Hatschi! Gute Besserung! Hatschi! Gute Besserung! Die Grippewelle schwappte über das Land und bescherte uns verstopfte Nasen und Hustanfälle. Nur eine Sache nervt umso schlimmer: wenn man von der Rotz-und-Keuch-Seuche verschont bleibt.
Neben mir tropfte es. Lautlos, aber ohne Unterbrechung. Genau genommen tropfte es aus der Nase des fremden Mannes zwei Stühle weiter. Ein weiteres Opfer der Grippewelle, alles andere scheint ausgeschlossen. Ich wollte mich am liebsten auf seinen Schoß setzen und mich mindestens dreizehn Minuten anschnaufen lassen. Nicht zu nahe kommen, das wäre einfach nur weird. Aber anstecken sollte er mich. Verstopfe meine Nebenhöhlen und lasse mich gelben Rotz spucken, Fremder! Auf das ich endlich dazu gehöre und mich nicht mehr wie ein Fremdkörper in diesem verseuchten Wartezimmer fühle.
Es begann mit harmlosen Fragen. Hast du die Grippewelle bereits hinter dir? Bist du geimpft? Nach einer Weile folgte das Misstrauen. Wieso wirst du nicht krank? Betest du Satan an? Verheimlichst du uns etwas? Letzeres wäre etwas übertrieben. Wobei: bei der Überschrift dieses Textes schwindelte ich geringfügig. Zwar heißt der Text »Grippewelle 2018 – ich war dabei«, aber tatsächlich erkrankt war ich nicht. Die Rotz-und-Keuch-Seuche zog eiskalt an mir vorbei. Selbst mit Viren überhäufte öffentliche Verkehrsmittel, vollgesiffte Automaten und Warteschlangen prallten an meinem nimmermüden Immunsystem ab. Ob es am Schnaps oder den Blutorangen lag, lasse ich zur Diskussion offen. Anfangs fühlte ich mich heldenhaft, doch nach und nach wandelte sich das Gefühl. Ich wurde zwangsläufig zum Außenseiter, weil ich nicht jeden Gesprächsverlauf mit einmal Schneuzen unterbrechen musste.
Besonders hart merkte ich die Nebenwirkungen meiner Gesundheit am Arbeitsplatz. Vollkommen auf mich allein gestellt musste ich den gesamten Laden schmeißen. Meine Kollegen waren allesamt krank geschrieben, die Aushilfen reichten eine AU auf unbestimmte Zeit ein und der Chef verlegte sein Büro auf eine Intensivstation. Hörte sich an wie ein Betriebsausflug. Selbst die Putzkräfte lagen flach, sodass ich nach der Arbeit noch hastig die Büroräume saugte. Es war schlicht und ergreifend unfair. An manchen Tagen übernachtete ich gar in der Firma, da teilweise die öffentlichen Verkehrsmittel still standen – die Fahrer waren erkrankt. Diese Grippewelle hatte meinen Alltag fest im Griff, doch an meiner Person hatte sie kein Interesse.
Gespräche und Telefonate mit Freunden waren sinnlos. Es war eh kaum ein Wort zu verstehen, wenn sie wie von Sinnen anfingen durch die Gegend zu husten. Außerdem stumpfte ich mit der Zeit ab und verspürte kaum noch Mitleid für die ganzen Schnupfnasen. Was mich aber richtig nervte, war das nahezu automatisierte »GESUNDHEIT!«, welches ich gefühlt alle drei Sekunden brüllen musste. Ständig nieste irgendwer und forderte somit meine ungeteilte Aufmerksamkeit ein. Nach ein paar Tagen inmitten zufälliger Grippewelle-Opfer lernte ich, gewisse Floskeln zu hassen. Allen voran »Gute Besserung«. Was für eine heuchlerische Scheiße. Ich sagte es zwar, aber im Grunde beneidete ich sie für ihre roten Nasen und glasigen Augen.
Auch ich wollte dazu gehören. Im Bett liegen, sich mit Ingwertee und Zuneigung trösten lassen, den gesamten Tag Netflix schauen. Kein Misstrauen mehr, weil ich kerngesund deren Einkäufe erledigte und sogar auf einen Mundschutz verzichtete. Drum blieb nur noch der Weg ins Wartezimmer der nächsten Arztpraxis. Vor dem Spiegel übte ich einige Hustanfälle und wartete vergebens auf eine verstopfte Nase. Ich wurde wütend nach Hause geschickt mit den Worten: »So Simulanten haben uns gerade noch gefehlt!«
Mittlerweile ist die Grippewelle allmählich abgeflacht. Die Leute sind wieder im gewohnten Alltagstrott, die Nasen sind frei und die Wartezimmer leerten sich. Ich kann das bestätigen, weil ich gerade drin sitze. Alleine, mit tropfender Nase und schleimigen Husten. Eine Arzthelferin verdrehte nur die Augen, als ich meine Beschwerden runter rasselte. Mein Boss schickte mich direkt hierhin, damit ich nicht alle anstecke. Ein Treffen mit Freunden musste ich gar nicht erst absagen, da ich schon längst ausgeladen wurde. Und ich hätte schwören können, dass ich einen fiesen Unterton vernahm, als man mir »Gute Besserung« wünschte.
Photo credit: benjaminasmith on Visualhunt / CC BY-SA
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