Letztens besuchte ich eine Tanzschule, um erschreckende Tatsachen zu entdecken: dort wird ernsthaft zur Pur oder gar Helene Fischer getanzt! Doch das Allerschlimmste war: ich machte mit. Hier ist ein Geständnis unter Tränen.
Ich muss etwas gestehen. Ja, ich habe zum berüchtigten »Party Hitmix« der Gruppe Pur getanzt. Jener Gassenhauer, der in jeder Dorfdisse gespielt wird, wenn Helene Fischer gerade verklungen ist. Der Song, zu dem sich ältere Herrschaften Mut antrinken, um viel jüngere Frauen auf die Tanzfläche zu zerren. Den viele lieben, aber mindestens genauso viele hassen. Ich gehöre zu letzteren Gattung, obwohl ich dazu das Tanzbein schwang. Ich kann aber nichts dafür, ehrlich! Es war im Zuge meiner ersten Tanzstunde und die Lektion »Discofox« brauchte musikalische Untermalung. Ist sich Hartmut Engler eigentlich bewusst, was er da angerichtet hat? Wahrscheinlich hat er meine Absichten geahnt und reibt sich diabolisch die Hände.
Nadine war der Meinung, dass uns etwas Bewegung gut tun würde. Scheinbar reichte ihr der Gang zum Kühlschrank nicht mehr, beziehungsweise es nervte, dass wir bereits durch das Öffnen einer Gouda-Packung außer Puste waren. Sport ist uns jedoch zuwider und ein Besuch im Fitness-Studio lachhaft, also kam sie auf die glorreiche Idee, einen Schnupperkurs in einer Tanzschule zu buchen. Da ich gerne mal wieder meine Füße sehen würde, stimmte ich zu. Hat außerdem den Vorteil, dass wir im Fall der Fälle total heiße Moves aufs Parkett legen könnten. In der Theorie zumindest.
Meine erste Lektion war es, meine Freundin in die Hände von fremden Männern zu geben. Tanzlehrer Klaus schnappte sich kurz nach der Begrüßung Nadine, um mir ein paar Grundschritte zu demonstrieren. Eins, zwei, drei, Tschack. Eins, zwei, drei, Tschack. Easy! Das sah absurd einfach aus, sodass ich ihn direkt weg schubste, um es selbst zu probieren. Drei, eins, Tschack, Moment mal? Nadine verdrehte die Augen und ich wünschte, wir wären ins Fitness-Studio gegangen. Zum Glück hatte der Lehrer eine Lösung parat. »Denk einfach an Bierkästen«, empfahl Klaus. Kinderspiel, ich löse eh alle schwierigen Fragen des Alltags auf der Grundlage von Bier. Meine Schritte sollte nicht größer werden als ein handelsüblicher Bierkasten. Dank dieser ausgefeilten Technik lernte ich innerhalb von 15 Minuten Cha Cha Cha, Walzer und Discofox. Nadine war erleichtert, dass ich mir nicht die Beine brach und ich fühlte mich wie Fred Astaire.
Jeder, der schon einmal an einen Kurs einer Tanzschule teilgenommen hat, kennt die blanke Panik in den Gesichtern der anwesenden Herren. Ihre Blicke sagen: »Ja, meine Freundin hatte das letzte Wort und deshalb stehen wir nicht am Grill, sondern hier auf dem Parkett. Spare dir jeglichen Kommentar!« Ich hätte mich mit Leidensgenossen verbrüdern und eventuell zur Revolte aufrufen können, doch Klaus ließ unsere Beine nicht still stehen. Während ich versuchte zu schnellen Cha Cha Cha-Rhythmen Schritt zu halten, hatte Nadine sichtlich ihren Spaß. Lag es an meiner sichtbaren Überforderung oder am Tanz? Manche Dinge sollte man nicht ansprechen.
Das gilt übrigens auch für Tanzlehrer Klaus. Naiv ohne Gleichen fragte er in die Runde, welches Lied zur folgenden Lektion Discofox gespielt werden sollte. Eine Tanzkursteilnehmerin schrie vollkommen ironiebefreit »Atemlos«. Nadine und mir stockte tatsächlich der Atem. Das Dilemma wurde verschärft, weil irgendein anderer Teilnehmer lauter brüllte und den »Party-Hitmix« von Pur forderte. Selbst Klaus reagierte angewidert, doch beugte sich der sadistisch motivierten Wahl. Die ersten Zeilen erklangen: Du bist nicht hart im Nehmen, du bist beruhigend weich. Was willst du uns damit eigentlich sagen, Hartmut Engler?
Bierkästen, Bierkästen, Bierkästen, Tschack. Erschreckend, wie gut diese Tanztechnik selbst bei den Evergreens der Dorfdissen funktioniert. »Ich lieb‘ mich in dir fest. Wooh, wenn du mich nur lässt«. Nadine und ich spürten schnell, das Gegenwehr keine Wirkung zeigte. Wir warfen uns einen »Fuck-it-Blick« zu und fegten über das Parkett, als ob »Smack my bitch up« und nicht Pur im Hintergrund laufen würde. Leider haben die Texte und Melodien des Hitmixes eine unangenehme Ohrwurm-Wirkung. Wenige Sekunden genügten, um sich in mein Unterbewusstsein zu brennen. Die nächsten Tage werde ich »Ein graues Haar, wieder geht ein Jahr« auf dem Klo summen. Bis dahin tanzten Nadine und ich weiter Bierkästen, als wir endlich erlöst wurden. Zum Glück nahm Pur nie einen einstündigen »Super-Mega-Party-Ultramix« auf.
Trotz aller Hindernisse (wie zu große Füße) möchte ich uns loben: wir tanzten gar nicht mal so scheiße. Tanzlehrer Klaus spoilerte bereits die zweite Stunde, die in Kürze ansteht. Samba, Tango und eine saftige Wiederholung der bisher gelernten Grundschritte. Als wir das hörten, blitzten wir uns gegenseitig an – mit Funkelperlenaugen. Mit anderen Worten: Tränen.
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