Freizeit

»Danke, Merkel!« und weitere sinnlose Kommentare

Wie siegessicher sich die verschmähten Couch-Politiker fühlen, wenn sie »Danke, Merkel« ironiefrei in den sozialen Medien posten. Eindeutig ein Schrei nach Liebe.

Gestern war nicht mein Tag. Nicht nur, dass ich meine Unterbuchse verkehrt herum anzog. Nein, ich stürzte versehentlich die Treppe hinunter, schickte dummerweise einer Ex eine Freundschaftsanfrage und schnitt mich ganz böse am Kopierpapier. Danke, Merkel! Natürlich hätte ich auch die Schuld bei mir selbst suchen können, aber aufgrund meiner blinden Wut musste ratzfatz ein Sündenbock her. Wer eignet sich da besser als unsere Bundeskanzlerin? Sie ist es ja gewohnt; täglich bedanken sich tausende übersehene Aushilfspolitiker bei ihr, ersparen sich und uns zeilenweise Hate-Speech, indem sie uninspiriert »Danke, Merkel« schreiben. Oft frage ich mich, ob ein paar besonders Clevere ihren Lieblingsspruch via Copy-Paste zwischenspeichern, um jederzeit und blitzschnell mitreden zu können.

Eigenverantwortung? Dann doch lieber Anderen die Schuld geben

Zum Glück macht konternde (und gelungenere) Ironie das Gebrabbel der Wutbürger erträglicher. Zum Beispiel die Facebook-Seite »Danke Merkel« perfektioniert genau das, was ich zu Beginn dieses Beitrags versuchte. Der Kanzlerin aus Prinzip die Schuld in die Schuhe schieben, egal wie absurd die Umstände sind. Leider halten diejenigen Personen, die Merkel für schuldig erklären, abseits von ihrem Lieblingssatz nicht so viel von Ironie oder gar Eigenverantwortung. Im Gegenteil: manche Spezialisten setzen noch einen drauf und lassen sich alternative Sprüche einfallen, welche bei akutem Frust gepaart mit Einfallslosigkeit auf die Menschheit losgelassen werden. Allen voran das Statement: »Es wird immer schlimmer«. Da frage ich mich: was genau wird schlimmer? Wahrscheinlich das Wetter. Oder manche Körperpartien, auf denen unerwünschte Haare wachsen. Die Orientierung nach ein paar Bieren. Irgendwas wird sich schon finden, irgendein Auslöser für das Debakel, welches man sich unter Umständen selbst eingebrockt hat.

Wie gehabt: Hausarrest und Taschengeldkürzung

Ein weiterer Klassiker der erzürnten Social-Media-Meute: »Früher war alles besser«. Natürlich war es das, als Mami und Papi einem mit schützender Hand sämtliche Entscheidungen abnahmen. Ob bei solchen Kommentaren allerdings auf die eigene Kindheit verwiesen wird, kann ich nur spekulieren. Vielleicht befindet sich dort auch der entscheidende Knackpunkt. Möglicherweise wird die amtierende Kanzlerin mit einer Art Volksmutti verwechselt, gegen deren Entscheidungen sich besagte Wutbürger auflehnen. Frei nach dem Motto: »Ich will das nicht essen! Sie, die stets präsente Mutterfigur, muss schuld an meinem Versagen und Problemen sein. Ohne ihr Einmischen hätte etwas aus mir werden können! Und nun? Sitze ich hier und muss dennoch meinen Teller aufessen. Klarer Fall: Merkel muss weg

Schrei nach Liebe

Sinnlos. Zum einen, weil die von den Schuldsuchern auserkorene Erziehungsberechtigte die Kommentare eh kaum ernst nehmen sollte. Zum anderen, weil es ursprünglich um Obama ging und er sogar ironisch konterte und damit ein populäres Meme anheizte. Ich bezweifle, dass unsere Kanzlerin sich in einem ihrer Podcasts dem Thema widmen wird oder sogar lustig kontern würde: »Bitte, gern geschehen«.

Schade eigentlich. Man stelle sich vor, sie würde verkünden: »Lieber Wutbürger! Tut mir leid, dass deine Pizza zu lange im Ofen war. Zum Glück hast du es früh genug bemerkt, sonst wäre womöglich deine ganze Bude abgebrannt. Früher war es besser, als deine echte Mama noch für dich die Zeit stoppte. Aber … wir schaffen das, oder?«

Photo credit: mw238 on Visualhunt.com / CC BY-SA

Oliver Peters

Notorischer Schwarzmaler und Weltmeister im »Böse gucken«. Geboren am Niederrhein, verdorben durch den Rest der Welt. Mag Pandas, verabscheut Pendeln. Kontakt: Facebook, Twitter oder Email.

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Veröffentlicht von
Oliver Peters
Schlagwörter: RhetorikSoziale Medien

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