem weihnachtshassenden Onkel. Eigentlich verabscheut Peter noch viel mehr als Weihnachten und alles, was dazugehört. Er hasst Lärm, Menschenansammlungen und eigentlich generell alles, was andere mögen. Sein persönlicher Albtraum wäre demnach ein Justin Bieber Konzert.
Maltes Mutter, Petra, stürzte gestern beim Dekorieren eine kleine Trittleiter hinab; sie landete so unglücklich, dass sie mit einem komplizierten Bruch über die Feiertage im Krankenhaus bleiben muss. Petra bat ihren Bruder Peter (Ihre Eltern fanden das lustig), Malte über Weihnachten zu sich zu holen, um mit ihm zu feiern. Maltes Vater war schon lange ausgeflogen und schickt allerhöchstens mal eine Karte, auf der der Empfänger meist falsch geschrieben wird: Mahlte.
Peter wehrte sich natürlich vehement, da er einfach vergessen hat, wie man Weihnachten überhaupt feiert. Zumal er mit der Präsenz des cleveren Jungen massiv überfordert ist.

„Meine Mama sagte mir bereits, dass du manchmal rumzickst.“
„Deine Mama ist ja so schlau! Deshalb fällt sie auch beim Schmücken von der Leiter.“
„Wenigstens hat sie geschmückt. Du hast ja nicht mal eine Kerze.“
„Wozu Kerzen? Ich zahle meine Stromrechnung.“
„Peter, ich bin vielleicht erst acht Jahre alt, aber ich bin nicht doof.“
„Ach ja?“
„Ja. Ich weiß zum Beispiel, dass es den Weihnachtsmann gar nicht gibt.“
„Na und?“
„Das bedeutet, dass DU mir die Geschenke bringen musst. Sonst sage ich das meiner Mama.“
„Aber …“
Peter unterbricht sich selbst. Denn wenn er etwas noch mehr hasst als Weihnachten, dann ist es ein Streit mit seiner Schwester.

5.

23.12.2013 | 18:00 Uhr
Liane möchte von allen nur Lilly genannt werden. Lilly klingt ihrer Meinung nach lockerer, unbeschwerter und nach einer Frau, mit der man Pferde stehlen kann. Ihre Mutter betonte den Namen ihrer Tochter oft übertrieben, LI-AH-NE, besonders dann, wenn es Ärger gab. Liane scheint wie eine Persönlichkeit aus einem anderen, einem früheren, Leben zu sein, welche begraben wurde.

Lilly schmückt den prächtigen Weihnachtsbaum, den sie alleine vom Baumarkt nach Hause geschleppt hat. Ihr Ehemann, Thorsten, amüsierte sich über das Bild, als er seine Frau den Baum die Treppe hochziehen sah. Jetzt hat er eine Bierdose in der einen Hand, während er mit der anderen Hand dirigiert und dabei klugscheißert. Lilly bleibt trotz der ganzen oft sinnfreien Anweisungen fröhlich und summt den Evergreen „Last Christmas“ leise vor sich hin.
„Da vorne muss noch eine Kugel hin. Pass mal besser auf, Liane.“
„An der Stelle war ich auch noch nicht, Schatz.“
„Du musst das schon gleichmäßig verteilen, sonst sieht das Scheiße aus.“
„Keine Sorge. Ich habe ja Übung drin.“
„Werden wir ja sehen.“
„Nenn‘ mich bitte nicht Liane, okay?“
„Ich nenne Dich, wie es mir passt, okay?“
Sein „Okay“ klang aggressiv und fast schon wie eine Drohung. Thorsten ist nicht unbedingt der Vorzeige-Ehemann, nicht Mister Right, aber das weiß Lilly schon länger. Sie hat auch akzeptiert, dass sie ihn wohl nicht mehr ändern wird und strengt sich an, das Beste aus der Situation machen.

Gerade die Weihnachtsfeiertage bringen ihr die Hoffnung, dass alles ein Stückchen besser wird – irgendwie. Alles erscheint in einem anderen, einem besseren Licht und vielleicht zeigt sogar ihr Ehemann ein wenig mehr Herz. Wenn er sich überhaupt auf die Feierlichkeiten einlässt. Im vergangenen Jahr hat er weder ein Geschenk für Lilly besorgt, noch hat er sich für seins bedankt. Er moserte am Abendessen herum und meckerte ohnehin über alles, was ihm unter die Augen kam. „Geschenkpapier ist Geldverschwendung! Schmeißen wir eh weg!“ oder „Ich hasse Schnee, ständig Fenster kratzen und überall schreiben sie Dir Beleidigungen aufs Auto!“ sind nur zwei Beispiele.
Zugegeben, dass war nicht immer so. Lilly und Thorsten haben eine 23 jährige Tochter namens Bettina, die jedoch bereits mit 17 ausgezogen ist. Betti (sie möchte nicht Bettina genannt werden, woher sie das wohl hat?) hat die Streitigkeiten ihrer Eltern nicht mehr ausgehalten.
Seit dem ist Weihnachten noch trüber. Weihnachten, das Familienfest, das Fest der Liebe, erinnert Lilly und Thorsten immer wieder an das Scheitern der Familie.
Wobei Lilly das Elend nicht ertragen will und alles daran setzt, wenigstens ein bisschen das alte Feeling wiederzubeleben.
„Ich fasse es nicht, diese scheiß Blagen!“ sagt Thorsten, als er aus dem Fenster schaut.
„Was ist denn, Schatz?“
„Die haben wieder was drauf geschrieben … Arschloch steht da.“
Lilly grinst in sich hinein und hängt die letzte Kugel an den Baum.

6.

23.12.2013 | 19:00 Uhr
Alles ist an seinem Platz. Der Brief und ein kleiner Zettel mit einer Telefonnummer und Hinweisen, wo alle wichtigen Unterlagen zu finden sind. Gustav hat an alles gedacht. Er hat ohnehin schon länger den morgigen Tag geplant; er weiß sehr genau, wie sein persönlicher Heiligabend ablaufen wird.
Normalerweise kocht er sein Leibgericht, Kohlrouladen mit Salzkartoffeln, und trinkt dazu ein, zwei Gläser Rotwein. Danach geht er zum Plattenspieler, um eine alte Schallplatte mit seinen liebsten Weihnachtsliedern zu spielen. Meist handelt es sich dabei um Aufnahmen von Frank Sinatra oder Bing Crosby. Gustav setzt sich zu seinem kleinen Adventskranz, an dem vier frische Kerzen brennen. Zur Musik schließt er fast komplett die Augen, bis er durch die Augenschlitze nur noch das Licht erkennt, und dabei summt er leise mit. Irgendwann verstummt die Platte. Gustav wird dann den Fernseher einschalten, um einen Weihnachtsfilm zu sehen; meist der eine mit James Stewart, ein Film ganz nach seinem Geschmack.
Er ist dieses Jahr 73 Jahre alt geworden und verbringt seine Tage alleine. Seine Frau ist bereits vor zehn Jahren verstorben und den einzigen Sohn, der dieser glücklichen Ehe entsprang, hat er viele Jahre nicht mehr gesehen. Alles war in Ordnung, bis Gustavs Frau schwer erkrankte. Danach ging alles bergab. Es gab viele Streitigkeiten zwischen Gustav und Konstantin, der in seinem Vater eine Teilschuld gesucht hatte. Alle Schlichtungsversuche scheiterten. Gustav konnte seinen Sohn teilweise verstehen; seine Wut, seine Rage. Drum zog er sich irgendwann zurück und ist seitdem alleine.
Der morgige Heiligabend wird anders verlaufen. Gustav hatte sich starke Schlaftabletten verschreiben lassen, da er meist ab Herbstbeginn schlecht in den Schlaf findet. Diese hat er neben den Adventskranz aufgestellt. Morgen Abend wird er sie zu sich nehmen, alle, mit einer Flasche feinstem Scotch, den er sich zusätzlich besorgt hatte. Frank Sinatra soll ihn behutsam in den Schlaf singen.
I did it my way.
Der letzte Vorhang fällt.

Am letzten Tag vor Heiligabend schaut er noch einige Fotoalben durch. Bilder aus glücklichen Tagen, die ihm manchmal ein Schmunzeln entlocken und auch hier und da eine Träne. „Ich habe ein gutes Leben gehabt.“, sagt er leise zu sich und blättert eine Seite weiter.
Plötzlich klingelt das Telefon. Gustav erschrickt. Anrufe sind eher ungewöhnlich. Er steht auf und geht langsam zum Apparat.

„Hallo? Ja, bitte?“
„Papa? Hier ist Konstantin.“
„Konstantin? Mein Gott, Junge..“
„Wie geht es Dir? Ist alles in Ordnung?“
„Ja … Ja. Mir geht es gut. Ich bin nur so überrascht!“
„Papa, ich wollte Dich fragen … Kann ich morgen Abend vorbeikommen?“

7.

23.12.2013 | 20 Uhr.

Norman sehnt sich den Feierabend herbei. Nur noch vier Stunden Ho ho ho. Er hat sich mittlerweile im Eingangsbereich positioniert und begrüßt müde die letzten Einkäufer. Lange Ladenöffnungszeiten verführen dazu, die benötigten Geschenke noch später zu holen, als es nötig wäre. Norman fragt sich, wie das wohl ablaufen mag. Da sitzt irgendein Kevin oder irgendeine Jenny vor dem Fernseher und hat einen Geistesblitz: „Oh je! Ich muss dringend diese Blue-Ray für Opa kaufen!“ … kurz vor Mitternacht.
Oder hier geistern nur noch Alkoholiker rum. Norman sieht eine weitere 08/15-Familie an sich vorbeiziehen und stellt sich vor, wie Mama, Papa und Töchterlein später im Auto den Flachmann herumreichen. Einen für Mama, einen für Papa, und einen für das Nesthäkchen.

Ein etwas hagerer Mann flitzt an Norman vorbei. Norman sieht ihn nur beiläufig aus dem Augenwinkel, aber hält inne. Irgendwo hat er diese Visage schon mal gesehen. Er klappert im Geiste alle Möglichkeiten ab (Trinkbekanntschaften, alte Schulkameraden, der Neue seiner Ex, Gläubiger), während er mechanisch Weihnachtsgrüße verteilt. Er schaut dem Flitzer hinterher, bis er bei den Einkaufswagen verschwindet. „Das muss Herr Drumwischski sein“, dachte Norman und wird direkt an jenen Morgen erinnert, an dem er das lächerlichste Vorstellungsgespräch seines Lebens hatte – für den gegenwärtigen Job als lebendige Weihnachtsschaufensterpuppe mit Grußfunktion.

Norman war verzweifelt und brauchte dringend Geld. Sicherlich ein nachvollziehbarer Wunsch; nur sollte man manche Wünsche nicht laut aussprechen – sie könnten in Erfüllung gehen. Besonders dann, wenn man vor einem Sachbearbeiter der Arbeitsagentur sitzt.
„Ich würde nahezu alles machen“, sagte Norman selbstbewusst und lebensmüde.
„Na gut, alles außer Bohrinseln und Soldat. Kann kein Blut sehen“, ergänzt er weiter. Herr Drumwischski zog eine Augenbraue hoch.
„In der Küche würde ich auch nicht unbedingt arbeiten wollen. Habe eine Allergie gegen Nüsse und eine echt nervige Laktoseintoleranz.“
„Herr …“
„Sagen sie ruhig Norman. Alle sagen Norman. Außer meiner Mutter. Sie sagt Hase.“
„Nein, also … sie müssen so schnell wie möglich in ein sozialversichertes Arbeitsverhältnis kommen, damit sie ihren Lebensunterhalt alleine sichern können.“
„Das klingt vielversprechend. Lebensunterhalt. Das klingt nach Geld. Geld finde ich gut.“
„Schön. Also, wo liegen ihre Qualifikationen?“ Herr Drumwischskis Frage wirkte sarkastisch.
„Lassen sie mich überlegen …“

Norman überlegte zu lang. Eine Woche später stand er mit Sack und Pack hier im Einkaufszentrum und sucht jede halbe Stunde die Örtlichkeiten auf. Dieser Arbeitsagentur-Heini ist an allem schuld. Norman nimmt sich vor, diesen eindeutig bösen Mann nie wieder zu grüßen.

In diesem Moment flitzt Herr Drumwischski erneut an Norman vorbei.
„Frohe Weihnachten, Hase!“
Norman will kontern, aber überlegt zu lange.

8.

