Vergiss »Hygge«, hier kommt Kalsarikannit. Das Gefühl, welches ein perfektes Wochenende beschreibt. In Unterhose, ohne Pläne, aber dafür mit Alkohol.
Die Finnen haben ein schönes Wort für Verwahrlosung: Kalsarikannit. Kalsariwas? Kann man das essen? Mitnichten! Eine Website namens »This is Finland« erläutert die Bedeutung des Wort für uns Unwissende. Das Gefühl, wenn man sich allein zu Hause, nur mit Unterwäsche bekleidet, betrinkt – ohne jegliche Absicht, noch auszugehen. Hey, Moment. Ist das nicht genau das, was ich suchte? Ein Wort, welches meinen unappetitlichen Gammelzustand an Wochenenden ins rechte Licht rückt? Anstatt mich peinlich herauszureden und aberwitzige Geschichten zu erfinden, kann ich auf die Frage »Hey, was machste am WE?!« entspannt und gleichzeitig stolz verkünden, dass Kalsarikannit auf der To-Do-Liste steht.
Aktuell werden ja gerne mal skandinavische Wörter importiert, um bestimmte Stimmungen zusammenzufassen. Als Beispiel ist das dänische Wort hygge zu nennen. Es steht für gemütliche Qualitätszeit und wird gerne von sämtlichen Wellness-Freaks sowie der Werbung rauf und runter genudelt. Wer wie ich die Schnauze von absurden Trends und Marketingideen voll hat und lieber drei Staffeln seiner Lieblingsserie an einem Wochenende anschaut, kann mit Kalsarikannit definitiv mehr anfangen. Wer hat schon Lust, jedes Wochenende komplett durchzuplanen und vor allem dabei eine Hose zu tragen? Nope, manchmal möchte man einfach nur liegen und … na ja … noch mehr liegen.
Drum nehme ich mir vor, meiner Lieblingsbeschäftigung einen neuen Namen zu geben. Ab sofort soll Kalsarikannit meine Wochenende bestimmen. Okay, streng genommen tat es das vorher schon, aber ich gab es nie zu. Insgeheim nehme ich an, dass die meisten Leute Kalsarikannit hinter verschlossenen Gardinen betreiben und demzufolge Social Media nutzen, um ein gehaltvolles und erfülltes Leben vorzutäuschen. Soll mir egal sein. Ich pelle mich bis auf die Unterhose aus meinen Klamotten und öffne eine Flasche Samtrot Kabinett. Kurz überlege ich, ob ich einen Film anwerfe, ein Buch zur Hand nehme oder mir John Coltrane über Kopfhörer gebe. Aber warum die Sache überstürzen? Ich schenke mir erst einmal ein Glas ein. Ob ich aus einer Blumenvase trinken sollte? Sieht doch keiner!
Dreieinhalb Stunden später ziert ein kleiner Rotweinfleck meine Unterhose. Das macht aber nichts, habe gerade die dritte Flasche angebrochen – für Nachschub ist gesorgt. Ein Blick auf die Uhr bringt mich nur zum Lachen. Solange der Tatort nicht läuft, ist der Montag noch weit genug entfernt. Mittlerweile haben sich einige besorgte Nachrichten auf dem Handy angesammelt. Lebst du noch? Was machst du so? Fragen, die wirken, als hätte die Mutter ohne anzuklopfen das Zimmer gestürmt. Ich antworte mit »Kalsarikannit, Baby« und spiele mit meinem kleinen Zeh. Endlich mal Zeit für die wichtigen Dinge im Leben. Qualitätszeit.
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