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Liveticker – Meinungsmache im Sekundentakt

Beitragsbild: Liveticker - Meinungsmache im Sekundentakt

Ob Terroranschlag, Fußballspiel oder »Super-Wahlsonntag« – kein Ereignis kommt mehr ohne Liveticker aus. Wie im Minutentakt unsere Meinungen geformt werden.

Nach den Terroranschlägen in Brüssel berichtete mir ein guter Freund über eine Szene während seiner Arbeitszeit, die ich gerne an dieser Stelle schildern möchte. Typische Atmosphäre eines Büros; nackte Wände, trockene Heizungsluft und jede Menge Bildschirme. Einer der Mitarbeiter betrat aufgeregt das Büro und stellte die offene Frage in den Raum, wer denn von der Explosion in Brüssel gehört hätte. Ein anderer Mitarbeiter antwortete beinahe gelangweilt, dass es doch bereits zur zweiten Detonation kam – und gab ungefragt die Prognose ab, dass »gewiss noch mehr kommt«. Geistesabwesend rief er gleichzeitig irgendeinen Liveticker der populärsten Nachrichtenseiten auf, indem er zuvor »Brüssel Anschlag« bei Google eingab.

Beide überflogen mit abgeklärten Blick die Meldungen auf der Nachrichten-Website. Der erste Mitarbeiter muss eingestehen, dass ihm die zweite Explosion noch nicht bekannt war. Der Informierte hingegen lehnte sich zurück und gab an, dass es bereits vor einer halben Stunde im Liveticker verbreitet wurde. Er spricht es zwar nicht aus, aber man konnte es ihm förmlich im Gesicht ablesen: das zufriedene Klugscheißer-Gesicht, frei nach dem Motto »Ich hatte recht«.

»Erster!« – Stille, soziale Post

Sicherlich, die Medienkonzerne wollen auch nur überleben. Deshalb schalten sie Live-Blogs und Liveticker, um die Massen an ihren Rechnern und Smartphones zu halten. Bloß nichts verpassen, immer mittendrin. Der makabere Idealfall tritt ein, wenn im Zuge eines Ereignisses oder gar einer Katastrophe die Bürger alles stehen und liegen lassen, um die Live-Berichterstattungen ihrer favorisierten Medienanstalt zu konsumieren oder garniert mit einem Hashtag zu verbreiten. Gewinner ist derjenige, der zuerst Bescheid weiß.

Doch bringt der Liveticker eben auch Probleme mit sich, die ich mit der obigen Szene ansatzweise beschrieb. Das System einer Live-Berichterstattung gleicht ein wenig den Naturwissenschaften. Man formuliert so lange Thesen, bis jemand diese widerlegt. Man postet somit vorsichtig erste Informationen, die der sensationsgeile Bürger direkt in sich aufsaugt. Geteiltes Leid ist halbes Leid, deshalb tratscht der Schnellste die Neuigkeiten direkt weiter, doch vergisst dabei den nicht eingeplanten Effekt, der auch beim Kinderspiel »Stille Post« eintritt. Die Grundinformation bleibt unter Umständen erhalten, jedoch werden Details hinzugedichtet oder verfremdet. Jedermann möchte gerne allwissend und up to date sein. Deshalb denkt man sich lieber die fehlenden Elemente einer Nachricht aus, ehe man wie der letzte Vollspacko wirkt.

Liveticker mit überzogener Nachspielzeit

Diese Art der Berichterstattung bewirkt einige Veränderungen in unserem zwischenmenschlichen Verhalten. Die Zeiten, in denen die Familie versammelt vor dem TV-Gerät saß, um die Tagesschau zu sehen, sind schließlich lange vorüber. Heute hält sich jeder für einen Außenkorrespondenten und freut sich ein Ei ab, wenn er als erster ein Ereignis bei Twitter kommentieren kann. Man ist alleine mit den Katastrophen, Sensationen und Großveranstaltungen und versucht nur noch mit der Berichterstattung Schritt zu halten.

Ein Liveticker bei einem Fußballspiel, das kann ich nachvollziehen. Ein Liveticker bei einem Terroranschlag oder bei Ermittlungen gegen sexuelle Übergriffe wie in Köln zur Silvesternacht dagegen nicht. Derartige Ticker jonglieren scheinbar mit Zahlen, um die Meute aufzuscheuchen und die Sensationsgier zu triggern. Wie viele Tote? Wie viele Explosionen? Wie hoch der Schaden? Meinungen werden eventuell voreilig gebildet und auch unter das Volk gebracht. Der Unterschied zu anderen Tickern ist offensichtlich. Ein Fußballspiel ist nach 90 Minuten vorbei und somit die Live-Berichterstattung auch.


Letzte Bearbeitung war am 24.03.2016

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