23.12.2013 | 21 Uhr.
Daniels Liste ist immer noch recht überschaubar. Unter der fetten Überschrift „Opfergaben für Ruth“, seiner angestrebten Schwiegermutter, steht einsam und alleine „Etwas Persönliches“. Er findet es schon schwierig genug, seine Freundin Marie bei Laune zu halten, aber nun auch noch ihre Mutter happy zu machen, macht ihn fertig.
Er muss an Maries Geburtstag denken, der nun schon einige Monate zurückliegt, aber immer noch heiß diskutiert wird. Es wurde Singstar gespielt; das ist dieses eine Konsolenspiel, wo sich das heimische Wohnzimmer in eine Karaokebar verwandelt und sich jeder für Celine Dion hält.
Die gesamte Sippe, die sich an Maries Geburtstag eingefunden hatte, machte mit. Daniel hätte nie gedacht, dass eine Familie so groß sein kann, und vor allem nicht, dass sie alle in ein Wohnzimmer passen würden. Aufgrund der zahlreichen Teilnehmer kam jeder maximal zweimal an die Reihe und durfte sich öffentlich zum Gespött machen. Zugegeben, Tante Martha trug eine überzeugende Interpretation von MC Hammers „U can’t touch this“ vor, aber das war es dann auch. Ruth, Maries Mutter, versuchte sich am Klassiker „Country Roads“, wobei sie den Text nicht allzu ernst nahm.
„Kaunthrie Rrrohds..
Täik mie hohm..
Tuh zäh pläiss..
Ei bielonk.
Wäst Vätscheina..“
Daniel schaute direkt belustigt in Maries Richtung. Sie bemerkte Daniels Blick, wusste aber nicht, was er von ihr wollte. Er flüsterte ihr ins Ohr, dass Ruth Vagina statt Virgina gesungen hätte – mit ihrem miserablen Englisch. Das fand Marie wenig überraschend überhaupt nicht lustig und schaute Daniel an, als wäre er gerade beim Schlüpferschnüffeln erwischt worden. Neudeutsch betitelt man so eine Situation als „Fail“.
Noch interessanter wurde die Situation, als Marie ihrer Mutter davon erzählte. Die sind nämlich sowas wie beste Freundinnen, was Daniel aber viel zu spät realisierte. Er hat das darauf folgende Gespräch noch genau im Ohr.
„Daniel, Du bist also der Meinung, mein Englisch würde nicht genügen?“
„Nein, also … Ich wollte nur einen Witz machen, ehrlich!“
„Über Vaginas?“
„Nein, Quatsch! Darüber macht man keine Witze!“
„Hast Du aber. Auf dem Geburtstag meiner Tochter.“
In dem Moment tat sich leider nicht der Erdboden auf. Daniel konnte sich nirgendwo schnell vergraben und warten, bis Gras über die Sache gewachsen ist.
Es gab noch weitere Szenen dieser Art. Einmal nannte er z.B. Ruth scherzhaft eine „Milf“, wobei Marie nicht einmal wusste, was eine „Milf“ sein soll. Sie fand es aber wenig später heraus und textete es ihrer Mutter, die sich per Gruß herzlich bei Daniel bedankte. Danke auch, Google.
Zurecht fühlte er sich in solchen Momenten wie Ben Stiller und sah in Ruth die weibliche Fassung von Robert de Niro.

Opfergaben für Ruth. Daniel starrt auf seine eigens hingekritzelten Wörter. Er braucht ganz dringend eine zündende Idee, damit er ihre Gunst gewinnen kann.
Er schreibt „Englisch-Wörterbuch“ hin, streicht es aber direkt durch.

9.

23.12.2013 | 22 Uhr
Lena vergräbt ihr Gesicht in ihre Hände. Ihre Facebook-Gruppe mit dem Namen „Unheiliger Abend“ lockte zwar einige Interessenten, aber die waren mehr hinter einer Band mit ähnlichem Namen her. Ansonsten scheinen alle morgen Abend gut versorgt zu sein. Außer Lena. Sie seufzt, schaut auf und nimmt einen weiteren Schluck aus ihrem Longdrinkglas. Immer noch keine Zusage für den Unheiligen Abend. Sie braucht einen Plan.
Oder einen Strick.

Weihnachten war nicht immer unerträglich für sie. Als ihre Eltern noch lebten, war die Welt noch in Ordnung. Dann diese furchtbare Nacht, die alles auf den Kopf stellte. Obwohl der Autounfall nun bereits fast neun Jahre her ist, möchte Lena nicht darüber reden. Mit wem denn auch?
Die meisten Menschen ertragen nur einen gewissen Grad von Traurigkeit, hatte sie schmerzlich lernen müssen. Lena suchte Halt, doch fand nur ratlose Gesichter, die sicherlich oft betonten „für einen da zu sein“, doch im Grunde dankbar waren, wenn man schwieg. Es ging teilweise so weit, dass Lena sich für ihre Trauer schämte. Freunde empfahlen ihr eine Therapie, die gegen die Trauer und den Verlust helfen sollte. Lena erinnert sich noch genau an das erste und letzte Gespräch.
„Worüber wollen wir reden? Warum sind sie hier?“
„Weil meine Eltern tot sind.“
„Warum wirken sie so wütend? So aggressiv?“
„Weil meine Eltern tot sind.“
„Das ist tragisch, gewiss. Aber es geht auch um Wahrnehmung.“
„Da geht es nicht um Wahrnehmung. Meine Eltern sind tot.“
„Nehmen sie bereits die Tabletten, die ihnen verschrieben wurden?“
„Scheiß auf Tabletten! Meine verfluchten Eltern sind tot!“
Sie stand auf, ging, und kam nie wieder. Manchmal ist sie wütend auf ihre Eltern, weil sie das Gefühl hat, von ihnen alleine gelassen worden zu sein. Aber das ist eher ein Ausdruck der Verzweiflung.

Es bleibt die Flucht. Das funktionierte bislang für sie. Geburtstage und Feiertage einfach auslassen oder ignorieren. Sich ablenken um jeden Preis. Lena lässt Nähe nur noch bedingt zu; sie hätte Angst, wieder etwas zu verlieren, woran ihr Herz hängt.
Wobei sie das Träumen nicht verlernt hat. Sie weiß, dass es unter anderen Umständen wieder möglich wäre, so etwas wie Vertrauen und Freude zu empfinden. Und das ohne Longdrinks oder sonstige Ablenkungsmanöver. Sondern mit Herz. Doch da fehlt ihr der entscheidende Impuls.
„Vielleicht war die Facebook-Gruppe doch nicht so der Bringer“, sagt Lena zu sich selbst und nimmt einen weiteren Schluck. Sie will gerade den „Gruppe löschen“ Button betätigen, da schneit eine weitere Zusage rein. Wenige Sekunden später eine Mail.
„Coole Idee! Eine Bescherung mit Unheilig-Songs statt dem üblichen Jingle Bells! Bin dabei!“ steht drin.
Lena löscht zuerst die Mail, dann die Gruppe. Sie leert ihr Glas und beschließt, nie mehr zu flüchten.

10.

23.12.2013 | 23.00 Uhr
Peter schleicht auf leisen Sohlen zum Gästezimmer, um nachzusehen, ob sein junger und unerwünschter Gast Malte nun endlich schläft. Eigentlich sollte er schon lange ruhen, doch Peter hört in regelmäßigen Abständen Geräusche aus dem Zimmer. Entweder läuft der Fernseher, das Radio, oder Malte singt lauthals Stille Nacht, Heilige Nacht. Es macht Peter rasend vor Wut. Malte mag Peter in solchen Momenten ganz besonders.
„Malte…? Schläfst Du endlich?“ fragt Peter leise durch den Türschlitz.
„Na toll.“ antwortet Malte munter.
„Was? Du schläfst immer noch nicht!?“
„Du hast mich geweckt. Ich schlief bereits.“
„Verdammt!“
„War nur Spaß, Peter. Ich bin viel zu aufgeregt, um zu schlafen.“
„Wieso aufgeregt? Ich glaube, ich habe noch irgendwo Baldrian..“
„Mensch, morgen gibt es Geschenke! Und wir kaufen einen Baum und lauter Sterne … Und Schokolade! Ich freue mich sehr auf morgen.“
„Was? Wieso? Steht was Besonderes an?“
„Peter! Mama hat mir gerade noch am Telefon gesagt, dass du mir Weihnachten nicht vermiesen sollst. Wir werden morgen feiern!“

Hat sie tatsächlich gesagt. Peter rief seine Schwester Petra an, um zu fragen, wie es ihr geht und wie man „das überhaupt so macht“. Also „Weihnachten feiern“. Petra diktierte nach einem zehnminütigen Lachflash eine kleine To-Do-Liste. Den Rest müsste er via Internet und Film & Fernsehen selbst heraus finden. Oder er macht sich die Mühe und erinnert sich einfach an seine eigene Kindheit.
„Malte, du musst nun wirklich schlafen. Wir haben morgen viel vor. Wir gehen am Heiligen Abend einen Baum kaufen. Das ist schon wahnsinnig genug.“
„Peter? Warum magst Du Weihnachten eigentlich nicht?“ fragt Malte.
„Weil Rentiere stinken“, winkt Peter ab.
„Du lügst!“
„Nein, wirklich. Rentiere stinken schrecklich. Hast Du schon mal an einem gerochen?“
„Nein, habe ich nicht.“
„Siehst Du? Sei froh drum.“
„Gibt es noch mehr Gründe, warum Du Weihnachten nicht magst?“
„Weißt Du, Malte. Ich wollte damals als Junge immer ein Motorrad. Viele Jahre hintereinander. Da war ich sogar noch jünger als Du heute. Doch ich bekam es nie. Stattdessen bekam ich ein Dreirad. Später ein Fahrrad. Sogar mit Stützrädern! Ich war ziemlich enttäuscht und traurig. Meine Eltern erklärten, dass ein Motorrad eventuell nicht durch den Kamin passen würde, oder so was in der Art. Aus Trotz hörte ich auf damit. Ich wünschte mir ab sofort kein Motorrad mehr, sondern ließ mich überraschen und nahm in Kauf, was auch immer der Weihnachtsmann anschleppte. Eines Tages, als ich erwachsen war, kaufte ich mir das lang ersehnte Motorrad. Es war an einem Mittwoch im April. Da merkte ich, dass ich Weihnachten nicht brauchte.“
„Du hast länger an den Weihnachtsmann geglaubt als ich?“
„Nein! Ach! Darum geht es nun gar nicht. Ich mag einfach dieses Getue darum nicht. Am Ende geht es doch nur um Geschenke, die man sich nie gewünscht hat, und die man nach den Feiertagen umtauschen muss.“
„Aber überall leuchten Lichter und Kerzen. Viele Verwandte schauen vorbei. Und mein Papa schickt mir jedes Jahr Weihnachten eine Postkarte. Ich freue mich darauf! Nicht nur auf Geschenke!“
„Hast Du dieses Jahr schon eine bekommen? Eine Postkarte?“
„Leider noch nicht.“
„Malte, wenn wir hier noch weiter quatschen, verpennen wir gewiss Weihnachten. Mich würde das nicht stören, aber deine Mutter reißt mir den Kopf ab.“
„Naaaaa guuuuut. Ich schlafe jetzt. Und träume von vielen großen Geschenken!“
„Träume mal lieber von wenigen kleinen Geschenken, ich verdiene nicht so gut.“

Die beiden wünschen sich gegenseitig eine gute Nacht und Peter schleicht zurück in sein Wohnzimmer, um noch mal die To-Do-Liste zu checken. Er hat keine Ahnung, wie er das morgen alles schaffen soll. Für Ausweichmöglichkeiten scheint es nun zu spät. Peter überlegt kurz, ob er Malte nicht einfach morgen im Einkaufszentrum aussetzen soll, verwirft den Plan aber in Gedanken an die Schläge von seiner Schwester wieder. Stattdessen geht er zu einem Schubfach im Wohnzimmerschrank und zieht eine unbeschriebene Postkarte mit Weihnachtsmotiv aus dem Chaos. Peter setzt sich mit der Karte an den Schreibtisch und beginnt zu schreiben.
„Lieber Mahlte, es tut mir leid, dass ich auch dieses Jahr nicht mit Dir gemeinsam Weihnachten feiern kann. Ich habe viel zu tun, aber denke sehr oft an Dich. Du bist ein prächtiger Kerl, also bleib wie Du bist. Frohe Weihnachten, Kleiner. Dein Papa.“
Peter liest den Text nochmal durch, versteckt die Karte unter der Ablage auf dem Schreibtisch und nimmt die To-Do-Liste zur Hand. Er streicht „Angebliche Postkarte von Papa“ durch und atmet schwer aus.

