Senf

Dschungelcamp, typisch deutsch

Jahr für Jahr bietet das Dschungelcamp optimale Fernsehunterhaltung für Dich, mich und für die anderen sowieso. Warum das Erfolgsrezept immer wieder gelingt.

„Top, die Wette gilt!“ schallte es für mehr als drei Dekaden durch deutsche Wohnzimmer. Mama, Papa, Oma, Opa, Leon-Alexander und Jacqueline vereint und gespannt vor dem eckigen Kasten, als es noch keine YouTube-Stars gab. Da war noch was los! Die Familie fieberte mit und lernte dort schon, wie man das Geschehen im TV zu bewerten hat: Top oder Flop. Sollte der Typ nicht 1000 Kühe anhand ihrer Kuhfladen auseinander halten können, ist er eindeutig ein Verlierer. Schafft es jedoch das kleine Mädchen, 40 Lindenstraßen-Folgen anhand der ersten zwei Sekunden zuzuordnen, ist sie eine Heldin. So funktioniert die Welt, so bleibt es schön übersichtlich. Es entstanden unzählige Fernsehformate, in denen wir unser gelerntes Schubladensystem anwenden konnten: Talkshow-Lawinen, die uns den live übertragenen Vaterschaftstest bescherten bis hin den berüchtigten Gerichtsshows mit Pseudo-Justizalltag. Verlierer konnten innerhalb von Sekunden von den Gewinnern unterschieden werden. Einfacher wurde es nur noch in Gewinnshows, bei denen sogar akustisch nachgeholfen wurde.

Man sieht sich immer zweimal im Leben

Kaum einer rechnete mit der Rückkehr der Verlierer. Mittlerweile tummeln sich bekannte Gesichter, die ihre Erfolge bereits hinter sich haben, im Dschungel oder Big Brother Haus. Der Zuschauer findet sich ganz in seinem Element. Nun kann er erneut entscheiden, wer Top oder Flop ist.  Da viele der Zuschauer auf Erfahrungen zurückgreifen können („Ey! Den kenn ich doch aus dieser blöden Serie!“), wirkt die Neubewertung fast genauso motivierend wie beim ersten Mal. Idealerweise lässt der eine oder andere Star gar einen Vergleich zu, nach dem Motto: „Hatte sie schon immer so große Möpse?“
In keinem europäischen Land achtet man so sehr auf Erfolg wie in Deutschland. Man wird anhand seiner Leistung gemessen. Da in das Dschungelcamp eh nur Verlierer einziehen, kann selbst der größte Versager vor dem TV entspannt die Füße hochlegen. So übel wie für „die da im Dschungel“ wird es für ihn nicht mehr. Schließlich muss er keine „Dschungelprüfung“ überstehen, um am nächsten Tag etwas Warmes im Bauch zu haben. Stattdessen kann er sich ein Bier öffnen und bei Twitter seinen Unmut loswerden. Leider muss er oft bis zum nächsten Tag warten, bis er jedem Menschen persönlich verkünden kann, wie „furchtbar blöde“ er die Sendung findet.

Deutschland liebt Trash

Man sollte ohnehin mal die Frage stellen, warum Deutschland so sehr auf Trash steht. Sie nehmen Dieter Bohlen ernst, lesen Bushido-Biographien und klatschen zu DJ Ötzi-Beats im Takt. Um bei dem Dschungelcamp zu bleiben: es ist wenig überraschend, dass Walter Freiwald nun lange die Nase vorn hatte. Noch weniger überrascht es, dass Maren Gilzer ihn in Sachen Beliebtheit abgelöst hat. Denn sie hat alles geschluckt. Werfen wir einen Blick zurück in die 2014er Ausgabe der Sendung, sehen wir die Gewinnerin Melanie Müller, die auch jede noch so abartige Dschungelprüfung durchgezogen hat. Deutschland hat entschieden! Nur diejenigen, die was leisten, können wir gewinnen lassen. Die anderen dienen zur reinen Unterhaltung. Wir klatschen euch zu, aber Respekt müsst ihr euch durch das Essen von Kakerlaken verdienen.

Mut zur Lücke

Gartenzwerge, Pünktlichkeit und das Oktoberfest. Ist so eine Schwarz-Weiß-Sicht wirklich typisch deutsch? Wahrscheinlich nicht. Jedoch hört man immer wieder diese Klage nach der größer werdenden Lücke zwischen den Schichten. Die Reichen werden durch bloßes Absitzen reicher, die Armen sammeln Pfandflaschen, um ihre Rente aufzustocken.Vielleicht liegt der Ursprung dieser Spaltung nicht in der Gesellschaft, sondern in unseren Köpfen. Dieser ewige Zwang, Dinge in gut oder schlecht einteilen zu müssen. Erst wenn wir beide Seiten akzeptieren lernen, können wir auch jemanden feiern, der nicht gerade während einer Dschungelprüfung einen Kamelpimmel schlucken muss. Natürlich nahezu unmöglich in einer Zeit, in der die Familie nicht mehr gemeinsam im Wohnzimmer, sondern dank ihrer Tablets und Smartphones mit Bandscheibenvorfällen in der Notaufnahme hocken.


photo: hongkong by vince42

Oliver Peters

Notorischer Schwarzmaler und Weltmeister im »Böse gucken«. Geboren am Niederrhein, verdorben durch den Rest der Welt. Mag Pandas, verabscheut Pendeln. Kontakt: Facebook, Twitter oder Email.

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Veröffentlicht von
Oliver Peters
Schlagwörter: FernsehenMedien

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