Nach der Theorie folgt die Praxis. Tinder scheint ja nur sinnvoll, wenn aus Matches richtige Dates werden. Meist geht es dort ans Eingemachte. Oder doch nicht?
Sie spielt an ihren Haaren, während sie meinem Gestammel zuhört. Hat gewiss was zu bedeuten. Sie könnte sich fragen, wie ich wohl küsse. Oder ob sie über das Toilettenfenster flüchten kann. Jedenfalls wünschte ich in derartigen Augenblicken, dass ich Gedanken lesen könnte. Dieses Spiel namens „Dating“ fand ich bereits vor Tinder anstrengend genug, doch was ich mir mit Hilfe dieser App eingebrockt habe, grenzt an Masochismus. Doch reden wir erst einmal über die Vorbereitungsphase.
Du wischst nach rechts, Du hast ein Match – yeah, läuft! Doch wie geht es weiter? Viele Frauen bestehen auf so wenig Gelaber wie möglich, denn vom Schreiben alleine bekommt man weder Orgasmen noch einen Ehering. Drum wird schnell die Checkliste abgehakt, die erfahrene Tinder-Nutzer mittlerweile im Schlaf runterbeten können: „Hallo! Woher kommst Du? Was machst Du beruflich? Wie groß bist Du? Was suchst Du?“ Angenommen, es konnten alle Fragen zur Zufriedenheit der Quizmasterin beantwortet werden, wird folglich ausdiskutiert, unter welchen Umständen ein erster realer Kontakt entstehen könnte. Natürlich etwas Unverfängliches, bei dem man schnell flüchten kann. Am besten dort, wo einen niemand kennt. Idealerweise auch irgendwo, wo man noch kein Date hatte.
Mittlerweile hatte ich bei der Dating-App jede Menge Matches erwischt, aber so gut wie keine Treffen ausgehandelt. Meist schliefen die Gespräche schon vorher ein, oder die Verbindung wurde bei einer falschen Antwort von mir („Ich habe gar kein Auto …“) getrennt. Wie bereits geschrieben, ich finde dieses Dating auch schon ohne Tinder stressig ohne Ende. Diese höchste Form der Schauspielkunst, bei der sich die beteiligten Protagonisten ihre Schokoladenseiten zum Anknabbern präsentieren, ermüdet mich. Deshalb kam es nur zu wenigen Treffen, bei denen mich die Damen schlicht und einfach austricksten: Sie gaben mir keine Zeit zum Überlegen und spielten mit meiner Eitelkeit. Getroffen, versenkt!
Natürlich werde ich an dieser Stelle keine Details über die Treffen ausplaudern. Auch werde ich nicht berichten, ob sie in irgendeiner Weise erfolgreich waren oder gar weitere mit der jeweiligen Dame folgten. Obwohl …? Na gut. Ein kurzer Blick hinter die Kulissen wird ja wohl erlaubt sein.
Mein erstes Tinder-Date war direkt ein Klassiker. Man trifft sich auf einen Kaffee am Bahnhof. Vom „Beschnuppern“ war die Rede, doch im Grunde war es ein knallhartes Abchecken. Sie trank ihre Milch mit viel Zucker und wenig Kaffee. Nachdem man sich irgendwie gegenüber platziert hatte, breitete sich eine gewisse Nervösität aus. Bloß viel reden, jede Menge Fragen stellen und immer interessiert nicken! Sie soll ja nicht denken, dass ich total desinteressiert sei. Und niemals auf die Titten starren! Frauen merken es – immer.
Dieser Gedanke beschäftigte mich so stark, dass ich wie der letzte Idiot wirken musste. Wie jemand, der noch nie mit einer Frau sprach oder gar mal mit einer Kaffee trank. Statt mich daran zu erinnern, dass ich sie aufgrund von Äußerlichkeiten und einem kecken Text wischte und es somit zum Match kam, spielte ich den superprüden Ordenspriester. Sex? Muss ich googeln! Fehlte nur noch, dass ich vor ihren Augen ein Kondomautomaten von von der Wand riss und vom Fegefeuer schwafelte.