11.

24.12.2013 | 00:00 Uhr
Thorsten schnarcht. Er schnarcht, als ob innerhalb einer einzigen Nacht der gesamte Regenwald abgeholzt wird. Er schnarcht so verstörend, dass sich die NASA über unbekannte Signale wundert und diese als extraterrestrisch einstuft. Er schnarcht so überzeugend, dass diverse Nilpferde eine Art Brunftschrei zu erkennen glauben, und sich direkt auf den Weg machen. Lilly dankt in solchen Momenten dem Erfinder des Ohropax und wünscht sich insgeheim ein Verhältnis mit ihm.
Auch wenn die Ohrstöpsel den nasalen Lärmterror auf ein Minimum reduzieren, findet Lilly nicht zur Ruhe. Sie überlegt rauf und runter, ob sie auch ja an alles gedacht hat; ob Weihnachten nun endlich über die Bühne gehen kann, oder noch etwas Wichtiges fehlt. Abgesehen von ihrem Geschenk für Thorsten. Das holt sie nämlich erst später ab.
Sie macht sich viele Gedanken, ob der Abend einigermaßen glimpflich abläuft. Betty wird mit ihrem Freund Elias vorbeischauen. Das wird quasi eine Premiere, denn bisher hat Betty es bis zuletzt vermieden, dass ihr Freund auf Thorsten trifft. Bettina schämt sich ein wenig für ihren Vater, wobei das weniger am Schnarchen liegt. Kommt im Wachzustand eh seltener vor.
Thorsten hat ein Händchen dafür, Jahr für Jahr die Bescherung zu sprengen. Meist sucht er sich irgendeine Banalität, an der er sich hochziehen und profilieren kann. Im letzten Jahr war Betty sein Ziel. Er warf ihr vor, dass sie viel zu früh ausgezogen sei. Sie sei der Grund für die „beschissene Stimmung zu Weihnachten“. Betty konterte, dass er bloß seine nicht gekauften Geschenke vertuschen wollte. Die beiden Streithähne zankten so lange, bis Betty unter Tränen das Wohnzimmer verließ und sich im Bad einschloss. Lilly wusste sich nicht zu helfen und drehte die Weihnachtsmusik etwas lauter.
Thorsten war noch lauter. Erst ein Bier beruhigte ihn. Betty verließ die Szene nach dem kurzen Aufenthalt im Bad und ging nach Hause. Die Stimmung zwischen Liane und ihrer Tochter war mehr als angespannt. Betty warf ihr in der Nacht vor, dass sie ihn ihr vorziehen würde.
„Ich möchte nur das Beste für alle“, sagte Lilly verzweifelt.
„Und das ist für Dich Weihnachten, Mama? Das ist ein großer Witz!“ sagte Betty und ließ ihre Mutter stehen.

Es muss an den Osterfeiertagen gewesen sein, als Betty sich nach einer längeren Pause wieder meldete. Lilly war so unendlich froh, wieder von ihr zu hören. Sie sprachen lange und näherten sich wieder einander an. Betty erwähnte ihren Vater mit keinem Wort.

Lilly geht noch nochmals den Ablauf nach dem Frühstück durch. Zuerst muss das noch fehlende Geschenk abgeholt werden. Sie ist aufgeregt, wie das Geschenk für ihren Mann geworden ist. Sie hat sich gewagt, mal etwas ganz anderes auszuprobieren. Sie hat bei einem Fotografen ein paar erotisch-sinnliche Aufnahmen von sich machen lassen. Sie nahm für diese Fotoreihe all ihren Mut zusammen und ließ sich wie noch nie zuvor in Szene setzen. Die ersten Eindrücke waren überraschend gut, sie erkannte sich im ersten Moment kaum wieder. Ein wenig stolz war sie schon, als sie sich in diesem neuen Licht wiederfand.
Ihre Freundinnen würden sie aufgrund dieser Aktion für vollkommen verrückt erklären. Nicht nur, dass sie sich schon viel zu lange mit diesem Ekel herumschlägt, nein, nun schenkt sie ihm auch noch Nacktbilder. Betty würde es noch viel weniger verstehen und Lilly eine unfassbare Szene machen.
Dabei ist die Erklärung für Lilly glasklar. Sie will doch nur wieder etwas die Liebe in ihm wachkitzeln. Wissen, ob da überhaupt noch was zu holen ist. Oder ob da überhaupt je was war. Für die Familie. Alles muss gut werden. Lilly spricht anscheinend nicht Thorstens Sprache, drum wählt sie einen anderen Weg, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Und gibt es einen besseren Zeitpunkt dafür als das Fest der Liebe?

Trotz aller Liebe. Lilly vernimmt das Geschnarche sogar durch ihr Ohropax. Sie überlegt, ihm das Kissen ins Gesicht zu drücken. Funktioniert bestimmt besser als Bier. Sie entscheidet sich dagegen und dreht ihm den Rücken zu.

12.

24.12.2013 | 01:00 Uhr
Gustav kriegt kein Auge zu. Der Anruf seines Sohnes hatte ihn ordentlich aufgewühlt; er wälzt sich im Bett hin und her, von Müdigkeit keine Spur. Konstantins Ankündigung, am Abend vorbei zu schauen, brachte Gustavs Pläne durcheinander. Im Grunde wollte er nach dieser Nacht nur noch ein letztes Mal aufwachen. Ein letztes Mal frühstücken, die Morgenroutine hinter sich bringen, die letzten Vorbereitungen für sein persönliches „Christmas-Dinner for One“ treffen, bis er den Abend mit Hilfe seines Tablettencocktail ausklingen lässt.
Für immer.
Sein weihnachtliches „Dinner for One“ ist ein Geheimnis von Gustav. Eine Art Spiel, welches ihm die Einsamkeit an Heiligabend erleichtern soll. Seit dem Tod seiner Frau hat Gustav sich diverse Rituale angeeignet, wie die besagten Weihnachtsklänge von Frank Sinatra am Adventskranz.
Wenn er sein Leibgericht auftischt, deckt er auch für seine verstorbene Frau und seinem Sohn, ein wenig wie im TV-Sketch „Dinner for One“, der jedes zum Jahreswechsel ausgestrahlt wird.
Nur ohne Butler.
Mit den Jahren erweitere Gustav das Geschehen, indem er auch für sie auftischte, als ob sie mit ihm speisen würden. Seit ein paar Jahren spricht er auch mit ihnen. Manchmal laut, manchmal im Gedanken. Er erzählt ihnen, was er neulich in der Zeitung las oder dass die Spritpreise teurer wurden. Manchmal muss er lachen, wenn ihm beispielsweise etwas Kurioses widerfahren ist, und er es begeistert in die einsame Tischrunde einwirft.
Oft kommen ihm dabei die Tränen, da sein Lachen nicht erwidert wird. In solchen Augenblicken spricht er zu seiner verstorbenen Frau. Sagt ihr, wie sehr er sie vermisst und wie sehr ihm ihre Berührungen fehlen. Ihr Lachen. Ihre Grübchen, wenn sie lächelt. Außerdem hat sie die besten Plätzchen gebacken, die er je gegessen hat. Auch diese Kleinigkeiten fehlen ihm.
Dann richtet er das Wort an seinen Sohn, stets in der Hoffnung, dass er das hören mag. Wo auch immer er gerade ist.
Gustav sagt ihm, dass er unendlich stolz auf ihn ist. Dass Konstantin das größte Geschenk sei, was seine Frau ihm je hätte machen können. Er hofft, dass es ihm gut geht und er ihn irgendwann wieder sieht und das alles besser wird.

Er quält sich aus dem Bett und kontrolliert ein weiteres Mal, ob alles an seinem Platz ist. Die Tabletten sind noch da, sowie der Zettel mit dem Hinweis auf einen Abschiedsbrief samt Testament und der Telefonnummer Konstantins. Für einen Moment überlegt Gustav, ob er den Anruf geträumt haben könnte. Hat er sich alles nur eingebildet? Wie so oft zuvor? Er erwägt kurz, ob er telefonisch nachfragen soll. Ein schneller Blick auf die Uhr hält ihn davon ab.
Stattdessen nimmt er eine der Schlaftabletten und stellt die nahezu voll Packung wieder an seinen Platz. Auf dem Weg zurück ins Bett wirft er einen Blick auf ein Porträt seiner Frau, welches im Wohnzimmer steht, wo er auch die Tabletten aufbewahrt. Er hält kurz inne und nimmt das Bild in die Hand und streichelt sanft mit dem Zeigefinger über die Fotografie.
„Gute Nacht, Liebling“, flüstert er leise. Gustav stellt das Bild zurück und legt sich schlafen.

13.

24.12.2013 | 02:00 Uhr
Es fällt ein weiterer Schuss. Die Menschenmenge wirkt wie ein Ameisenhaufen, der durch einen Tritt zerstört wurde. Die Leute sind panisch; viele schreien und suchen sich Schutz, während andere so schnell flüchten, wie sie nur können. Norman hat den Überblick verloren und richtet seine Pistole erneut wahllos auf die Menge. Er fixiert diverse Köpfe an und versucht, deren Gesichtsausdruck zu deuten. Sein Finger ist am Abzug.
Er sieht eine verzweifelte Mutter, die sich schützend vor ihre Tochter stellt. Sie erinnert ihn an seine ehemalige Mathelehrerin, die ihm immer den Notenschnitt ruinierte. Er sieht einen Typen in seinem Alter, der ihn an seinen ehemals besten Kumpel erinnert. Sie zerstritten sich klassisch aufgrund einer Frau. Er sieht so viele Gesichter, die aber alle eins für ihn bedeuten. Antipathie.
Er drückt ab. Einmal, zweimal. Norman verballert das gesamte Magazin innerhalb weniger Sekunden und unzählige Körper gehen leblos zu Boden. Blut spritzt auf Normans Weihnachtsmannkostüm, erwischt auch sein Gesicht und den langen Bart, der mittlerweile dunkelrot eingefärbt ist. Norman scheint wie im Rausch. Er brüllt absolut durchgescheppert und mit irrem Blick: „Ihr wart alle nicht artig! Oh nein! Das wart ihr wirklich nicht!“
Kurz darauf zückt er eine Kalaschnikow, die er unter seinem langen Mantel versteckt hatte. Er ballert direkt erbarmungslos um sich und kreischt „Zeit für eure ganz persönliche Bescherung, Bitches!“ … mitten im Blutbad wacht Norman auf.

Er sitzt vor seinem PC. Vor ihm eine halb gegessene Packung irgendeines Mikrowellenmenüs und ein Dosenbier. Er trägt noch den Weihnachtsmannbart, der zum Glück aber sauber ist. Auf dem Monitor ist ein YouTube-Video zu sehen. Dicke Frau fällt vom Stuhl, lol. Weitere Vorschläge von anderen Videos mit dicken Frauen in schwierigen Lebenslagen werden ihm vorgeschlagen, doch dafür hat Norman gerade keinen Kopf.
Was hat er da geträumt? Einen Amoklauf während seiner Arbeit als Weihnachtsanimateur? Sicher, er kann den Job nicht leiden, aber das ist kein Grund, direkt ein Sturmgewehr zu ziehen. Er ist über sich selbst erschrocken und trink erst mal einen Schluck Bier.
Der Traum stimmt ihn nachdenklich. Tatsächlich hat er sich vor kurzem erst eine Pistole besorgt. Keine scharfe, sondern eine Gasknarre. Er ist in den letzten Monaten sehr unsicher geworden; kein Job, keine Freundin, man kennt diese Spirale. Verschlimmert hat sich die Lage, als er eines Abends auf dem Heimweg einer Kneipentour von ein paar Kerlen überfallen wurde. Sie traten auf ihn ein und forderten sein Geld samt Handy. Doch abgesehen davon verlor Norman in jener Nacht noch mehr. Er verlor seinen restlichen Mut und legte sich eine Waffe zu, in der Hoffnung, dass sie ihm mehr Sicherheit verschafft.

Er schaltet den Rechner aus, entledigt sich des Bartes, und legt sich in sein Bett. Nochmal möchte Norman nicht mehr so ein Drama träumen, drum konzentriert er sich auf Dinge, die ihm gefallen.
Eine Kreuzfahrt auf der eigenen Yacht. Eiskaltes Bier. Emma Stone und Zooey Deschanel spielen Beachvolleyball. Ein Delorean wie aus Back to the Future. Ein Sechser im Lotto samt Superzahl. Ein Jobangebot als Vorstand irgendeiner wichtigen Firma. Einmal wieder Kind sein. In einem siebten Ei wirklich eine Happy Hippo Figur finden. Auf dem Cover der GQ als „Most sexiest man“ groß rauskommen. Eine Hitsingle landen. Eine eigene Familie haben.
Norman schläft sanft ein und träumt von dicken Frauen.

