Miteinander

Nicht in meinem Namen

Wenn in einem Streit der Vorname fällt, wird die Lage ernst

Wenn der Vorname fällt, wird der Ernst der Lage klar. Gerne wird die Macht des Namens in Debatten verwendet – oder um klammheimlich »Mindfuck« zu betreiben.

Nehmen wir mal an, du befindest dich in irgendeiner Diskussion mit einem Mitbewohner. Du hast dummerweise vergessen Klopapier einzukaufen oder so etwas in der Art. Auf dich wirkt dieses Thema lachhaft und wie reine Zeitverschwendung, für deinen Mitbewohner jedoch bedeutet es die Welt. Der Ernst der Lage wird dir erst bewusst, wenn dein Vorname fällt: »Aber FINN! Du hast damit meine Gefühle verletzt!« Zuvor noch belächelt wurde mit der Nennung des Vornamens Öl ins Feuer geschüttet. Wie wir alle wissen: wenn in einer Debatte der Vorname fällt, geht es um Leben und Tod.

Der Vorname als Druckmittel

Es ist anzunehmen, dass die Nennung des Vornamens in einem Streit gleichbedeutend mit »Nun hör mir doch mal zu, du Asi!« ist. Anders lässt es sich kaum erklären, wenn Streitende sich dieses Tricks behelfen, um auch mal zu Wort zu kommen. Das weckt direkt fiese Erinnerungen an die Kindheit, wenn Mutti einen beim Schabernack erwischt und ihren Wutanfall mit der Nennung des Vornamens einleitet. Diese Erziehungsmethode zeigte Wirkung; selbst heutzutage reagiere ich irritiert, wenn in Konversationen mein Name fällt. Beispiel:

»Hey, wie war Dein Wochenende?«
»Och, recht angenehm. War im Streichelzoo und fütterte ein paar Enten.«
»Das klingt gut, Oliver. Aber denkst Du, dass dies für die Enten förderlich ist?«

Als mein Name fällt, bleiben alle Uhren stehen und die Welt hält kurz den Atem an. Nicht nur, dass in meinem Kopf dramatische Musik spielt (»DöööDÖÖÖÖ« oder »STOP! Hammer Time«), es wirkt wie eine kalkulierte Provokation auf mich. Wer mich beim Namen nennt, muss es ernst meinen. Alles, was nach dem Vornamen gesagt wird, nehme ich kaum wahr. Deshalb stammele ich nur: »Lass mir meine Enten, okay?«

Namhafte Streitkultur

Die Macht, die von der Nennung des Vornamens ausgeht, wird neben Debatten auch in Gesprächen mit Personen deutlich, die eine bestimmte Autorität inne haben. Ein weiteres Beispiel: ich nehme an einer Teamsitzung teil und der Big Boss des Unternehmens ist auch zugegen. Es geht um Wachstum, Einnahmen und zukünftige Projekte. Sollte ich mich zu Wort melden, um einen Vorschlag einzubringen, wäre die erstrebte Reaktion des Chefs so: »Danke, Oliver. Dies ist durchaus ein Punkt, der beachtet werden sollte.« Mein spontaner Gedanke wäre: er meint mich! Mich allein! Wahrscheinlich gehen wir bald gemeinsam Golf spielen oder teilen ein Pausenbrot. Mein Ego würde sich grenzenlos gestreichelt fühlen.

Dabei ist der Chef schlicht und einfach ein Schlitzohr, welches um die Macht der Nennung des Namens weiß. Man baut vermeintliche Nähe auf, man stellt eine Verbindung her. Da ich selbst – das werdet ihr auf euch bezogen sicherlich ähnlich planen – mit der Unterwerfung der Menschheit liebäugele, werde ich in Zukunft alle Gesprächspartner beim Vornamen nennen. An der Kasse werde ich sagen: »Danke, Gabi«. Dem Ticketkontrolleur vertrauensvoll: »Hier ist mein Ticket, Günther«. Und meinen mitleidigen Arzt versichere ich: »Macht doch nichts, Stefan«. Wichtig ist nur, dass ich den Vornamen am Ende nenne, gegenteilig zum Streit. Sonst bleibt der Rest ja ungehört.

Oliver Peters

Notorischer Schwarzmaler und Weltmeister im »Böse gucken«. Geboren am Niederrhein, verdorben durch den Rest der Welt. Mag Pandas, verabscheut Pendeln. Kontakt: Facebook, Twitter oder Email.

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Veröffentlicht von
Oliver Peters
Schlagwörter: EgoismusEmpathieMacht

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