Das zweite Date lief etwas entspannter. Schließlich bin ich lernfähig und bereitete die Match-Partnerin darauf vor, dass ich schüchtern wirken kann. Mein finaler Hinweis an sie war, dass sie in jedem Falle den ersten Schritt machen müsse. Jedenfalls verabredeten wir uns zu einer ungewöhnlichen Aktion: zum Tischtennisspielen. Erst wollte sie das Date absagen, da ich ihr mit 180 cm zu klein sei. Ich entgegnete, dass sie nur Schiss habe, von einem Gnom wie mir abgezogen zu werden. Diese Strategie wirkte Wunder und wir trafen uns.
Kurz nach der Begrüßung überraschte mich mein Date: Sie hatte so eine Art Kennlern-Kartenspiel dabei. Mit Hilfe der zahlreichen Fragen auf kleinen Karteikärtchen war es ein Kinderspiel, die zuvor erwähnte Checkliste ad absurdum zu führen. Unendliche Möglichkeiten, noch so persönliche und intime Details während eines Aufschlags auf der Tischtennisplatte rauszuhauen. „Ob ich schon mal Sex im Freien hatte? Aeh, warte … ich … hmmm. Du bist dran.“
Nach dem xten Ballwechsel fragte ich mich, wann sie denn nun den ersten Schritt wagen würde. Das fragte ich mich auch bei der Club-Mate danach und auch bei der Verabschiedung. Wahrscheinlich würde ich mich das immer noch fragen, wenn ich die Antwort nicht schon erahne: Sie war eine schlechte Verliererin und ich ihr einfach zu mickrig.
Mein drittes Date in Sachen Tinder war natürlich noch lange keine Routine. Auch wenn ich mit einer unverschämten Lässigkeit vorging, waren die letzten Minuten vor der ersten flüchtigen Umarmung sehr aufregend. Dieses Mal sollte es ein Kinobesuch mit anschließendem Trinkgelage werden. Ein Abend ganz nach meinem Geschmack.
Die Idee mit dem Kino klang besser, als sie tatsächlich funktionierte. Für mehr als 90 Minuten neben einer nahezu komplett fremden Frau zu sitzen, ohne ein wenig Smalltalk hinter sich gebracht zu haben, ist recht ungewöhnlich. Spontane Fummeleien wären eindeutig too much gewesen und ein ständiges Reingelaber in die Handlung total bekloppt. Manchmal flüsterte ich ihr spontan aufkommende Jokes ins Ohr und bemerkte dabei, wie unerhört gut sie duftete.
Als der Film vorüber war, lernten wir uns erst einmal kennen. Nach einigen Gläsern offenbarte sie sich mir und outete sich als Schwindlerin. Im Eifer des Wisch-Gefechts vergaß sie, dass sie eigentlich verheiratet ist – und Mutter. Wahrscheinlich wollte sie die Pointe bis zum Schluß aufsparen, oder die Drinks spülten die Informationen aus ihr heraus. Ba Dum Tss.
Diese Dates sind wahrlich kein leichtes Unterfangen. Es spielt keine Rolle, wie toll man nach einem Match miteinander rumtextet. Man weiß dennoch nichts vom Gegenüber. Erst die Begegnung außerhalb der App offenbart, ob es auch wirklich ein wahres Match ist. Ob man sich interessant findet und auch näher kommen möchte. Denn obwohl sie keine Pferde, keinen Skianzug oder eine Palme mit zum Treffen schleppt, kann es dennoch einfach daran scheitern, dass offline andere Gesetze herrschen.
Ich ahne, dass es nicht die letzte Erfahrung in Sachen Tinder bleiben wird. Bereits jetzt häufen sich Besuche auf dieser Seite, da ich den Link zum ersten Text in mein Profil dort setzte. Hiermit begrüße ich Dich, Stalkerin. Ich hoffe, es gefällt Dir hier einigermaßen und dass Du Dich nicht wieder erkennst. Whatever, ich möchte Dir an dieser Stelle einen Rat mit auf dem Weg geben:
Mach‘ den ersten Schritt.
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