Selbst bei der Frage »Was soll ich nur anziehen?« scheinen wir überfordert. Lieber lassen wir uns diktieren, welche Klamotten angeblich zu uns passen sollen
Unlängst passierte mir ein Missgeschick: ich schaute TV. Das hat in der Regel zur Folge, dass man unweigerlich auch der Werbung ausgesetzt ist.
Es war spät und ich müde und somit ich nicht schnell genug am Kühlschrank im Bad. Und somit hafteten die ersten Noppen des Tentakels der Kommerz-Krake an mir. Hierbei nun fiel mir etwas auf, was es wie ich finde früher nicht so gab.
Es werden nicht mehr einzelne Marken oder Modehäuser beworben, die dir sagen, dass du dich geil anziehen sollst um das andere Geschlecht oder Muddi zu beeindrucken. Es werden Online-Shops präsentiert, welche dir dein komplettes Outfit zusammenstellen. Das lies mich stutzen und ich stellte mir die Frage: sind wir mittlerweile so doof geworden, dass wir uns den Schlüpper über den Kopf ziehen? Brauchen wir einen Anzieh-Assistenten?
Nimm die Unterhose vom Kopf
Unweigerlich habe ich verstörende Bilder im Kopf. Der smarte Business-Typ steht morgens gut gelaunt beim ersten Ton seines eye-of-the-tiger-dudelnden Weckers auf, macht sich einen fair gehandelten Kaffee und geht dann der morgendlichen Hygiene nach. Jogi Löw propagiert ja schließlich die Pflege für den erfolgreichen Mann. Unser Business-Typ zwinkert sich nochmal im Badezimmerspiegel zu und garantiert sich, der heißeste Hengst im Großraumbüro zu sein, um anschließend weinend vor dem Kleiderschrank zusammen zu brechen und sich in Fötushaltung auf dem Boden zu wiegen. Welche Hose nur zu welchem Hemd? Habe ich überhaupt gleichfarbige Socken? Habe ich überhaupt Socken und wenn ja, wozu sind diese eigentlich gut?
Dies ist keine Übung, sondern ein Anzieh-Alarm
An dieser Stelle muss ich einwerfen, dass uns stilbewussten Ladies diese Problematik durchaus bekannt ist, aber das hat andere Gründe. Nämlich zu wenig schicke Kleidung. In den fünf Schränken. Jeweils, in den drei Ankleidezimmern. Also bitte nicht verwechseln.
Aber vergesst nicht, dass sich diese Werbung auch an das schöne Geschlecht wendet. Ich wies in der Vergangenheit ja schon auf textile Torheiten hin, vielleicht sind diese Commercials auch einfach nur ein Hilferuf? Oder vielmehr ein Schrei nach einer Rettung? Haben die Macher etwa meinen Artikel gelesen und rufen nun voller Inbrunst: »Ja man, das verstößt gegen die Genfer Klamotten-Konventionen! Steht auf, kleidet die Menschen ordentlich ein! Lasst uns dem Etuikleid-Elend ein Ende bereiten!«
Klamotten-Katastrophen und Tintenfische
Der Kopffüßler der hirnwaschenden TV-Spots flüstert mir also ein, dass er geeeenau meinen Style hat! Meinen kompletten Style, wohlgemerkt. Der kennt mich also noch besser, als ich mich selbst. Und er erklärt mir, dass es nur um mich geht. Wozu habe ich eigentlich einen Partner? Oktopussi weiß doch viel besser was ich liebe und was wirklich zu mir passt. Zugegeben, meinen Freund stört es nicht, wenn ich morgens mit der Hose auf dem Kopf erwache, er behauptet sogar, dass mich das irgendwie süß mache. Aber der Tintenfisch findet das nicht okay. Ich mag diese Mollusken, also höre ich auf ihn. Außerdem habe ich Angst davor, was passiert, wenn ich einem Kraken widerspreche.
Ich denke ich werde mich schon an die etwas kneifende, weil zu enge Lackjeans gewöhnen. Sie passt aber auch total schick zu den roten Overknee-Gummistiefeln und dem rosa Herzchen-Schal. Sicherlich finde ich auch so viel leichter wieder einen neuen Freund, schließlich ist das ja nun auch endlich genau mein Style und das strahle ich doch bestimmt aus!
Ich quieke etwas verstört, weil ich soeben aus dem Tiefschlaf gerissen wurde. Meine bessere/schlechtere Hälfte (tagesformabhängig, kommt darauf an, ob ich was Passendes im Kleiderschrank fand) schüttelt mich sachte und meint: »Ich glaube du hattest einen Alptraum mit Tiefseemonstern.« Er strahlt mich an, zieht mir eine Batman-Socke vom Ohr und ich schlafe beruhigt wieder ein. Denn ich weiß, wofür Socken gut sind: sie wärmen mir in kalten Nächten die Öhrchen.
Letzte Bearbeitung war am 13.04.2016