14.

24.12.2013 | 03:00 Uhr
Daniel spürt die Nachteile der vernetzten Welt. Seine letzte Twittermeldung hatte ihn verraten. „Ich hasse Weihnachten! Scheiß Konsumschlacht!“ stand im Posting. Auf einmal ein Klingelton. Marie meldet sich – via Skype.
„Daniel, es ist drei Uhr nachts.“
„Ich weiß …“
„Ich hoffe, Du hast wenigstens eine Hose an.“
„Marie! Ich schaue mir keine Pornos an! Ehrlich!“
„Was machst Du sonst noch um die Zeit online?“
„Ich suche noch … Moment. Woher weißt Du überhaupt, dass ich noch wach bin?“
„Du hast getwittert, Du Experte. Falls Du Dich erinnerst, bekomme ich Twitternachrichten und so direkt auf das Smartphone geliefert.“
„Oh. Stimmt. Daran habe ich nicht gedacht.“
„Du suchst nicht immer noch nach einem Geschenk für meine Mutter, oder?“
„Auch. Nebenbei schaue ich noch nach ausgefallenen und kreativen Möglichkeiten, Geschenke zu verpacken. Ich glaube, ich versuche die Variation ‚Goldfischglas‘.“
„Wird das Geschenk in ein Goldfischglas reingelegt und ein lebendiger Fisch schwimmt drum herum?“
„Genau genommen steckt das Geschenk in einer kleinen Schatztruhe, die im Goldfischglas versenkt wurde und der Fisch ist so eine Art lebendiges Accessoire …“
„Wenn Du nach der Bescherung Single sein möchtest, halte ich das für eine gute Idee.“
„Und wenn ich statt einem Goldfisch einfach Fischstäbchen nehme?“
Marie schweigt. Verständlich. Man merkt Daniel deutlich an, dass er ganz dringend ins Bett gehört. Er hat neben Maries Skypefenster unendlich viele Internetbrowserfenster geöffnet; einige eBay Angebote, Forenbeiträge zum Thema Geschenke und eine ominöse „Top-Ten Liste der coolsten Geschenke für Frauen ü40“ bei Amazon. Außerdem schrieb er einen verzweifelten Leserbrief an die Brigitte Redaktion. Dabei sind es nur noch wenige Stunden bis zur Bescherung.
„Du bist furchtbar! Ich schlafe nun auch weiter. Das solltest Du übrigens auch tun.“ antwortet Marie endlich.
„Hast recht. Das bringt eh nichts mehr.“
„Wollen wir uns zusammen hinlegen?“
„Ich wollte noch eben was am PC machen …“
„Daniel, wenn Du nun noch Pornos schaust, raste ich aus.“
„Na gut, ich mache ja schon aus.“
„Leg Dich schlafen. Morgen haben wir viel vor.“
Daniel verabschiedet sich von Marie und winkt in seine Cam. Er schaltet seinen PC aus und lässt sich ins Bett fallen. Seine Panik vor dem Abend lässt ihn kaum zur Ruhe kommen. Er durchspielt unendliche Male mögliche Szenarien des Besuchs bei Maries Eltern.
Er sieht Maries Mutter Ruth vor sich, wie sie eine große Geschenkpackung schüttelt, aber nichts hören kann. Am Paket ist ein kleines Schildchen, wo „Von Daniel für Ruth“ vermerkt ist. Sie öffnet das Paket und findet nichts. Es ist leer. Sie schaut Daniel mit hochgezogener Augenbraue an. Sie scheint damit gerechnet zu haben. Ruth sagt zu Marie, dass dieses Paket genauso hohl und leer sei wie ihr Freund.
Daniel steht wieder auf. Er geht zu seinem Schreibtisch, wo die Liste „Opfergaben für Ruth“ immer noch nahezu leer auf Vorschläge wartet. Den PC lässt er ausgeschaltet.
Daniel 2.0 wollte nicht mehr stören oder gestört werden.

15.

24.12.2013 | 04:00 Uhr
Willst du deinen Feind besiegen, so musst du lernen, wie dein Feind zu denken. Klingt nicht nur nach einem Spruch aus einem aufgebrochenen Chinakeks, nein, es ist sogar einer.
Lena bereut gerade, so viele Longdrinks getrunken zu haben, denn sie muss ständig auf die Toilette flitzen. Eine erholsame Nacht sieht anders aus. Aber wenigstens fällt ihr beim vierten Gang dieser besagte Spruch aus dem Keks ein. „Willst Du Deinen Feind besiegen …“
Lena hat ihren Feind direkt vor Augen. Sie braucht nur aus dem Fenster zu schauen. Überall Weihnachtsdekorationen, wie nervige Blinklichter und total dämliche Weihnachtsmannpuppen, die an Balkonen hängen. Weihnachten ist ihr Feind, ihr persönlicher Endgegner.
Sie arbeitet im halbwachen Zustand an einer gewagten Theorie. Sie überlegt kurz, wie es wäre, wenn sie den ganzen Weihnachtskram wie Dekorieren, Schmücken, Geschenke kaufen, Weihnachtskekse backen und Kartoffelsalat essen mitmachen würde – einfach so. Anstatt zu fliehen oder sich wie jedes Jahr in Unkosten zu stürzen, indem sie spontan verreist, bis ans gefühlte Ende der Welt. Bloß weit weg von allem. Doch einfach mal mitspielen? Lena muss laut lachen. Sie sitzt auf der Toilette und lacht, wie schon seit Wochen nicht mehr.

Sie steht auf, betätigt die Spülung und wirft einen Blick aus dem Fenster. Es ist nahezu still. Kein Mensch zu sehen, kein Auto fährt vorbei. Nur die Lichter auf den Balkonen und an den Fenstern tauchen die Nacht in ein ungewohntes Licht. Gegenüber grüßt ein kleiner Weihnachtsmann. Drei Fenster weiter blinkt ein großer Stern. Eine Lichterkette ist um einen Baum im Vorgarten gewickelt. Es hängen sogar ein paar kleine Christbaumkugeln dran. Lena muss an ihre Kindheit denken. An die Vorbereitungen auf die Bescherung, als Lena von ihrer Mutter in ihr Zimmer geschickt wurde. „Du sollst doch noch nicht den geschmückten Baum sehen, Schatz!“ lachte ihre Mutter und Lena wusste stets, dass sich das Warten lohnte. Als ihre Eltern sie ins Wohnzimmer riefen, verzauberte sie der strahlende Baum jedes Jahr aufs Neue. Ihr Eltern strahlten sie genau so an. Es fühlte sich warm und wundervoll an; ein Gefühl von Geborgenheit machte sich breit. Sie liebte es.

Lena wendet sich vom Fenster ab und geht zum Abstellraum, wo sie normalerweise Putzzeug gelagert hat. Neben den Utensilien sind dort auch ein paar Kartons verstaut, wie z.B. einer mit der Aufschrift „Karneval“, in der ein Meerjungenfrauenkostüm zu finden ist. Daneben steht ein Karton, wo „Deko“ draufgekritzelt wurde. Lena öffnet diese und fischt diverse Sterne und Lichterketten heraus. Sie findet auch ein paar Plastiktannenzweige und einen weihnachtlichen Kerzenständer. Sie schnappt sich die Sachen und geht damit ins Wohnzimmer. Sie nimmt sich einen der Sterne und befestigt diesen an eins der Fenster. Stück für Stück arbeitet sie sich vor, bis alle Fenster fertig dekoriert sind. Sie dachte dabei an ihre Mutter; Lena versucht, es genau in dem Stil ihrer Mutter zu schmücken. Einige Sterne haben einen Stecker, genau wie die Lichterkette. Sie stöpselt diese ein und betätigt den Einschaltknopf.
Es wirkt im ersten Moment so, als ob Lena gar nicht mehr daheim wäre, sondern in einer fremden Wohnung. Alles strahlt. Es ist kaum wieder zu erkennen. Sie ist erstaunt über die Wirkung der Lichter und in ihr macht sich eine lange vergessene Wärme breit. Die Lichterkette, die Sterne und ein kleiner Neon-Tannenbaum lassen durch ihr Licht alles anders aussehen.
Sogar Lena selbst.

16.

24.12.2013 | 05:00 Uhr
Ein lautes Poltern aus dem Wohnzimmer weckt Peter auf. Er horcht genauer und vernimmt Schritte. Klarer Fall, da ist jemand nebenan. Langsam und möglichst leise kriecht er aus dem Bett und schleicht aus einem Schlafzimmer, um zu schauen, was vor sich geht.
Er sieht den kleinen Malte auf dem Boden sitzen. Er schaltet das Licht ein, um genauer sehen zu können. Malte, noch in seinem Pyjama, hat die Beine angewinkelt und sein Gesicht vergraben. Peter fragt, was denn los sei. Keine Antwort, nur ein leises Schluchzen.
„Malte, was soll den das? Es ist noch viel zu früh.“ Peter geht auf Malte zu und spricht mit sanfter Stimme. Er bekommt eine Antwort, doch versteht kaum ein Wort.
„Malte, du musst schon Deine Knie aus dem Mund nehmen. Sonst verstehe ich dich nicht.“
„Du hast wirklich nichts gemacht!“ Malte klingt trotz zittriger und verweinter Stimme sehr wütend.
„Was meinst du? Ich habe doch geschlafen.“
„Ich will zu Mama!“
„Das geht nicht. Sie liegt im Krankenhaus.“
„Bring mich zu ihr!“
„Malte, nun beruhige dich mal…“ Peter möchte zur Beruhigung die Hand auf die Schulter legen, doch das Malte nur noch wütender. Er schüttelt die Hand energisch ab.
„Was meinst Du überhaupt mit ‚Nichts gemacht‘? Ich habe doch gesagt, dass wir noch einkaufen gehen, Kleiner.“
Malte antwortet nicht. Peter ahnt im Grunde auch, was vor sich geht. Malte muss wohl angenommen haben, dass dieses ganze Anti-Weihnachtsgehabe nur Show war. Dass Peter über Nacht all die Geschenke schon mal bereit stellt, einen prächtigen Baum geschmückt hat und systematisch Lebkuchen und Dominosteine im Haus verteilt. Wie Malte das von seiner Mutter kennt. Doch Peters Schwester hat dafür einfach das Händchen. Ihr Bruder weniger.

Peter hasst Weihnachten wirklich. Er weiß noch nicht einmal, wann diese Abneigung gegen alles, was auch nur im geringsten mit dem Fest der Liebe zu tun hat, angefangen hat. Es wird nun schon Ewigkeiten von ihm so gehandhabt und bislang gelang es ihm auch, die Festlichkeiten einfach zu ignorieren. Doch die Tränen vom kleinen Malte lassen ihn gerade erweichen. Anfangs ließ er sich seiner Schwester zuliebe auf das weihnachtliche Babysitten ein. Doch dieser Moment lässt ihn umdenken. Malte soll Weihnachten nicht hassen, nur weil sein Onkel mit Christbäumen, Schokoladennikoläusen, Rentieren, Nussknackern, Dominosteinen, Lametta, Geschenkpapier etc. nichts anfangen kann.
Er hebt Malte schweigend und behutsam an und trägt den immer noch weinenden Jungen zurück ins Gästezimmer, wo Maltes Bett steht. Peter legt ihn auf die Matratze und deckt Malte zu; dieser dreht sich weg und hört augenblicklich auf zu schluchzen. Wenige Minuten später scheint er wieder zu schlafen.
Peter verlässt das Gästezimmer und wirft im Wohnzimmer einen erneuten Blick auf die To-Do-Liste seiner Schwester. Einen Punkt auf der Liste erweckt besonders seine Aufmerksamkeit. „Weihnachtskekse backen“. Warum hatte er das vorher nicht realisiert? Dutzend weitere Fragen schießen ihm direkt durch den Kopf. Wie macht man die? Womit? Wie lange brauchen die? Brauche ich eine Form? Schmecken die überhaupt? Machen die dick? Reicht auch ein Keks? Gibt es die im Discounter um die Ecke?
Zum ersten Mal seit der Ankunft von Malte hat Peter Angst, bei den Vorbereitungen zu versagen. Vorher war es ihm teilweise egal. Auch die anderen Punkte auf der To-Do-Liste wirken nun weitaus anstrengender, als es ihm vorher bewusst war. Geschenke kaufen. Geschenke verpacken. Weihnachtsbaum kaufen. Weihnachtsbaum schmücken. Zutaten fürs Abendessen kaufen. Abendessen zubereiten.
Peter stöhnt. Das muss der Weihnachtsstress sein, von dem alle Jahr für Jahr reden.

