Gedankenlesen? Nur sprechenden Menschen kann geholfen werden. Dabei muss es nicht mal Hilfe an sich gehen, sondern es erleichtert die Kommunikation extrem.
Für mich gehören drei Faktoren zu einer gelingenden Beziehung zwischen zwei Menschen. Vertrauen, Nähe und Kommunikation. Die erste Zutat leuchtet ein; wenn ich nicht mal kurz den Raum verlassen darf, ohne dass sie mein Handy durchforstet, kann man sich die nächsten Monate samt Trennungsschmerz schenken. Mit Nähe ist neben Gemeinsamkeiten auch die körperliche Zuneigung gemeint. Keine Ahnung, wie das diese Fernbeziehungskünstler handhaben. Ich für meinen Teil mag es einfach, wenn ich mir ab und zu einen Lapdance wünschen kann – und den auch spüre. Kommen wir zum vielleicht schwierigsten Punkt. An dieser Stelle werden ja gerne banale Klischees ausgerollt, wie zum Beispiel, dass wir Kerle eh nie zuhören würden. Dabei scheitert es schon bei den ersten Momenten des Gedankenaustauschs.
Invasion der passiv-aggressiven Gedankenleser
Typische Situation: Es ist Feierabend, beide haben sich den Weg nach Hause gebahnt und sprachen sich via Messenger ab, dass abends telefoniert werden könnte. Sie möchte eigentlich gar nicht nur via Telefon quatschen, sondern ihn viel lieber einladen. Man könnte sich etwas vom Chinesen bestellen und den anstrengenden Tag mit einer Flasche Wein ausklingen lassen – nackt. Er dagegen muss unbedingt die letzte Folge seiner Lieblingsserie sehen. Bereits seit Tagen fiebert er auf das Finale hin und heute Abend ist es endlich soweit. Nun kommt es zum Telefonat, beide in der Hoffnung, ihre heimlichen Pläne durchsetzen zu können. Das Dilemma: Er möchte sie nicht verletzten oder den Eindruck vermitteln, dass so eine alberne Serie mit Superhelden wichtiger sei als sie. Sie hingegen wählt eine Taktik, die noch nie funktionierte: Sie geht davon aus, dass er Gedanken lesen kann.
Anstatt ihm zu sagen, dass sie sich freuen würde, wartet sie lieber ab. Schließlich liebt er sie ja! Liebende Partner wissen bereits vor dem Klingeln des Telefons, was Sache ist. Zumindest in der Theorie. Nun wird das Gespräch wohl so ablaufen, dass er zu feige ist, seine TV-Abhängigkeit einzugestehen. Stattdessen spielt er eine akute Magen-Darm-Geschichte vor, damit er in Ruhe das Finale zelebrieren kann. Sie hingegen tut so, als ob alles bestens wäre. Kein Wort der Enttäuschung oder des Zorns. Lieber frisst sie den Ärger in sich hinein und schreibt ihrer besten Freundin, was er für ein Idiot ist. Kommt dieses Szenario zumindest ansatzweise bekannt vor? Kein Wunder, denn die meisten unter uns sind passiv-aggressive Zeitgenossen, die sich lieber beim Gedankenlesen verzetteln, als mal den Mund aufzumachen. Im Dialog oder Erklärungswahn mit sich selbst ist es unwahrscheinlich, dass die Realität exakt nachzeichnet wird. Meist malt uns das Hirn das Szenario viel düsterer, als es tatsächlich ist.
Sag, was Du willst – oder wundere Dich nicht über Trennungsmails
Dabei sind die Regeln recht einfach. Willst Du mich sehen? Dann frage mich einfach. Fandest Du, dass ich mich wie ein Arsch aufführte? Sag mir, dass ich mich wie ein Arsch aufführte. Hast Du den Eindruck, ich wäre mies drauf oder gar wütend? Frag mich, was mich bedrückt. Denkst Du, dass ich etwas falsch angegangen bin? Sprich mit mir und wir klären das. Stört Dich irgendwas zwischen uns? Lass es raus und warte nicht, bis Du flüchten kannst. Willst Du unsere Beziehung festigen? Dann sag mir, dass Du mit mir leben willst – und tue es.
Die meisten Personen haben Sorge vor Abweisung oder diese unangenehme Stimmung die aufkommt, wenn man nicht direkt in seiner Annahme bestätigt wird. Keine Ahnung, aber ich habe den Eindruck, dass wir immer mehr zu solchen Pantoffeltierchen werden, die mit Contra kaum noch umzugehen wissen. Es ist viel leichter, Ärger aus dem Weg zu gehen. Kein Wunder, dass mittlerweile Phänomene wie »Ghosting« immer weiter verbreitet. Mittlerweile kann man fast froh sein, wenn man wenigstens eine Trennungsnachricht via Facebook oder Whatsapp erhält.
Beim nächsten Gespräch mit meiner Herzensdame werde ich Folgendes beherzigen. Anstatt mich selbst zu stressen und quasi für sie mitzudenken, frage ich sie einfach nach dem Lapdance. Was soll bei ihrer Antwort schon passieren ? Vielleicht werde ich ja positiv überrascht.
photo: Between Our Equilibriums Are Positive/Negative Mirrors by Derrick Tyson, CC 2.0
Letzte Bearbeitung war am 22.03.2016