Senf

Cuki sieht schwarz

Da fällt mir ein: habe ich bereits über den Suizidversuch eines lebensmüden Wellensittichs berichtet? Nein? Sorry, folgt sofort!

Ich bemerkte, dass etwas mit Cuki nicht stimmen konnte. Er hat seine nigelnagelneue Hirsestange immer noch nicht angerührt. Außerdem lagen ungewöhnlich viele Federn zwischen all den Kotkrümeln verstreut auf dem Käfigboden. Da stimmte etwas ganz gewaltig nicht. Cuki ist übrigens mein Wellensittich und ich glaube, er hat Depressionen.

Verdächtig war sein Verhalten ja schon immer. Wie oft habe ich ihn in der Mikrowelle erwischt. Oder im Backofen. Er erhoffte sich wohl, dass ich ihn schlaftrunken übersehe und mir was Essbares via Mikrowelle oder Ofen zubereite. Da musste ich ordentlich mit ihm schimpfen, denn die Sauerei möchte niemand saubermachen. Oder das eine Mal, wo er es in den Kühlschrank schaffte. Hätte ich mir nicht an jenem Abend im Halbe-Stunden-Takt ein Bier raus geholt, wäre Cuki wohl als Eiszapfen geendet.

Überhaupt gelang es ihm stets aufs Neue in die unterschiedlichsten Haushaltsgeräte zu gelangen, nur um seinem Vogelleben ein Ende zu setzen. Er wollte getoastet werden; gemixt, geschleudert, gepresst, gebraten, frittiert, gespült, gedrechselt und einmal lungerte er sogar im Waffeleisen rum. Zum Glück benutze ich viele Geräte davon kaum, so dass er sich oft frustriert wieder in den Käfig begab.

On the road again

An sommerlichen Tagen war es schon schwieriger. Da ließ ich schon mal das eine oder andere Fenster auf und er flog direkt raus auf die kleine Landstraße vor unserer Haustüre. Zum Glück fährt da so gut nie jemand lang; dennoch platzierte sich Cuki lauernd auf der Fahrbahn. Seltsam wirkte: Er machte das immer in meinem Blickfeld. Als ob ich unbedingt miterleben sollte, wenn er stirbt. Wollte er mir ein schlechtes Gewissen bescheren? Dass ich mich nicht genug um ihn kümmere? Daher seine Depressionen?

Wir besuchten daraufhin einen Tierpsychologen, den wir via Internet ausfindig machten. Irgendwas musste doch möglich sein, um Cuki wieder Mut zu machen. Und wenn es sogar die etwas teureren Marken-Hirsestangen sein mögen – das wäre es mir wert gewesen.

Der tierische Seelenklempner zog das übliche Programm durch. Verabreichte ihm Antidepressiva, deren Nebenwirkungen (Ohnmacht und Übelkeit … Cuki fiel von der Stange in seine Kotze) noch größere Probleme brachten. Eine Gesprächstherapie zeigte auch nur mäßig Erfolg, da ich mit Cuki nur ein Wort einstudiert hatte: Seinen Namen.

Der letzte Versuch war eine Durchleuchtung seines Alltags. Drum fertigte ich eine Art Tagesablauf an, um Cukis aufregendes Leben zu protokollieren. Auf der Stange sitzen. Fliegen. Auf der Stange sitzen. Suizidversuch. Fliegen usw. usf.

Ende in Sicht

Das ganze ist nun ca. drei Wochen her. Mittlerweile ist Cuki wie ausgetauscht und quietschfidel. Keine Überraschungsmomente mehr, wenn ich den Sandwichtoaster öffne. Keine Versuche mehr, von einem vorbeifahrenden Pizzataxi überrollt zu werden. Alles dank eines guten Ratschlags vom Tierpsychologen. Denn er legte mir nahe, einfach mal den Fernseher, der im selben Raum wie Cukis Käfig seinen Platz fand, in ein anderes Zimmer zu verlegen. Meine Vorliebe für Unterschichtenfernsehen muss Cuki derartig gefrustet haben, dass er lieber den Freitod wählte, als noch eine einzige Folge mit irgendwelchen beziehungsunfähigen Volltrotteln zu sehen.

Und wie sich mein Leben dadurch auch zum Besseren wandelte! Seit dem der Fernseher nun in der Küche steht, brauche ich nicht mehr im Halbe-Stunde-Takt aufzustehen. Nun schaffe ich es auch in 25 Minuten.


photo: Nicki close-up by Marc Wellekötter

 
Oliver Peters

Notorischer Schwarzmaler und Weltmeister im »Böse gucken«. Geboren am Niederrhein, verdorben durch den Rest der Welt. Mag Pandas, verabscheut Pendeln. Kontakt: Facebook, Twitter oder Email.

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Veröffentlicht von
Oliver Peters
Schlagwörter: DepressionTiere

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