17.

24.12.2013 | 06:00 Uhr
Der Aufzug bleibt plötzlich stehen. Lilly schaut sich verwundert um. Sie ist alleine mit einem hochgewachsenen Mann in einer Fahrstulkabine. Wie kam sie dahin? Wo macht sie dort? Wer ist dieser Mann? Sie ist ahnungslos. Er wirkt wie eine Mischung aus George Clooney, Johnny Depp und Ryan Gosling – Traummann eben. Er trägt einen gut sitzenden Anzug und versprüht durch seine bloße Anwesenheit so viel Testosteron, dass Lilly ganz schwindelig wird.
„Es scheint, als würden wir feststecken“, sagt der Fremde mit einem charmanten Lächeln.
„Oh.“ Lilly würde gerne mehr sagen, doch sie stockt genau so wie der Fahrstuhl.
„Wobei ich mir Unangenehmeres vorstellen könnte, als mit einer so attraktiven Dame eingesperrt zu sein.“ Der Fremde schaut Lilly dabei tief in die Augen. Sie erwidert den Blick und auch sein Lächeln. Er hat perfekte Zähne. Je länger sie ihn anschaut, desto mehr Dinge fallen ihr auf, die sie gerne als „perfekt“ bezeichnen würde. Lilly würde nun sogar so weit gehen, seine Ohrläppchen „perfekt“ zu nennen. Ihr Herz schlägt schneller und sie wendet sich kurz ab, um sich zu fangen.
„Ob der Notruf funktioniert?“ Mister Right drückt den Notrufknopf.
„Wobei … es ist nun bestimmt keiner im Haus. Wir werden uns wohl noch gedulden müssen“, fährt er fort. Lilly stellt verwundert fest, dass er das Outfit gewechselt haben muss. Der Fremde erinnert von einer Sekunde auf die nächste stark an den muskulösen Mann aus der Cola-Light-Werbung, weißes Shirt, Jeans und all das, was Lilly stets heimlich begehrte. Sie kann ihren Blick nicht von ihm abwenden.
„Glaubst Du an Schicksal, Lilly?“ Sie atmet schneller, während der Unbekannte langsam auf sie zukommt. Sie schließt die Augen und spitzt die Lippen. Der Traummann mit dem Sixpack küsst Lilly heiß und innig, so dass es ohne weiteres mit Hollywoods besten Filmküssen mithalten könnte. Sie spürt, wie ihre Knie weich werden und wie sie am liebsten zerfließen würde. „Das fühlt sich so gut an“, flüstert sie in Richtung des perfekten Ohrläppchens.
Auf einmal geht die Fahrstuhltür auf. Eine unansehnliche Kreatur steht in der Türe, mit einer Mischung aus Überraschung und Zorn im Gesicht. Dieses Geschöpf erinnert an Shrek und auch an ihren Ehemann Thorsten – grün und mit Bierdose in der Hand.
„Was ist hier los?! Der Aufzug ist kein Puff!“ brüllt es und spuckt dabei um sich.
„Immer mit der Ruhe, Grüner“, beruhigt ihn Lillys Lover.
„Das ist meine Braut, Du Vollidiot! Finger weg!“
„Entschuldige bitte, aber das kann jeder sagen.“
„Sie trägt meinen Ring! Überzeug Dich selbst!“
Tatsächlich. Lilly und der grüne Shrek-Thorsten-Verschnitt tragen gleiche Ringe. „Ein Ehering? Ist dieses grüne Ungeheuer wirklich mein Mann?“ wundert sich Lilly. Der Mann mit den perfekten Ohrläppchen wartet nicht auf Erklärungen, sondern zückt wie aus dem Nichts ein gigantisches Schwert. Überhaupt hat er erneut seine Kleidung gewechselt; er trägt nun eine Art Ritterrüstung, als ob er gerade aus einem Herr der Ringe Film entsprungen wäre. Auch der grüne Thorsten zieht einen großen Kampfhammer, der beinahe so groß wie er selber scheint. Beide Männer nehmen Kampfstellungen ein und grunzen dabei sogar ein wenig. Lilly weiß überhaupt nicht, wie ihr geschieht. In ihrer Verzweiflung versucht sie, den Ring abzuziehen, doch auch dieser steckt unnachgiebig fest. Der Fremde holt zum ersten Schlag aus und brüllt dabei irgendwas von Sparta. Lillys grüner Ehemann weicht aber geschickt aus und kontert direkt mit einem gezielten Wurf der Bierdose gegen die Schläfe des Ritters, welcher daraufhin stürzt. Der Grüne will die Chance ergreifen und schwingt den gewaltigen Hammer. Kurz bevor er zum finalen Schlag ausholen kann, gelingt es Lilly jedoch, unter einem lauten Furzgeräusch den Ring von ihrem Finger zu lösen.

Lilly wacht auf und hört Thorsten noch einmal furzen.

Sie schaut zunächst auf die Uhr und danach wütend in Thorstens Richtung. Er schläft natürlich noch, lauthals schnarchend mit gelegentlicher rektaler Zugabe. Lilly schüttelt sich und steht auf, um in die Küche zu flüchten. Bei einem Kaffee muss sie erst mal den Traum verarbeiten, den sie gerade hatte.
Sowieso gibt es jede Menge zu tun, von daher ist es gar nicht so schlimm, wenn sie jetzt schon beginnt, Vorbereitungen zu treffen.
Wenige Minuten später sitzt sie im Morgenmantel am Küchentisch und schlürft ihren heißen Kaffee. Sie muss ein wenig grinsen, wenn sie an den Traum denkt und dem dazugehörigen Traummann mit seinem gewaltigen Schwert.
„Glaubst Du an Schicksal, Lilly?“ sagt sie zu sich selbst, schließt kurz die Augen und spitzt dazu die Lippen. Leider erwidert dieses Mal niemand ihren Kuss.

18.

24.12.2013 | 07:00 Uhr
Die Tage beginnen immer gleich für Gustav. Er liegt auf dem Rücken und starrt an die Decke. Die linke Seite des Doppelbettes ist frei, dort hatte seine Frau gelegen. Es sind bereits viele Jahre seit ihrem Tod vergangen, doch er hält alte Gewohnheiten bei.
Auch wenn sich der Tag bisher kaum von den anderen der letzten Jahre unterscheidet, so wird es der letzte dieser Art sein. Gustav möchte so nicht mehr erwachen. In einer Routine der Eintönigkeit, einsam und entbehrlich. Zuletzt fühlte er sich gar wie eine Belastung. Wenn beispielsweise hastige Menschen hinter ihm in einer beliebigen Warteschlange genervt seufzen, weil er nicht mehr so schnell kann – und es auch einfach nicht mehr nötig hat. Oft fragt er sich, wo die Leute nur so eilig hin wollen. Werden sie erwartet? Oder brauchen sie den Stress, diese nie enden wollende Anspannung? Vielleicht gaukelt man sich so Lebendigkeit vor.
Wobei sich Gustav trotz der Kritik im Klaren ist, dass genau diese Motivation ihm abhanden gekommen ist. Der Alltag hat ihn mürbe gemacht, um nicht zu sagen müde. Viele junge Leute spotten über ältere Bürger, die laut gängiger Vorurteile absichtlich die Wartezimmer der Arztpraxen belegen. Gustav macht das auch. Er besucht recht häufig seinen Hausarzt, jedoch nicht aus Langeweile oder weil er gar schwerkrank ist. Im Gegenteil, manchmal wünschte er sich, der Arzt würde etwas finden. Etwas, dass dem Treiben vorzeitig ein Ende setzt.
Warteschleife, Warteschlange, Wartezimmer. Wie viel Zeit verbringt der Mensch mit Warten. Gustav muss an „Warten auf Godot“ denken und schmunzeln. Eigentlich hat auch er viel zu lange gewartet, bis er zum Handeln bereit war. Insgeheim hoffte er stets, dass ihm jemand die Entscheidung abnehmen würde. Doch niemand hätte ihm den Schlaftablettencocktail überreicht und auf sein Wohl angestoßen. Diesen letzten Drink wird er selber zubereiten müssen.
One for my Baby … and one more for the road.

Gustav muss an seinen Sohn Konstantin denken. Wie er von seinem Tod erfahren hätte. Wer hätte Gustav gefunden? Gar Konstantin selbst? Dieser Gedanke gefällt ihm gar nicht. Er möchte nicht, dass sein Sohn ihn so auffindet. Konstantin könnte sich sein Leben lang Vorwürfe machen, dass er sich nicht genügend gekümmert hätte. Doch das ist nicht Gustavs Absicht. Er will einfach mehr diesen Alltag ertragen müssen, doch dachte nicht an die Folgen so einer Tat.
Er wirft die Bettdecke zur Seite, steht langsam auf und macht sich auf den Weg ins Wohnzimmer. Ohne zu zögern nimmt er sich die Schlaftabletten und geht damit ins Badezimmer. Gustav öffnet zuerst das Tablettenfläschchen und dann den Toilettendeckel; er schüttet alle Tabletten hinein und betätigt direkt die Spülung.
Zurück im Wohnzimmer stellt er die Flasche Scotch und den Adventskranz auf den Esstisch. Dort möchte er später mit seinem Sohn anstoßen. Auf bessere Zeiten.
Es gibt noch eine weitere Form des Wartens, an die Gustav denken muss. Die Vorfreude. Genau diese empfindet er, wenn er an den heutigen Abend denkt. Die war ihm immer am liebsten, ein Garant für einen Grund zu Freude. Ein Happy End mit Ansage. Vielleicht war der Anruf seines Sohnes so eine Ansage.

Zufrieden geht er in die Küche, um sich an das Frühstück zu machen. Er bereitet die Kaffeemaschine vor, steckt zwei Toastscheiben in den Toaster und schüttet ein Glas Multivitaminsaft ein. Plötzlich hält er inne.
„Oh je. Ich brauch ein Geschenk.“
Gustav schaut auf die Uhr. Schaut so aus, als müsse er zurück in die Warteschlange.

19.

24.12.2013 | 08:00 Uhr
Norman überlegt sich, keine Unterhose anzuziehen. Überhaupt überlegt er, gar nichts drunter zu ziehen. Niemand würde vermuten, dass ein Weihnachtsmann, der einem im Supermarkt freundlich eine frohe Weihnacht wünscht, unter seinem Gewand nackt ist.
Heute ist sein letzter Arbeitstag. Bis zum späten Nachmittag muss er das Aushängeschild der Feiertage mimen, ehe für ihn nach Ladenschluß Weihnachten offiziell vorbei ist. Ein besonderer Kniff wie versteckte Nacktheit könnte den letzten Tag interessanter gestalten, doch er entscheidet sich dagegen – es sind schließlich Kinder unterwegs. Er wird nach Dienstende einen Elferkasten Bier mitnehmen und daheim unendlich viel Schokolade und anderen Weihnachtssüßkram vertilgen, bis ihm schlecht wird.
Mit ca. zwei Litern schwarzen Kaffee gestärkt steht Norman vor dem Spiegel und kontrolliert seine Verkleidung. Er hat an alles gedacht; Bart, Sack, Lesebrille, der rote Mantel, Stiefel und das kleine Namensschild vom Kaufhaus, wo „Weihnachtsmann“ draufsteht – damit auch der letzte Idiot weiß, worum es geht. Er denkt kurz an einen seiner Lieblingsfilme und sagt zu seinem eigenen Spiegelbild: „Redest Du mit mir? Du musst mich meinen, ist schließlich kein anderer da.“ Einen Atemzug später streckt er seine Brust raus und verkündet laut ein weiteres Zitat eines anderen Films: „Ja, sie mögen uns das Leben nehmen, aber niemals nehmen sie uns … UNSERE FREIHEIT!“
Die letzten zwei Worte ruft Norman so laut, dass er sich ein wenig dafür schämt. Er lässt von seinem Spiegelbild ab und will sich auf den Weg ins Kaufhaus machen, als er aus dem Augenwinkel seine Gaspistole im Regal liegen sieht. Er packt sie ohne zu überlegen in den Sack und verlässt die Wohnung.

