Freizeit

Lebensmodell mit Verfallsdatum

Dein Lebensmodell droht zu scheitern, ehe Dir überhaupt klar ist, wie es denn überhaupt aussehen soll. Kinder, Eigenheim, Vollbart – doch was folgt danach?

Ein Werbespot für eine Bank im Jahr 2016 würde wohl in etwa so aussehen: zwei bärtige Hipster der Generation Y laufen sich nach langer Zeit in einem Veggie-Burger-Café über den Weg, um direkt einen metaphorischen Penisvergleich zu starten. Aber anstatt wie in den 90ern »Mein Haus, mein Auto, mein Boot« zu brüllen, würden sie heutzutage wohl »Meine Selfies, meine Follower, mein Therapeut« sagen. Der Plan für ein gelungenes Lebensmodell ist heutzutage nicht mehr so einfach umsetzbar. Wer das nicht glauben mag, ist entweder unter 30 oder glaubt noch an den Weihnachtsmann.

Zum Scheitern verurteilt

Die typisch deutsche To-do-Liste: einen gut bezahlten Posten in einer populären Unternehmen inne haben, unter die Haube kommen, Nachwuchs mit Doppelnamen zeugen, ein Haus auf Pump kaufen, aufgrund eines Bandscheibenvorfalls früh in Rente gehen und abschließend Krebs oder Herzinfarkt. Wenn das mal kein Grund zur Vorfreude ist. Selten wurde so deprimierend gespoilert.

Natürlich ist der Weg dahin mit allerlei weiteren Problemen gepflastert. Sei es finanzieller Art, wenn total vergessene BAföG Rückzahlungen und nervige GEZ Gebühren anstehen. Oder wenn die Partnerschaft nicht so funktioniert, wie man es aus dem Elternhaus oder dem TV kennt. Erst befand man sich in einer offenen Beziehung und lebt wenige Monate später in Scheidung – zum zweiten Mal. Des Weiteren muss man sich mit Problemen auseinandersetzen, mit denen man in der Kindheit niemals gerechnet hätte, wie zum Beispiel die Freundesliste bei Facebook, Whatsapp-Nachrichten von Ex-Partnern oder dem Arschgeweih.

Ich > Der Rest der Welt

Die Blaupause für eine gelungene Lebensplanung, sofern man überhaupt eine anstrebt, scheint längst überholt. Bevor man sich jedoch in die lange Warteliste eines Therapeuten einträgt, sollte man sich fragen, was denn ein funktionierendes Lebensmodell sein könnte. Ist es überhaupt realistisch? War es das je? Vielleicht. Unsere Eltern kannten unter Umständen keine Jahresverträge und bekamen sogar noch Lohnerhöhungen und Weihnachtsgeld. Auch trennten sie sich nicht direkt, nur weil der Haussegen schief stand. Wobei es damals auch noch keine Dating-Apps gab.

Dennoch ist dieser Denkansatz der falsche Weg. Denn der oben geschilderte fiktive Werbespot entlarvt das eigentliche Problem. Das bewusste Scheitern beziehungsweise die Wahrnehmung des Verfehlens der Ziele stellt die Wurzel des Übels dar. Dieser ewige Vergleich. Sei es mit Deinen Kollegen, Deinen Freunden, Deinen Feinden oder gar Deinen Eltern. Natürlich wird man auf Dauer unglücklich, wenn man sich stets an den plakativen Erfolgen anderer Leuten orientiert.

Von wegen Zukunft

Solltest Du es schaffen, Deinen Narzissmus zur Seite zu räumen, kannst Du überlegen, was von Deinem Lebensmodell übrig bleibt. Vergiss den Job, der Dir hohes Ansehen garantieren soll. Sehe Deine Partnerschaft nicht als Mittel zum Zweck. Zeuge keine Kinder, nur um nicht alleine im Altersheim zu vergammeln. Kaufe Dir kein Haus, nur um Dich breit zu machen. All diese Dinge hast Du als vollwertiges Mitglied der Generation Y bereits umgesetzt. Dir ist klar, dass diese Ziele nicht mehr zeitgemäß sind, doch hast keinerlei brauchbaren Ersatz gefunden. Stattdessen sammelst Du Tattoos, Matches/Follower und Schnappschüsse.

Zurück zu den Hipstern im Café. In einem Artikel der FAZ aus dem Jahre 2008 wird gemutmaßt, dass sich Männer in einer »Modernisierungfalle« befinden. Der Spagat zwischen Beruf und Kinderwunsch war damals mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Ob sich diese Falle alleine auf die Männerwelt beschränkt, stelle ich in Frage. Großartig verbessert hat sich die Lage für beide Geschlechter nicht. Abgesehen von Prenzelberg gelingt eine moderne Interpretation des klassischen Lebensmodells kaum. Schlechte Aussichten für uns Normalos. Wobei ja nun offensichtlich klar sein dürfte, wer die Schuld an diesem Schlamassel trägt: die unerträgliche Verlogenheit der Medien und Banken der 90er.


Photo: Melancholia pt2 by Daniel Zedda, CC 2.0

Oliver Peters

Notorischer Schwarzmaler und Weltmeister im »Böse gucken«. Geboren am Niederrhein, verdorben durch den Rest der Welt. Mag Pandas, verabscheut Pendeln. Kontakt: Facebook, Twitter oder Email.

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Veröffentlicht von
Oliver Peters
Schlagwörter: MedienScheitern

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