Lange hielt ich es bei der Dating-App Tinder nicht aus. Zu viel Wintersport, Pferde und Weltenbummlerinnen auf einmal. Ein Tatsachenbericht aus Sicht eines Kerles, wie es bei Tinder wirklich abläuft.
Wisch, wisch, Sex? Von wegen! Vor nicht allzu langer Zeit startete ich einen Selbstversuch in Sachen Tinder, der berüchtigten Dating-App. Anfangs noch sehr skeptisch, entpuppte sich der Hype um das Tool, mit dem schneller Sexualpartner gefunden werden sollen, als total überzogen. Mittlerweile bin ich schon ein alter Hase im Geschäft und weiß genau, wie das mit dem Wischen gehandhabt wird. Was freute ich mich wie Bolle über mein erstes Match! Ich rief direkt meine Mutter an und cancelte meine Bewerbung bei „Schwiegertochter gesucht“. Außerdem postete ich beim gängigen Social Media Gedöns die gute Nachricht und änderte meinen Beziehungsstatus in „vergeben“. Während ich mich noch nach billigen Blitzhochzeiten in Vegas erkundigte, fiel mir ein, dass ich mich auch mal bei meiner Zukünftigen melden könnte. Vielleicht, so dachte ich, hätte sie bereits Vorschläge für die Flitterwochen. Doch als ich mein Smartphone raus kramte, traf mich der Schlag: Ich hatte noch ein Match. Und nun gleich zwei Frauen auf einmal? Da hatte ich den Salat.
Um es vorweg zu nehmen: Aus zwei Matches sind mittlerweile 50 geworden. 50 Frauen wischten mir zugunsten nach rechts – sei es im Suff, aus Begeisterung oder Langeweile. Einige waren kommunikativ und schrieben ein paar Zeilen, andere stellten sich tot.
Das Erste, was man bei Tinder zu Gesicht bekommt, ist stets ein Foto. Mein Erstaunen war groß, als ich immer häufiger ähnliche Motive in den einzelnen Profilen entdecken konnte. Vielleicht haben Single-Damen aus meinem Umkreis einfach sehr viele Gemeinsamkeiten. Aber Wintersport? Und vor allem Pferde? Selten habe ich so viele Skianzüge und Pferde-Romantik auf einen Haufen gesehen. Jede Menge Schnee und immer schön ausreiten. Soll das der Männerwelt irgendwas extrem Flaches vermitteln? Wie dem auch sei, nur ein Szenario überschattete diese Bilderserien. Und zwar unfassbar viele Bilder aus dem letzten (und vorletzten oder vorvorletzten) Urlaub.
Die Bilder bei Tinder werden übrigens von Facebook gestellt. Man verbindet beim Start von Tinder sein Profil mit Facebook und hat dann die Möglichkeit, Fotos für das Profil auszusuchen, die irgendwann hochgeladen hat. Unter den Umständen leuchtet es ein, dass fast nur Urlaubsbilder zu sehen sind. Schließlich gibt es bei Facebook nur drei bewährte Bildmotive, die User hochladen, um mal richtig anzugeben: Essen, Tiere/Kinder und Urlaubsfotos.
Diese Leute scheinen ihre Kindheit verdrängt zu haben. Denn was übertrifft in Sachen Langeweile die ollen Dias aus dem Urlaub der Verwandten? Uns langweilen eure Palmen und eure Selfies, auf denen ihr den Eiffelturm auf der Handfläche tragt. Gähn! Wartet, bis wir uns mit Schnappschüssen dicker und verbrannter Menschen vom Strand rächen! Zumal … wer hat bitte so oft Urlaub? Normalerweise muss man ab und zu arbeiten, um die Moneten für die ständigen Trips zu erwirtschaften. Sind Weltenbummler doch nur Langzeitarbeitlose?
Die ersten Kontaktaufnahmen gestalteten sich überraschend harmlos, doch zunehmend banal. Auf ein „Hallo“ folgte bald ein „Wie geht es Dir?„. Schnell fühlte ich mich zurück ins wahre Leben („Offline“, für Kenner) geschleudert, denn dort muss laut dem gängigen Klischee der Mann das Gespräch beginnen. Wobei ein Beginn oder ein Ansprechen alleine nicht ausreicht. Clever muss man sein und am besten witzig und charmant zugleich! Eigenschaften, die Frauen in einem Dialog absolut nicht nötig zu haben scheinen. Natürlich gab es unter den erwähnten Matches positive Ausnahmen, doch die Verweigerung der Kommunikation war schon auffällig. Auf meine witzigsten Pointen und Zoten gab es erstaunlich viele Smileys und das Totschlagargument „Aha“. Vielleicht hatten die Damen noch viel mehr Matches denn ich und kamen mit dem Schreiben nicht hinterher. Oder ich war zu öde, denn schließlich hatte ich auf meinen Fotos weder mein Shirt hochgezogen, noch einen Fallschirmsprung zur Schau gestellt. Wie denn auch bei meiner Wampe?
Wie gesagt, nicht alle waren von ihrem Äußeren derartig überzeugt, dass sie nicht schreiben mussten. Es gab sogar einige recht amüsante Unterhaltungen, die ich gar nicht erwartet hätte. An dieser Stelle sei erwähnt, dass ich nur einmal eindeutig ein zweideutiges Angebot erhielt. Eine Einladung zu der Dame nach Hause, obwohl sie nur die wenigen Bilder dieser Dating-App kannte. Verzweiflung? Nymphomanie? Fake? Wer weiß! Jedenfalls lehnte ich das Angebot dankend ab und bewies somit, dass ich Konzept hinter Tinder überhaupt nicht verstanden hatte.
Unter einem Profil fand ich den herrlichen Spruch „Leg Dein Handy weg und unterhalte Dich mit der Frau, die neben Dir steht“. Recht hat sie. Inmitten dieser Darsteller und Konserven ist es kein Wunder, dass in Zeiten von unzähligen Single-Haushalten solche Dating-Apps wie Tinder Erfolg verzeichnen. Als gelernter Egoist, der sich jeden Tag im Internet bestaunen kann, ist es für viele einfach dieser kleine Ego-Push eines Tindermatches, der motiviert – mich eingeschlossen. Ein Match bedeutet: Ich bin wer, ich bin was wert. Das funktioniert ein wenig besser als die übliche Selbstvermarktung via Facebook, Twitter und Co., denn hier sind es fremde Menschen des bevorzugten Geschlechts. Keine Freunde, die aus Prinzip auf jedes Vierbeinerbild von Dir klicken, sondern potentielle Partner. Menschen mit einer Option. Obwohl es eigentlich heißen müsste: Menschen als Option.
Man müsste mal was ganz Verrücktes wagen. Einfach in eine Kneipe, eine Bar oder einen Schuppen mit lauter Musik gehen. Dort ein Getränk bestellen und Blickkontakt mit einer Person aufnehmen, die einem gefällt. Ein Lächeln zuwerfen. Vielleicht ergibt sich ja was. Am Ende kann man immer noch die Nummern tauschen und sich Blödsinn wie „Hallo“ und „Wie gehts“ zuschicken – mit unzähligen Smileys. Nur eins ist höchstwahrscheinlich: Keiner trägt einen Skianzug oder hat gar ein Pferd dabei.
photo: secretly texting by sabrina m., CC 2.0
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