Freizeit

Doomscrolling – mit Lust und Laune lebensmüde lesen

Kaffee? Nein. Eine kalte Dusche? Mitnichten! Kaum bringt mich mehr auf Trab, als kurz nach dem Aufstehen meinen Nachrichten-Feed zu starten und munter die aktuellen Schlagzeilen zu inspizieren. Krieg! Krankheiten! Katastrophen! Noch mehr Krieg! Neue Krankheiten! Gib mir mehr Katastrophen! Macht das glücklich? Gute Frage. Auf jeden Fall befriedigt es etwas Unbestimmtes in mir, eine Art Drang nach Destruktion. Als ob ich den Lego-Todesstern direkt nach dem mühseligen Aufbau zerstörerisch gegen die Wand werfe.

Wenn das Schrecken kein Ende nimmt

Das Phänomen der Lust am Untergang nennt sich Doomscrolling oder auch Doomsurfing. Kurze Umschreibung:  wenn exzessiv negative Nachrichten im Internet konsumiert werden. Der Begriff schlug erstmals 2018 bei Twitter seine Wellen, wobei Ereignisse wie z.B. Trump und Corona trugen zur Popularität beitrugen. Ein typisches Problem beim übertriebenen Doomscrolling kann nicht nur die sehr eingeschränkte Weltsicht bzw. das Meinungsbild sein. Vielmehr geraten LeserInnen in die Gefahr, den dämlichsten Fake-News aufzusitzen, mit der die Verursacher um die Aufmerksamkeit und die Klickzahlen buhlen.

Aufmerksamkeit im Internet bedeutet meistens hohe Klickzahlen und diese Klicks wiederum bringen Kohle. Das wissen nicht nur die Schlawiner mit den ausgedachten Fake-Geschichten, sondern auch die großen Medienportale, die sich hinsichtlich ihrer Berichte und Faktenchecks bei einer saftigen Ohrfeige von Will Smiths kaum noch bremsen wollen – nur um ein Beispiel zu nennen. Wie soll da der neugierige Internetsurfer (Sagt das heutzutage noch irgendwer?) noch seinen Gemütszustand retten, wenn es immer nur negative Schlagzeilen hagelt? Ich persönlich würde ja zum Verzicht raten, aber nachher bekommt man die neueste Pandemie-Verordnung nicht mit – und muss sich letztendlich mit empörten Mitmenschen auseinandersetzen.

Doomscrolling, um sich selbst besser zu fühlen

Vielleicht ist es die Lust an der Empörung. Kennt man ja vom Nachbarn, der nach 22 Uhr zu laut seine 90er Playlist abspielt oder gar am heiligen Sonntag seine Waschmaschine anschmeißt. Warum da aufhören? Ist doch viel geiler, wenn man sich über den Klimawandel aufregen kann. Über die nächste Pandemie, welche mich zum Horden von Klopapier zwingt. Oder es ist der Wunsch nach der Gewissheit, selbst nicht so scheiße zu sein, wie die Welt, die durch diese miserablen Schlagzeilen gezeichnet wird.

Bei mir würde das nicht so laufen! Wenn ich der CEO des Planeten Erde wäre, dann würde das alles nicht passieren. Lässt sich behaupten, oder? Dieser kleine Wunsch nach Ordnung und Gerechtigkeit, den man selbst beim Doomscrolling inne hat, wird beim Querlesen arg auf die Probe gestellt.

Womöglich hilft am Ende nur der Verzicht auf das frühe Smartphone-Ritual und die Rückkehr zur abendlichen Tagesschau. Eine Packung Negatives am Stück als den ganzen Tag über verteilt über viele kleine Häppchen. Macht gewiss auch satt, aber schafft wenigstens etwas Luft zum Atmen. Wobei ich mir persönlich wünsche würde, dass die Verursacher öfter mal was Nettes schreiben würde – dieser Blog ausgenommen.

Oliver Peters

Notorischer Schwarzmaler und Weltmeister im »Böse gucken«. Geboren am Niederrhein, verdorben durch den Rest der Welt. Mag Pandas, verabscheut Pendeln. Kontakt: Facebook, Twitter oder Email.

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Oliver Peters

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