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Der Verriss: Tatort

Der Veriss: Tatort
Das wahre Wort zum Sonntag ist der »Tatort«. Maßlos überschätzt oder für uns deutsche Gewohnheitstiere unverzichtbar?

Ein Mord findet statt. Sei es in Münster, Köln, Dortmund, Hamburg und natürlich München – wobei die Liste noch länger wäre. Das deutsche TV-Urgestein »Tatort« ist unantastbar und das wahre »Wort zum Sonntag«. Grund genug, einen kritischen Blick auf die Erfolgsreihe zu werfen. Generell bin ich misstrauisch, was die deutsche Unterhaltungsindustrie angeht. Kein Wunder, zwischen all diesen Formaten wie »Wetten, daß … Schlag die Schwiegertochter sucht DSDS holt mich hier raus!« und Konsorten möchte man am liebsten sein TV-Gerät aus dem Fenster werfen und die GEZ Gebühren zurückfordern. Stattdessen riskiere ich gerne mal den Blick über den Tellerrand hinaus. In Europa werden – im Gegensatz zu uns – großartige Krimis produziert, die hier in Nischen-Sendern wie »ZDF Neo« ausgestrahlt werden. »Luther«, »Spiral« oder »Line Of Duty« sind nur drei Beispiele für spannende Serien, die ohne das bekannte Schema F  (F für familienfreundlich) auskommen. Und warum müssen beim Tatort immer verkannte Komiker bei der Spurensicherung arbeiten?

Schuld und Sühne – aber nicht im Tatort

Wenn ein deutscher Tatort-Kommissar mal richtig auf den Putz hauen will, so flucht er »Fuck!«. Exzesse, persönliche Abgründe oder gar Sex sind hingegen tabu. Überhaupt ist das Lieblingsformat der Deutschen spießig ohne Ende. Es gibt zwar kleinere Macken, die Charakter vortäuschen sollen, doch verbindet die Kommissare eine Profilarmut und die Möglichkeit, sie bei Bedarf gegen einen weiteren Langweiler zu ersetzen. Meist sind die Straftäter junge Aussetzer bzw. Ausreißer, die nur temporär mit den falschen Leuten in Kontakt kamen. Absolute Ausnahmen aus gutem Hause. So wirkt nahezu jeder Kommissar oder jede Kommissarin wie ein genervter Elternpart, der das verzogene Kind aus der zugekifften Dorfdisco abholt, um dann mit erhobenen Zeigefinger zu ermahnen. Französische Krimis bestechen im Gegenzug mit Korruption und koksenden Ermittlern – oder auch Sex zwischen Kollegen, was ja meist zu 99,99% Ärger bedeutet. Im  deutschen Tatort hingegen gibt es keine Grenzüberschreitungen dieser Art. Moral ist alles! Im Gegenteil, wenn schon Mann und Frau zusammen arbeiten müssen, so verlieben sie sich auch ineinander. So wollten es schon die Gebrüder Grimm und so wollen es auch die Öffentlich-Rechtlichen.

Was beispielsweise britische Krimis uns auch voraus haben, ist zu wissen, wann der Vorhang fällt. Während in Deutschland höchstens der Übeltäter sterben darf  (aber auch nur nach 22 Uhr ), ist es in Großbritannien keine Seltenheit, wenn einer der ermittelnden Hauptprotagonisten überraschenderweise vor Aufklärung des Falles in Gras beißt. Deutsche Kommissare aber sind unsterblich – sie werden allerhöchstens versetzt.

90 Minuten Klamauk – ohne Fortsetzung

Die Konkurrenz unserer europäischen Nachbarn gewährt den Hauptdarstellern mehr Tiefe. Da sie in der Regel mehr als nur 90 Minuten haben, um ihren Fall zu lösen, ist es ohne Weiteres möglich, einen interessanten Fall zu konstruieren. Warum die Öffentlich-Rechtlichen den deutschen Zuschauern dieses Durchhaltevermögen samt Kombinationsgabe nicht zutraut, bleibt ein Rätsel. Derzeit wagt man zaghafte Versuche, eine Art Tatort-Crossover zu etablieren, bei dem zwei unterschiedliche Ermittlertruppen zusammenarbeiten dürfen. 180 Minuten sind zwar lachhaft gegen zwei bis drei Staffeln einer vergleichbaren Serie, aber es kann ja ein Schritt in eine spannendere Zukunft sein – wenn da nicht schon eine Episode mit Helene Fischer geplant wäre.

Wenn die Verantwortlichen bei den Öffentlich-Rechtlichen Fernsehanstalten doch ihren Zuschauern mehr zutrauen würden! Doch stattdessen wird auf Klamauk und Bewährtes gesetzt. Zugpferd Münster ist mehr Komödie denn Krimi – und wenn es eine Sonderausgabe vom Tatort gibt, dann wird – schön zur Weihnachtszeit – es eine Parodie einer Parodie.


photo: tatort by Irina Slutsky, CC 2.0


Letzte Bearbeitung war am 13.10.2015

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