Schlimme Berufe, die keiner ausüben will – zum Beispiel YouTube-Star. Nur Wahnsinnige wollen sich regelmäßig vor der reizüberfluteten Internet-Gemeinde blamieren, indem sie tanzen, singen oder Verpackungen aufreißen.
Über den bahnbrechenden Erfolg von YouTube-Stars erfuhr ich unerwartet durch entnervte Eltern. »Mein Kind verblödet! Es schaut sich stundenlang lang an, wie LeFloid und Felix von der Laden über ihre ersten Rennunfälle und Flammenwerfer-Einkäufe berichten. Letztendlich werden die Erziehungsberechtigten dazu genötigt, auf Veranstaltungen wie »Triff Deine YouTube-Stars« den Aufpasser zu spielen und albern Selfies zu machen. Ist ein Leben als YouTuber erstrebenswert? Zumindest scheint es sich finanziell zu lohnen. Sogenannte Influencer begeistern Sponsoren fast noch mehr als ihre Fans.
Schnelle Schnitte und 7 crazyhafte Möglichkeiten, Zeit und Geld zu verprassen
Aber erst einmal ein paar verdächtig wahr klingende Vorurteile, um das Phänomen YouTuber zu umschreiben. Wie bei den meisten medialen Darstellungen gibt es hier eine strikte Geschlechtertrennung. Männliche YouTube-Stars erkennt man daran, dass sie in der Gaming-Szene zuhause sind (oder waren) und jeden Satz mit »Alter« beginnen und beenden. »Alter, ihr werdet nicht glauben, was ich heute morgen im Badezimmer gefunden habe, Alter« wäre ein typischer Einleitungssatz eines YouTube-Beitrags mit dem crazyhaften Titel »Wie kann ich meine Freundin pranken Teil 392«. Crazyhaft. Auch das Wort lernte ich erst durch den Vlogger Julienco kennen.
Weibliche YouTuberinnen bedienen eher die Augentiere und reden gerne über Schminke und Klamotten. Beiträge wie »Das passiert wenn du 7 Tage das selbe Outfit trägst« wechseln sich mit »Mein Verlobter stylt mich« ab. Natürlich ist in den jeweiligen Profilen meist ein Shop zu finden, in denen man allerhand Zeug kaufen kann, was zuvor in den Videos beworben wurde. Im Gegensatz zu den männlichen Kollegen geht es statt um Spiele um Konsum; die meisten Beiträge werden mit einem affektierten Gruß eingeleitet (»Heeeeeey, Hello! Super, dass ihr dabei seid!!!!!«) und mit Werbehinweisen beendet (»Im Link unter dem Profil findet ihr meine Sponsoren, denen ich meine Jugend verkaufte.«)
15 Minuten Ruhm? 3:43 Minuten genügen
Belustigt denke ich an den Event zurück, als sich Angela Merkel von allgemein bekannten Stars der YouTube-Szene interviewen ließ. Was ging in den Köpfen der Meinungsmacher vor? »Heeeeey, Hello! Lasst uns einfach YouTuber einladen, dann wirken wir glaubhafter auf die Jugend!« kreischt der Redakteur und der Rest nickt lethargisch. Leider fehlten bei der Ausstrahlung die üblichen Einspieler, Comic-Effekte und hysterisch überzeichneten Emotionen, welche die sonst sehr trägen Zuschauer ansprechen sollen.
Kurzum: dieser Job ist selbst im Regierungsauftrag eine Zumutung. Billig produzierte Bedienungs- und Denkanleitungen für den Alltag, die ich mir auf dem Klo und in der Bahn anschauen kann – präsentiert von durchgestylten Teens, die auch nur auf der Suche nach ihren 15 Minuten Ruhm sind. Wobei die Dauer der einzelnen Clips deutlich darunter liegt. Verstehen kann und muss ich es nicht, aber ich gehöre auch nicht zur Zielgruppe. Dennoch bin ich fest davon überzeugt, dass abseits der Kamera andere Fragen statt »Was passierte nach meinem Coming-Out?« geklärt werden. Wie zum Beispiel: »Liegen meine Haare, Alter?«
Photo credit: Maik Meid on VisualHunt / CC BY-SA
Letzte Bearbeitung war am 06.10.2020