Zum bereits dritten Mal trällert die Erkennungsmelodie des „A-Teams“ aus Daniels Handy. Doch dieser strengt sich enorm an, das Gedudel zu ignorieren. Anstatt ans Telefon zu gehen, flucht er lieber gähnend herum: „Gott, was soll das!? Es ist noch viel zu früh!“
Daniels Gemecker bringt nicht viel, denn plötzlich wird der Klingelton durch die Türklingel verstärkt. Aufgescheucht durch den Lärmterror schmeißt sich Daniel was über und geht fluchend zur Türe: „Wenn das die Zeugen sind, dann ist hier was los…“.
Er öffnet und vor ihm steht Marie. Sie ist beladen mit Brötchen und offensichtlicher guten Laune.
„Hi!“ strahlt sie.
„Ist heute irgendwas besonderes?“
„Hallo!? Heiligabend?“
„Fuck!“
„Ich freue mich auch, Dich zu sehen!“ Marie drückt ihm einen Kuss auf und sprintet an ihm vorbei Richtung Küche. Daniel trottet hinterher; er ist froh, dass seine Freundin ihn so überrascht. Außerdem hofft er, dass er seine Browserhistory am PC gelöscht hat.
„Die Brötchen sind noch warm … und ich dachte, ich helfe Dir ein wenig.“
„Was? Wieso? Wobei?“
„Dir fehlt doch noch ein Geschenk für meine Mom, oder?“
Diese Problematik hatte Daniel bis zu diesem Augenblick noch verdrängen können. Jedoch wollte er nicht einfach so zugeben, dass es ihm ernsthafte Sorgen bereitet.
„Ach, weißt Du … Ich habe da schon viele Ideen. Alles halb so wild!“ sagt er und versucht dabei enorm entspannt zu wirken. In derartigen Momenten wünscht er sich eine Sonnenbrille herbei.
„Und was ist das hier? Opfergaben für Ruth, hm?“
Sie hält die nahezu leere Geschenkliste für Ruth, ihre Mutter, in der Hand. Daniel fällt keine gute Ausrede ein und grinst Marie nur hilflos an.
„Wir schauen gleich mal, Schatz. Ich weiß schon, was ihr gefallen würde“, beruhigt sie ihn. „Aber zuerst … Brötchen!“
Daniel ist sichtlich erleichtert. Mit der Hilfe seiner Freundin wird es gewiss gelingen, einen guten Eindruck bei ihren Eltern zu hinterlassen. Während die beiden sich dem Frühstück widmen, zückt Marie ihr Handy und tippt schnell was ein. Wenige Sekunden später ertönt ein Nachrichtenton. Marie liest vor: „Schöne Grüße von meiner Mutter. Sie freut sich auf uns!“
„Oh, schön. Ja, ich mich auch. Hat sie sonst noch was geschrieben?“
„Sie findet Deine Liste mit den Opfergaben total lustig.“
„Was!? Du hast das doch nicht geschrieben, oder?“
„Doch, warum nicht? Ist doch witzig.“
Daniel schluckt. Er hat sich noch nie so sehr auf eine Shoppingtour mit seiner Freundin gefreut.

20.

24.12.2013 | 09:00 Uhr
Lena erschrickt. Der Radiowecker zeigt neben der Uhrzeit das No-Go-Datum an und sie ist immer noch daheim. Sie springt aus dem Bett und holt fix eine Trittleiter aus der Kammer, um sich ihren Koffer vom Kleiderschrank zu holen.
Sie legt den Koffer aufs Bett, öffnet diesen und beginnt Klamotten aus dem halb begehbaren Kleiderschrank gekonnt in den Koffer zu werfen. Mit Musik geht alles besser, drum unterbricht sie kurz und schaltet ihren Lieblingssender ein. Last Christmas. Sie schaltet direkt wieder ab.
Der Koffer füllt sich Stück für Stück, wobei Lena eine gute Mischung aus Sommer- und Winterkleidung auswählt. Ein neongrüner Bikini findet neben einem regenbogenfarbenen Schal Platz; die unverzichtbaren Flip-Flops wurden einfach in die Winterstiefel gequetscht. Lena muss sich kurz auf den prall gefüllten Koffer setzen, damit er überhaupt verschlossen werden kann – fertig. Sie schleppt das beinahe berstende Ungetüm in den Hausflur, bereit zur Abreise. Im Kopf hakt sie die übliche Liste ab bzw. geht den Fluchtplan durch. Demnach steht nun die schnellste Morgenroutine des Jahres auf dem Programm, wozu eine hastige Dusche und ein kaum gekautes Frühstück gehören. „Go Go Go!“ spornt Lena sich selbst an doch bleibt wenige Schritte später stehen. Einer der Weihnachtssterne, die sie vor wenigen Stunden am Fenster befestigte, strahlt sie an. Sie atmet durch. Alte Gewohnheiten und ein fast schon natürlicher Fluchtreflex hatten sie erneut im Griff. Dieser Gedanke gefällt ihr gar nicht. Sie möchte unbedingt den „Feind Weihnachten“ bezwingen und nicht mehr ständig das Gefühl haben, als ob der Weihnachtsmann ihr an die Kehle möchte. Sie nimmt sich vor, den Koffer nach einem entspannten Frühstück wieder zu leeren und sich dann weitere Vorbereitungen für einen ganz persönlichen Weihnachtsabend Marke Lena zu treffen.
Ihr fällt auf, dass sie eigentlich gar nichts weiter in der Wohnung hat. Nichts von alledem, was man so braucht. Tannenbaum, Geschenke, Dominosteine. Nichts.
Sie schaltet das Radio ein weiteres Mal ein. Es erklingt erneut ein Weihnachtslied, doch dieses Mal lässt Lena es laufen. Santa’s back in town.
„So so“, sagt Lena. „Dann wollen wir dir mal einen Besuch abstatten.“

„Malte! Warte, verdammt!“
„Wenn wir noch länger warten, sind die Tannenbäume weg!“
Peter hat sich verheddert. Er bekommt den Reißverschluss weder auf noch zu. Malte hingegen ist schon lange bereit für das Kaufhaus. Ein Ausflug, den Peter sich natürlich liebend gerne gespart hätte, aber was tut man nicht alles für den Haussegen.
Die beiden wollen in das nächste größere Einkaufszentrum, um Geschenke und einen Tannenbaum zu kaufen. Peter konnte Malte überreden, auf so Kram wie Schnee-Spray und Nussknacker zu verzichten, auch wenn ihm ein Verzicht auf die Geschenke lieber gewesen wäre.
„Weißt du eigentlich, wie teuer Lego-Steine sind? Das ist Wucher.“
„Aber Playmobil finde ich blöd.“
„Das sind Plastikbausteine! Plastik! Ich mein, wenn die aus Gold wären …“
„Peter, du willst doch nur Zeit schinden.“
„Nein! Der Reißverschluss klemmt wirklich.“
Es ist ihm sichtlich peinlich; normalerweise würde man vom kleinen Malte erwarten, dass er sich so unglücklich verfängt. Muss wohl in der Familie liegen.
„Wir müssen Mama auch was kaufen!“
„Oh je. Das stimmt. Wir wollten ja später eh zu ihr ins Krankenhaus.“
„Ich hoffe, du hast bereits eine Idee.“
„Was? Wieso ich? Sie ist deine Mutter!“
„Du kennst sie länger als ich!“
„Wir schauen einfach mal, okay?“
Peter zerrt ein weiteres Mal kräftig an seiner Jacke und löst endlich den verhakten Reißverschluss. Eins ist sicher: Nächstes Jahr wird er sich revanchieren, und sich bei einer solchen Jackensituation absichtlich einen Arm oder so brechen. Alles nur, damit seine Schwester ihn Weihnachten versorgen muss.
„Es kann losgehen. Bereit für das vollste Kaufhaus der Stadt, Malte?“
„Ja! Endlich.“ Malte lacht vor Freude laut auf.
„Können wir das schaffen?“
„Jo, wir schaffen das.“
Motiviert und fröhlich springen die beiden ins Auto.
Peter braucht ca. acht Minuten, um den Sicherheitsgurt im Auto zu befestigen.

21.

24.12.2013 | 10:00 Uhr

„Ich wollte noch eben nach einer Tasche für Betty suchen“, sagt Lilly zu Thorsten auf der Rolltreppe. Thorsten schweigt und bohrt stattdessen gelangweilt in der Nase. Sein Gesicht verrät, dass er sich offensichtlich über einen Fund freut.
„Die hatte sich eine Neue gewünscht“, ergänzt Lilly.
„Da kannste mal schön alleine gucken, Fräulein. Ich trinke gleich schön meinen Kaffee, dann kannste mein Geld verjubeln.“
Mit dieser Antwort hatte Lilly gerechnet. Ihr Plan ging auf. Während sie gleich ihren notorisch faulen Ehemann Thorsten irgendwo in einer Bäckerei für einen Becher Kaffee abstellen wird, kann sie in aller Ruhe die fertiggestellten Fotos beim Fotostudio abholen. Zum Glück haben sie im größten Kaufhaus der Stadt alles unter einem Dach. Außerdem ahnte Lilly, dass sie Thorsten mit der Ankündigung, etwas für die gemeinsame Tochter zu kaufen, genügend verschrecken würde. Die neue Tasche für Betty kam derweil heimlich via Online-Bestellung und ist bereits fertig verpackt für die abendliche Bescherung.
„Ich pflanze mich mal dahin. Beeile dich, okay? Und nicht zu viel ausgeben!“ sagt Thorsten und geht auf eine der unzähligen Back-Discounter des Kaufhauses zu. Lilly spart sich eine Antwort und sieht ihm nach, wie er sich seinen Weg bahnt. Während sich ihr Ehemann durch die Menschenmassen quetscht, beobachtet sie, dass Thorsten nahezu jedes weibliche Hinterteil, welches ihm unter die Augen kommt, genauer inspiziert.
Lilly kennt dieses Verhalten nur zu gut von ihm. Sie fragt sich, ob er ähnlich begeistert auf ihre aufreizenden Aufnahmen reagieren wird. Das sind schließlich die einzigen beiden Dinge, die noch irgendwie Leben in Thorsten einhauchen: Nackte Haut und Bier. Lilly ist zuversichtlich.
Sie sucht geschwind das besagte Fotostudio auf, welches eine Etage höher liegt. Der Fotograf erinnert sich noch gut an sie; Lilly war mit Herzblut bei der Sache und ganz außer sich vor Freude, als sie eine Vorschau der Fotographien auf dem Laptop-Bildschim sah. Die fertigen vergrößerten Drucke auf Fotopapier hauten Lilly nun endgültig aus den Socken. Thosten wird Augen machen und seine Frau nie wieder so ignorieren, wie er das die letzten Jahre gemacht hat. Heute Abend wird endlich alles gut.
Mit einem großen Umschlag verlässt sie kurz darauf das Studio, um ihren Mann abzuholen. Für einen kurzen Augenblick überlegt sie, ob er sie überhaupt vermisst. Ob er sie vielleicht sogar ausrufen lassen würde?
„Der kleine Thorsten möchte aus dem Kinderparadies abgeholt werden“?
Sie muss leise lachen.
„Da biste ja endlich. So viel Kaffee kann ich gar nicht trinken!“ meckert Thorsten, als Lilly sich ihm nähert.
„Tut mir leid, es sind noch andere Menschen hier, die was kaufen wollen. Zumindest einige davon müsstest Du ja bemerkt haben..“
„Was soll das denn heißen? Und was ist das für ein Umschlag?“
„Eine Karte für Betty. Für später!“
„Was zum Kuckuck? Nun auch noch Karten? Zeig mal.“
„Ist doch nur eine Karte. Lass einfach gut sein.“
„Zeig, Mensch!“
Mist. Damit hatte Lilly nicht gerechnet.

