Schon mal an einer Gruppen-Diskussion teilgenommen? Am besten auf Facebook? Dann wisst ihr ja, wie verstörend ein solches Erlebnis sein kann.
Ich kann es nicht lassen. Jeden Tag logge ich mich in diese absurde Gruppe bei Facebook ein, um den neuesten Tratsch zu lesen. Man unterstellt mir deshalb schon eine beunruhigende Neigung zum Masochismus, weil ich mit dem Geblubber dort kaum was anfangen kann, mich aber zu gerne darüber aufrege. Zum Verständnis: Diese Gruppe stellt eine Art lokale Diskussionsrunde meiner Heimatstadt dar, ein Sammelsurium aus kitschigen Bilderstrecken/verlorenen Schlüsselbunden, kommerziellen Veranstaltungshinweisen und Hinweise, wann und wo geblitzt wird. Manchmal wird es auch besonders albern, wenn es mal wieder irgendwo geknallt hat.
Aktuell ist ein Thema besonders angesagt: ein neuer Fahrstuhl (der erste seiner Art) wurde am Bahnhof installiert. Die Meute ist ganz aus dem Häuschen. Ein Scherzbold kommentierte, dass für jede Fahrt mit dem Aufzug Extragebühren berechnet werden (»Eine Fahrt kostet 50 Cent, 10er Karte rauf 4,50 und runter 3,00 Euro«). Das Echo war erwartungsgemäß laut und verstörend. Für mich war aber besonders interessant zu beobachten, wie gewisse Personen in dieser Diskussion stets eine scheinbar unverzichtbare Rolle einnahmen. Ungefragt und voller Elan. Hier ist ein kleiner Querschnitt der von mir beobachteten Reaktionen auf den Kalauer am Morgen, der die Schildbürger bis in die Abendstunden schwer beschäftigte.
»Jetzt ernsthaft?! Die ticken doch nicht richtig. Ich soll dafür bezahlen, weil ich im Rollstuhl, gehbehindert oder einfach nur alt bin? Da kriege ich so einen Hals. Am Ende brauche ich noch eine Ausbildung oder mindestens eine fachgerechte Einweisung – die natürlich auch wieder ordentlich kostet. Ne, ne, so weit ist es schon gekommen! Abzocke, alles Abzocke!«
Man stelle sich an dieser Stelle irgendeinen grenzdebilen Smiley dieser furchtbaren (und erschreckend gut sortierten) Emoji-Sammlung vor, die Facebook für alle Liebhaber der einfachen Gedankengänge bereithält.
»Mein Onkel kennt da einen, der einen kennt, der bei der Stadt arbeitet. Der hat mir geflüstert, dass die Kommune seit langem Ebbe in der Kasse hat und sämtliche Möglichkeiten in Betracht zieht, um die Situation zu verbessern. Aber ich glaube nur teilweise daran. Denn wie wir alle wissen, sind die _________ (bitte irgendein beliebiges Klischee einsetzen) schuld an dem Verfall unserer Werte und somit der Aufzugmaut. Man braucht sich ja nur umschauen, überall wird draufgeschlagen. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis man für eine Fahrstuhlfahrt tief in die Tasche greifen muss. Außerdem … ist euch mal aufgefallen, dass wenn man das Bedienfeld des Aufzugs herumdreht und eine gewisse Tastenfolge eingibt, Satan persönliche fiese Verse flüstern hört?«
»Also ich mag es, wenn ich mal unten oder mal oben bin. Da zahle ich auch gerne extra. Besonders, wenn der dementsprechende Liftboy dabei ist. GRINS.«
Gudrun Moppelmeyer, Henrik Vorthenkopp, Heidi Schwanizski, Sean-Michael Müller, Hannelore Mitmirnicht, Otto Schlagmichtot – und wie sie alle heißen. Sie alle werden markiert, um wenigstens passiv als Gaffer an der Diskussion teilzuhaben.
»Verdammte scheiß Aufzüge! Ich würde zwar nie mit so einem Apparillo fahren (habe ja auch keinen Führerschein mehr, he he), aber nun erst recht nicht mehr! Das sollten übrigens alle tun, noch ein wenig Stolz und Eier besitzen. Aufzugboybott! Das wird den Halsabschneidern und raffgierigen da oben ganz schnell die Laune ruinieren. Und das soll Demokratie sein? Mich hat nie jemand gefragt, ob ich kein Bock mehr auf Treppen habe. Also nicht wundern, wenn demnächst mal ein sogenannter Defekt am Fahrstuhl ist, he he.«
»Ich möchte an dieser Stelle erst einmal allen Kofferträgern danken, die bisher den Job erledigten und fortan auf Jobsuche sind. Ihr habt was ganz Großartiges geleistet und ich schlage euch als Ehrenbürger vor. Außerdem will ich alle loben, die bislang mit ihren reichhaltigen Kommentaren diese Diskussion belebt haben und all nicht die vergessen, die sich um die unangebrachten Beiträge kümmern und sie ggf. löschen. Fühlt euch gedrückt und ich wünsche einen entspannten Feierabend.«
»Habe ich etwa schon die ersten Kommentare verpasst?«
»Vielleicht sollte man die Kommentarfunktion so lange abschalten, bis sich alle wieder beruhigt haben. Man sieht ja, was hier wieder los ist. Es wird langsam ungemütlich, wie man an der aggressiven Grundstimmung wieder merkt. Wir wissen nun ALLE, dass es nichts kostet und können uns wieder auf das Wesentliche konzentrieren. Übrigens habe ich weiter oben ein paar zuckersüße Bilder von meinem Welpen gepostet. Ich freu mich über Likes :)«
Photo: Facebook…| Thomas Leuthard | CC 2.0
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