Miteinander

Dating für Introvertierte – geht das?

Introvertierte müssen nicht umgeben von Katzen alt werden! Eine Dating-App möchte gerne einsame Herzen zusammenbringen, aber geht der Plan auf?

Letztens doomscrollte ich gelangweilt und müde durch meine Instagram-App. Klar, passiert den Besten. Katzen, Pandas und Memes noch und nöcher, bis eine Werbeanzeige auftauchte: »Introvert Dating made easy. Find your Boo«. Freilich musste ich erst einmal googeln, was mit Boo genau gemeint sein soll. Ist das ein Jugendwort-Kandidat-des-Jahres für das Herzblatt, den Schwarm? Tatsächlich hat das wenig mit Ausbuhen oder dergleichen zu tun, es ist eine moderne Bezeichnung für den ausgelutschten Kosenamen Liebling.

Introvertierte erobern Herzen passiv

Dating für Introvertierte also. Die Unterschiede zum üblichen Dating (»Hallo, darf ich hier stehen?«) sind scheinbar so gewaltig, dass ein nigelnagelneues Netzwerk dafür erfunden werden musste. Wenn introvertierte Menschen sich durch Zurückhaltung und eine gewisse Passivität auszeichnen, dann sind die kontaktfreudigen NEXT! Personen wahrscheinlich wirklich bei Tinder und Co. aufgehoben. Nebenbei: woher wissen die, dass ich eher introvertiert bin?? Nur weil ich seit Jahren keine Selfies mehr poste? Frechheit.

Zugegeben: neugierig bin ich schon. Nicht, weil ich Bock aufs Dating-Drama habe, sondern ob die Unterschiede zu meiner damaligen Tinder-Eskapade spürbar sind. Wenn die Boo-Nutzer sich nicht nur gerne als introvertierte Personen bezeichnen, sondern wirklich deren Merkmale haben, könnte ein Austausch interessant werden. Es würde wahrscheinlich Wochen dauern, bis jemand ein mutiges »Hi« abschickt, direkt darauf folgt eine Entschuldigung »Sorry, wollte nicht stören oder Druck ausüben, haha. Alles gut, antworte wenn es Dir passt, aber hey, kein Zwang, Zwinkersmiley.«.

Immer noch besser als Telefonieren

Kommt ein Gespräch wider Erwarten doch ins Rollen, so hat die App den entscheidenden Vorteil, dass voraussichtlich der Chat das zentrale Kommunikationsmittel ist. Introvertierte hassen Telefonieren oder Gespräche im real life. Einfach jemanden ansprechen, weil man aufmerksam wurde? Im Leben nicht. Jede abgeschickte Nachricht in einem Messenger hat den Vorteil, sich notfalls raus reden zu können. »Oh, die Nachricht war nicht an Dich, haha« oder der ultimative Fluchtweg, die Blockieren-Funktion.

Ich habe meine Zweifel an diesem Boo-Netzwerk. Denn eins haben all die Introvertierten dieser Welt gemeinsam: sie hassen Dating. Warum sollten sie also eine App dafür installieren? Es scheint eher eine Einladung für all die verblendeten Persönlichkeiten zu sein, die sich gerne als etwas sehen, was sie nicht sind. Wie die meisten Leute, die sich selbst unrealistisch einschätzen. Ihr kennt das; die nervtötende Person, die sich selbst als humorvoll bezeichnet und den Unterhaltungsfaktor eines Furzkissens hat. Aber hey, sollten sich mit Boo zwei Seelen finden und sich gegen die extrovertierten Blender durchsetzen – ich singe und tanze auf eurer Hochzeit.

Oliver Peters

Notorischer Schwarzmaler und Weltmeister im »Böse gucken«. Geboren am Niederrhein, verdorben durch den Rest der Welt. Mag Pandas, verabscheut Pendeln. Kontakt: Facebook, Twitter oder Email.

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Oliver Peters

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