Nicht unweit sitzt ein älterer Herr auf einer der aufgestellten Bänke und trinkt genüsslich einen Kaffee aus einem Pappbecher. Er beobachtet das Geschehen um ihn herum.
Eine vierköpfige Familienkarawane, die unzählige prall gefüllte Einkaufstaschen schleppt. Ein junger Mann, der verzweifelt vor einer Parfümerie steht und sich nicht rein traut. Ein kleines Mädchen, welches dank eines Schokoladennikolauses ein Schokoladengesicht hat. Ein armer Kauz, der in einem Nikolauskostüm den ganzen Tag gute Laune verbreiten muss. Entnervte Gesichter, die sich auf den Sommer freuen, um über die Hitze zu meckern. Überglückliche Gesichter, die anscheinend wissen, was sie unter dem Tannenbaum an Geschenken erwartet. Verliebte Paare, die ihr erstes Weihnachtsfest gemeinsam verbringen werden. Shopper, die sorgfältig jeden Kassenbon verstauen. Zerstrittene Paare, die ihr letztes gemeinsames Weihnachtsfest miteinander verbringen werden. Eine junge Frau, die in der Menschenmenge verschwindet und es genießt. Ein kleiner Junge mit großen Augen, der bereits Material für kommende Wunschzettel sammelt. Überforderte Mitarbeiter, die mehr rennen als sonst was. Schneemänner aus Plastik, die niemals schmelzen werden. Eine junge Mutter, die ihr weinendes Kind tröstet, indem sie Grimassen schneidet. Ein Mann, der Konstantin ähnlich sieht.
Gustav könnte hier stundenlang sitzen und das Treiben bestaunen. So viel Leben auf einem Haufen. Er kann nicht fassen, dass er vor wenigen Stunden noch alleine in seiner tristen Wohnung für immer einschlafen wollte.
Doch Gustav ist nicht nur hier, um sich unter das Volk zu mischen. Er braucht noch unbedingt ein Geschenk für seinen Sohn Konstantin, der ja abends vorbei kommt. Nur was könnte ihm gefallen? Sie haben sich ewig nicht mehr gesehen. Gustav hat nur wage Ideen und könnte etwas Unterstützung gebrauchen. Einen Steinwurf entfernt von ihm steht ein junger Kerl, der als Nikolaus verkleidet vorbeilaufende Familien begrüßt und immerzu „Ho ho ho“ ruft.
Gustav zögert nicht lange, trinkt seinen Kaffee aus und geht auf den Mann in Rot zu.
„Entschuldigen Sie, Herr Nikolaus. Ich bräuchte mal ihren Rat, schließlich sind sie Experte in Sachen Geschenke, oder?“ sagt Gustav freundlich.
Norman dreht sich zu ihm und wundert sich. Das hatte ihn bis dahin noch niemand gefragt.

22.

24.12.2013 | 11:00 Uhr
Daniel schaut nervös auf seine Uhr. Viel Zeit bleibt nicht mehr, das passende Geschenk für die Mutter seiner Freundin zu finden. Die Geschäfte haben Heiligabend ja nicht ewig auf. Marie hat ihren noch fehlenden Kram bereits in einigen Einkaufstüten verstaut. Er nimmt sie zur Seite.
„Ich muss dich was fragen, Marie.“
„Solange du mich nicht fragst, wie du warst … nur zu!“
„Wegen dem Geschenk für Deine Mutter. Ich weiß nicht, was ich kaufen soll.“
„Das wissen wir doch schon.“ Marie lacht.
„Ist das so offensichtlich?“
„Du wirkst total verkrampft und als ob ich dich beim Onanieren erwischt hätte. Genau so nervös wie an dem Tag, an dem ich dich meinen Eltern vorstellte.“
„Wie kann man das vergleichen? Außerdem recherchierte ich nur im Netz!“
„Mit heruntergelassenen Hosen und einer Küchenrolle?“
Marie lacht Daniel an. Ihm ist zwar gar nicht nach Lachen zumute, aber ihre strahlenden Augen beruhigen ihn. Auch wenn sie ihn in vielen peinlichen Momenten ertappte, ist er froh, sie zu haben.
„Weißt du, ich habe einfach das Gefühl, dass Ruth mich nicht leiden kann.“
„Daniel! Das ist nicht dein Ernst.“
„In ihrer Gegenwart habe ich das Gefühl, dass jedes Wort und jede Handlung bewertet wird. Dass sie mich für den totalen Hampelmann hält.“
„Soll ich dir was verraten? Sie rief mich gestern an und fragte mich, was sie dir schenken soll. Rate mal, was ich hier in der Tasche habe. Sie war genauso ahnungslos und wollte dir auch das perfekte Geschenk geben.“
Daniel staunt. Marie muss einen der Momente genutzt haben, als er alleine in einer Chocolaterie nach der perfekten Opfergabe für Ruth Ausschau hielt. Als er gefühlte Stunden vor einem unfassbar hässlichen Schokoladenengel stand und überlegte, ob er ihn mitnehmen sollte.
„Gar nicht, schlecht. Gar nicht schlecht. Was ist es?“
„Du Scherzbold, als ob ich das nun verrate! Zudem hast du gerade schlecht über meine Mutter geredet.“ witzelt Marie.
„Sie wirkt manchmal aber auch spießig.“
„Spießig? Meine Mutter?“
„Ja! Sie schaute mich an, als ob ich in Hundekacke getreten wäre, als ich letztens euren Flurteppich lobte!“
„Wer lobt denn auch schon Teppiche, Schatz. Das war wirklich arg seltsam.“
„Komplimente sind nicht so meins.“
„Erinnerst Du Dich noch an den Tag, an dem wir uns kennenlernten? Die WG-Party? Du als Dionysos und ich als Cracknutte?“
„Ja, natürlich. Wie könnte ich das vergessen?“
„Die Idee zu dem Kostüm kam von meiner Mom.“
Endlich konnte auch Daniel wieder lachen. Damit hätte er nun gar nicht gerechnet. Vielleicht hat er die Situation tatsächlich komplett falsch eingeschätzt. Ruth könnte lässiger sein, als er je gedacht hätte. Er umarmt Marie und beide küssen sich. Die Welt scheint wieder in Ordnung und beide starten die finale Suche für ein passendes Geschenk.
„Ho ho ho! Frohes Fest euch beiden!“ ruft ihnen ein verkleideter Weihnachtsmann zu. „Danke, dir auch!“ grüßt Daniel fröhlich zurück.

Norman schaut den beiden Turteltauben ein wenig neidisch hinterher. So ganz anders als das Paar, die er noch vor wenigen Minuten beobachtet hatte. Die stritten unverblümt vor dem nahe gelegenen Café, so dass sich eine kleine Traube um sie bildete. Sie hatte irgendeinen Umschlag in der Hand, den ein Mann ihr lachend aus den Händen riss, Fotos raus zog und ihr vor die Füße warf. Nun sitzt sie alleine dort im Café, aber scheint nicht besonders traurig. Der Typ hingegen haute direkt ab und verschwand in der Menge.

„Betty? Ich bin es, Mama.“
Lilly ruft ihre Tochter an, um ihr alles zu erzählen. Vom Streit, von Thorstens Reaktion und von dem Geschenk, welches sie sich selbst gemacht hat. Sie wirkt trotz der Auseinandersetzung mit Thorsten, die einige Aufmerksamkeit auf sich zog, sehr entspannt und fast schon erleichtert. Ein heißer Kaffee dampft vor ihr, sie raucht dazu eine Zigarette.
„Ich habe mir selbst was Geniales geschenkt, womit wohl keiner gerechnet hätte. Ich habe mich von Thorsten getrennt, Frohe Weihnachten! Ja! Mein voller Ernst. Hier gerade im Kaufhaus. Da soll mal einer sagen, dass man beim Weihnachtsshopping viel zu viel Geld ausgeben würde.“
Sie schildert freudig erregt die Details vom Geschehen und überschlägt sich dabei fast. Betty, am anderen Ende der Leitung, ist baff und lauscht gespannt.
Thorsten bestand darauf, dass Lilly den Inhalt des Umschlags offenbarte, obwohl sie dazu nicht bereit war. Somit riss er ihr grob den Umschlag aus der Hand und warf einen Blick auf die Fotos, die er eigentlich erst am Abend zur Bescherung sehen sollte. Die erotischen Aufnahmen, die Lilly in verschiedenen Posen zeigen, lösten aber leider nicht die Reaktion in Thorsten aus, die sie sich erhofft hatte. Statt sich darüber zu freuen und eventuell sogar wieder etwas wach gekitzelt zu werden, reagierte Thorsten sehr herablassend und lachte Lilly sogar öffentlich aus. Er gröhlte übertrieben herum, hielt sich die Augen zu und machte sich lustig. Sein Schauspiel unterbrach Lilly, indem sie ihm sagte, dass es ein Abschiedsgeschenk sei. Sie wusste in dem Moment selbst nicht, woher das kam.
Von einer Sekunde auf die andere hörte Thorsten auf mit dem Getose. Er fragte nach, ob das ihr Ernst sei. Lilly sagte schlicht und einfach „Ja“. Daraufhin warf er ihr die Fotos vor die Füße und dampfte ab.
„Vielleicht freust du dich nun etwas mehr auf die Bescherung. Und ja, ich weiß. Das war schon lange überfällig“ lacht sie ins Handy und schaut dabei noch einmal auf eine der Aufnahmen, die eine neue Lilly zeigen.

Lena ist mittlerweile schon eine Stunde im Kaufhaus unterwegs und fühlt sich überraschend wohl in der unruhigen Menschenmenge. Obwohl sie im Sekundentakt angerempelt wird oder ihr irgendwer auf die Füße tritt, kann sie dem Treiben doch eine Menge abgewinnen. Wer hätte das gedacht? Zumal ihre letzten Last-Minute-Reisen zu Weihnachten oft ähnlich anstrengend waren. Fliegen ist alles andere als entspannend.
An einem Geschäft für Dekorationsartikel bleibt sie kurz stehen, um das Schaufenster zu betrachten. Eine hübsche Winterlandschaft ist zu sehen, mit einem kleinen Schneemann aus unzähligen Legosteinen. Direkt daneben ein paar Modellköpfe, die verschiedene Weihnachtsmützen tragen. Einer davon trägt ein scherzhaftes Rentiergeweih aus Stoff und Plastik. Lena muss grinsen und geht ins Geschäft.

23.

24.12.2013 | 12.00 Uhr
Es ist leicht, Weihnachten nicht zu mögen. Manche nervt es, dass sie noch weniger Parkplätze finden als üblich. Andere stört, dass sie über die Feiertage hinweg ihr Gewicht nahezu verdoppeln. Bei Norman ist die Abneigung recht offensichtlich. Als Weihnachtsmann verkleidet wird er gemocht und beachtet. Kinder schauen ihn erwartungsvoll und mit großen Augen an, während die Erwachsenen ihn freundlich grüßen. Ohne diese Maskerade wäre er ein Niemand; er würde vielleicht sogar stören, weil er eventuell einen Parkplatz besetzt. Als Norman würde er jetzt daheim sitzen und sich selbst bedauern. Warum muss ich Weihnachten alleine verbringen? Liebt mich denn niemand? Bin ich es nicht wert?
Norman kennt dieses Gefühl nur zu gut. Sein Selbstmitleid verwandelt sich ab einem gewissen Punkt in Aggression, die er meist mit Alkohol ertränkt. Ausleben kann er diesen Zorn nie, aber er verfolgt ihn in seinen Träumen, wenn er beispielsweise von einem Amoklauf im Einkaufszentrum träumt. Dem Einkaufszentrum, in dem er hier und jetzt steht. Mit einer Pistole, die er aus dem Sack zieht und wild um sich schießt. Genau die Pistole, die er heute morgen einsteckte, ehe er zur Arbeit ging.
„Sie würden mich beachten“, denkt er manchmal flüchtig, als er seine übliche „Frohes Fest“ Schallplatte abspielt. Dabei ist es nur der Neid auf all die Menschen, die abends im Kreise ihrer Lieben feiern werden. Die etwas haben, was ihm fehlt. Wärme, Zuspruch und Hoffnung. Das will er auch, doch weiß er nicht, wie.

Lena las einmal in irgendeiner Zeitschrift, dass Glückshormone automatisch ausgeschüttet werden, wenn man lächelt. Das würde bedeuten, dass sie sich selbst auf Knopfdruck glücklich machen könnte. Einfach so. Sie steht vor einem Spiegel in einem kleinen Modegeschäft und trägt ein recht albernes Rehgeweih, welches sie vor einer Stunde kaufte. Niemals hätte Lena gedacht, dass sie nicht flüchtet und sich stattdessen mitten ins Weihnachtsgetümmel stürzt. Es erstaunt sie noch mehr, dass es sich gar nicht so dramatisch anfühlt, wie sie befürchtete. Mit dem Rehgeweih auf dem Haupt übt sie ein zwangloses Lächeln. Gar nicht so einfach für sie, aber sie gibt nicht auf. Eigentlich muss sie mehr über den Versuch lachen.
Sie überlegt, was sie mit dem Rest des Tages anstellen könnte. Was macht man an Weihnachten, wenn man keine Familie zum feiern hat? Man könnte sich selbst beschenken. Diese Idee gefällt ihr so gut, dass sie spontan einen persönlichen Wunschzettel im Kopf zusammen stellt. Der Ort ist doch perfekt; ein Einkaufszentrum und lauter Sonderangebote werden gewiss selbst für sie was in petto haben.
Trotz aller neugewonnenen Zuversicht denkt sie an damalige Feste mit ihren mittlerweile verstorbenen Eltern zurück. Sie fehlen ihr so sehr, dass sie es kaum in Worte fassen kann. Ein Trost ist jedoch, dass sie niemals gewollt hätten, dass Lena den Rest ihres Lebens in Trauer verbringen soll. Mit diesen Worten im Hinterkopf und dem Geweih als Verstärkung grinst sie sich selbst an und flüstert leise: „Happy fucking Christmas, Lena. Zeit zum Shoppen.“

Ein kleiner Junge tippt Norman an.
„Ich glaube zwar nicht an dich, aber das Kostüm ist nicht schlecht“, sagt der kleine Malte.
Norman guckt dumm aus der Wäsche.
„Was ich schon immer mal fragen wollte … Lebst du wirklich am Nordpol?“
„Ho ho ho, Kleiner.“
„Ich bin Malte. Nenn‘ mich nicht ‚Kleiner‘. Ich bin schon acht!“
Norman wirkt überfordert. Er hat sicherlich hier und da Smalltalk führen müssen, doch ging es meist um Geschenke. Oft musste er nur an den nächsten Apple-Store verweisen oder Schokolade raus rücken.
„Wo sind denn deine Eltern, Malte?“
„Mama liegt im Krankenhaus.“
„Was? Und dein Vater?“
„Der ist schon lange weg.“
„Aber aber … Du bist doch nicht alleine hier, oder?“
„Boar, Weihnachtsmann. Natürlich nicht. Siehst Du den da vorne? Mit den vielen Tüten und dem Plastikweihnachtsbaum unterm Arm? Das ist mein Onkel.“
Malte zeigt auf Peter, der nicht weit entfernt sichtlich angestrengt mehrere Taschen und Tüten schleppt. Den besagten Baum aus Plastik hat er auch im Gepäck.
„Malte! Du sollst doch nicht einfach wegrennen!“ ruft Peter und nähert sich den beiden.
„Aber ich wollte den Weihnachtsmann begrüßen“, verteidigt sich Malte.
„Hallo, ich bin der Weihnachtsmann“, stellt sich Norman vor und merkt beim Aussprechen, dass er sich das auch hätte sparen können.
„Angenehm, ich bin Peter. Malte kennst Du ja bereits. War er denn auch artig?“
„Mein Gott, Peter. Das ist ein Mann in Verkleidung. Der echte Weihnachtsmann hängt bestimmt nicht hier im Einkaufszentrum rum“, wirft Malte ein und verdreht die Augen.
Die drei müssen lachen.
„Du bist echt ein cleverer Bursche, Malte“, sagt Norman.
„Das ist er wirklich. Aber wir müssen nun auch weiter. Sonst haut mich meine Schwester, wenn wir sie noch länger warten lassen. Außerdem haben wir noch einiges vor“, sagt Peter und nickt seinen Tragetaschen zu.
„Frohe Weihnachten, gut verkleideter Weihnachtsmann“, sagt Malte.
„Euch auch. Grüß deine Mutter von ihr und wünsche ihr eine gute Besserung.“
Malte verschwindet direkt mit dem schnaufenden Peter im Getümmel, während Norman noch hinterher winkt. In diesem Moment vergisst er seine schlechten Träume und denkt an seine eigene Kindheit; an all die süßen Augenblicke, die er Heiligabend erleben durfte. An den Weihnachtsmann hatte er auch recht früh nicht mehr geglaubt, auch wenn ihm seine Eltern das Gegenteil weismachen wollten. Das waren magische Jahre.

Gustav nimmt einen Umweg. Eigentlich wollte er das Einkaufszentrum schon verlassen haben, doch er wollte sich beim Weihnachtsmann bedanken. Er hatte ihm einen guten Tipp gegeben, wo er ein Geschenk für seinen Sohn Konstantin auftreiben könnte. Ein kleiner Junge geht an ihm vorbei, neben ihm ein Mann, der eine Menge Zeug eingekauft hat. Sogar ein Weihnachtsbaum aus Plastik ist dabei. „Bestimmt Vater und Sohn“, denkt sich Gustav und freut sich umso mehr auf den Abend mit Konstantin.
Wie konnte er nur jemals die Hoffnung verlieren? Sicherlich hat das Weihnachtsfest einen Beigeschmack von Konsumschlacht, viel zu vielen Kalorien und einem öden TV-Programm. Doch führt das Fest wenigstens einmal im Jahr alle zusammen. Weckt etwas oft Vergessenes in uns. Wenn man es zulässt. Man kann es als Kitsch abtun, oder sich einfach von der Magie anstecken lassen.

Es wird langsam leerer im Kaufhaus. Norman schaut auf die Uhr.
Bald Feierabend.

24.

24.12.2013 | 13:00 Uhr
Über die Lautsprecher des Kaufhauses ertönt wohl zum letzten Male in diesem Jahr „Last Christmas“. Die Geschäfte schließen bald und die unzähligen Weihnachtsartikel werden die Regal verlassen. Sämtliche Plastiktannenbäume werden wieder in Lagerräume verstaut und aus Schokoladennikoläusen werden Schokoladenosterhasen.
Weihnachtsmann Norman muss nur noch eine Stunde in seiner Rolle verweilen, ehe er den Bart und das rote Gewand endgültig ablegen kann. Wobei sich das nun anders anfühlt, als die letzten Tage zuvor. Ein Teil von ihm möchte nicht aufhören, möchte nicht wieder zum Niemand werden. Am liebsten würde er auch direkt als Osterhase weitermachen, aber dafür ist es wohl noch zu früh.
Der ältere Herr, der ihn bereits im Laufe des Morgens ansprach, steht wieder vor ihm. In seiner Hand eine Tragetasche. Er scheint bestens gelaunt.
„Ich wollte mich schnell bedanken. Ohne den heißen Tipp wäre ich hier wohl verschütt gegangen“, sagt Gustav.
„Habe ich gerne gemacht. Zumal ich so oft nach dem Weg oder nach Geschäften gefragt werde, dass ich mir einiges merken musste. Was ist es denn geworden?“
„Oh, ich würde es gerne zeigen, aber es ist bereits verpackt. Ich habe ein Schachspiel gekauft. Ein edles, keine Plastikware. Mein Sohn kommt heute Abend zum Essen und ich hoffe, dass er sich zu einer Partie überreden lässt.“
„Klingt gut. Ich habe zwar keine Ahnung von Schach, bin dafür aber unschlagbar beim Mau-Mau.“
„Ha! Auch nicht schlecht. Ich wollte noch unbedingt loswerden, dass ich früher auch mal als Weihnachtsmann arbeitete. Nur war es ein kleiner Fotoladen und nicht so ein gewaltiges Kaufhaus.“
„Auch in so einem Kostüm? Acht Stunden am Stück das Gute in Person mimen, obwohl man manchen Leuten am liebsten … na, Sie wissen schon. Aber dafür wird man ja nicht bezahlt.“
Gustav lacht herzlich auf. Norman hätte nicht gedacht, dass er so witzig sein kann. Vielleicht sollte er neben Weihnachtsmännern und Osterhasen auch Clowns in Betracht ziehen.
„Ich hoffe, Ihr Sohn wird sich über das Geschenk freuen. Vor allem hoffe ich für Sie, dass er nicht heimlich geübt hat und Sie gnadenlos abzockt“, witzelt Norman weiter.
„Nein, nein. Das passt schon. Außerdem habe ich auch geübt. Und Sie? Feiern Sie mit der Familie?“
„Ich werde wohl alleine feiern. Meine zukünftige Frau hat sich noch nicht im meinem Leben blicken lassen und somit lässt der Nachwuchs auch noch auf sich warten.“
„Zu traurig. Ein Ratschlag von mir, wenn Sie erlauben: Nichts erzwingen. Weder zwanghaft suchen noch verzweifelte Versuche wie Speed-Dating. Es wird Sie finden und alles wird gut. Sie lachen!“
Norman lachte tatsächlich. Eigentlich wäre das sein Text, schließlich ist er der Weihnachtsmann und er müsste den Leuten kluge Weisheiten und Ratschläge mitgeben.
„Entschuldigung. Aber ich denke, sie haben recht. Nur im ersten Moment klingt es verdammt schwierig“, sagt Norman.
„Wenn es einfach wäre, wäre es eventuell ohne Wert. Bleiben Sie am Ball, sonst setzt man sie Schachmatt.“
Plötzlich dämmert es Norman, warum er nie das Durchhaltvermögen hatte, die Schachregeln zu lernen. Vielleicht bekommt man nicht alles geschenkt. Zumindest die wichtigen Dinge. Trotz Bescherung.
„Ich werde mal weiter. Das Abendessen muss noch gekocht werden. Und Sie haben bald Feierabend. Trotz allem ein paar wunderbare Feiertage!“ verabschiedet sich Gustav und zieht von dannen.

Lena konnte sich nicht entscheiden. Von daher schenkte sie sich selbst eine Handvoll Gutscheine einiger Geschäfte, die sie nach und nach einlösen kann, wenn ihr danach ist. Sie schlendert die immer leerer werdenden Gänge des Kaufhauses entlang und versucht, die Gedanken der Leute um sie herum zu deuten. Sind sie wirklich happy? Oder verfluchen sie den heutigen Tag? Lena hat mit ihrem erzwungenen Lächeln zwar einiges an Glücksgefühl gewonnen, doch sie ahnt, dass nichts mit „Schenken“ mithalten kann. Geschenke erhalten ist sicherlich auch schon großartig. Besonders, wenn es groß, selten und vor allem teuer ist. Aber insgeheim wissen die meisten, dass es das Schönste ist, geliebten Person etwas zu schenken. Leider hat sie diese beim Shopping nun nicht gefunden.
Zu gerne würde sie mit so manchem Paar tauschen, welche an ihr vorbeigehen. Dieses Glücksgefühl macht Tage und Zeiten wie diese aus. Ärgerlich nur, dass die gesamten Singles sich um Weihnachten herum in ihrem Heim verschanzen und in ihrer Einsamkeit nicht auffallen wollen. Lena würde sich über Gleichgesinnte freuen. Bestimmt würde sie sogar einen der erworbenen Gutscheine einlösen, insbesondere den einen für ihr Lieblingsweingeschäft. Weihnachten hat für Lena nichts Bedrohliches mehr, der Schrecken scheint besiegt. Wobei ihr gerade einfällt, dass sie den „Endgegner“ höchstpersönlich noch gar nicht gefunden hat. Den Weihnachtsmann.

Eine Durchsage erschallt aus den Lautsprechern:
„Sehr verehrte Kunden, so langsam müssen wir unsere Pforten leider schließen. Wir hoffen, dass Sie ihre Wünsche bei uns verwirklichen konnten. Falls nicht, können Sie auch nach Ladenschluß unserer Website aufsuchen. In jedem Falle wünsche wir Ihnen ein frohes Fest und erholsame Feiertage. Guten Tag!“
Frank Sinatra singt den letzten Song des Tages – „Have Yourself A Merry Little Christmas“.

Norman singt ein paar Worte mit. Es ist sein liebster Weihnachtssong. From now on, our troubles will be far away. Er winkt den letzten Einkäufern freundlich zu und ruft ein letztes Mal „Frohe Weihnachten!“; es wird ihm fehlen, er ahnt es bereits. Leise singt er weiter: „And have yourself a merry little Christmas now“.
Eine junge Frau biegt um die Ecke. Sie trägt ein wirklich albernes Rehgeweih auf dem Kopf, aber wirft Norman direkt ein Lächeln zu. Niemand scheint sie zu begleiten. Er bleibt wie versteinert stehen und lächelt zurück.
„Ich war nicht artig, Weihnachtsmann“, sagt Lena.
„Oh, ich auch nicht. Sag es keinem weiter, aber ich habe eine Pistole im Sack.“
Da war es endlich.
Das Lächeln des Rentieres.


photo credit: reindeer by Susanne Nilsson

Oliver Peters

Notorischer Schwarzmaler und Weltmeister im »Böse gucken«. Geboren am Niederrhein, verdorben durch den Rest der Welt. Mag Pandas, verabscheut Pendeln. Kontakt: Facebook, Twitter oder Email.

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Veröffentlicht von
Oliver Peters
Schlagwörter: Weihnachten

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