Kaum eine App vermag es Nutzer so zu verstören wie der Messengerdienst »Whatsapp«. Der simple Gebrauch davon garantiert Schweißausbrüche und Verfolgungswahn. Stichwort: Blaue Häkchen.
Erinnern Sie sich noch an die gute alte SMS? Man erhielt eine 160 Zeichen lange Nachricht, in der meist nur das Nötigste genannt wurde, denn schließlich zahlt man für jede weitere drauf. Heutzutage ist der Messenger »Whatsapp« nicht mehr aus den Smartphones und dem Alltag wegzudenken. Man schickt sich kostenfrei Schnappschüsse und Selfies, wobei die ununterbrochene Versorung des Umfeldes mit wichtigen Informationen wie »Hmm, lecker Pizza!« zusätzlich gesichert ist. Es scheint, als würde die pure Möglichkeit des Überhäufens mit sinnfreien Nachrichten und Bildern so ein Vorgehen legitimieren. Schließlich gehört sowas heutzutage dazu. Mittendrin und immer dabei – vom Gerät aus. Gegen den Zeitgeist kann man sich nicht einmal wehren. Doch das Schlimmste kommt erst nach und nach zum Vorschein: Wie die regelmäßige Nutzung von »Whatsapp« unsere Paranoia füttert und uns Neurosen noch und nöcher beschert.
DAS SCHWEIN! Er hat es meine Nachricht gelesen und antwortet nicht
Praktisches Beispiel: Gudrun hat einen neuen Schwarm, mit dem sie unentwegt flirty Nachrichten austauscht. »Bin gerade einkaufen – und Du?« oder »Wow, der Tatort stinkt mal gewaltig!« sind zwei typische Sprüche, die sie sich gegenseitig schicken. Jede Nachricht lässt Gudruns Herz schneller pochen, nach dem Motto: Er hat gerade an mich gedacht.
Drei Tage wildes Geschreibe später textet er plötzlich nicht mehr innerhalb von drei Minuten zurück. Gudrun schaut direkt nach, ob ihr Smartphone defekt ist und installiert vorsichtshalber Whatsapp neu. Die Nachricht ist jedoch durchgestellt worden und selbst blaue Häkchen (zeigen an, dass die Nachricht auch gelesen wurde!) sind zu sehen. Gudrun wird von Minute zu Minute nervöser. Selbstzweifel machen sich breit und schlimmste Horrorfantasien bereiten ihr Kopfzerbrechen. Ist sie zu fett? Langweilt sie ihn? Hat er bereits eine andere? Warum antwortet er nicht? Ist er tot? Warum hasst er mich nur?
Nebenbei schreibt Gudrun mit Hannelore, ihrer besten Freundin, um etwas Beistand zu erhalten. Für Hannelore ist es ein klarer Fall. Der Schwarm geht fremd. Nicht nur, weil alle Männer Schweine sind, sondern auch, weil sie selbst schon mal bitterböse belogen und betrogen wurde. Hinzu kommt, dass Gudrun sich bei Verlust ihres Schwarms auch wieder öfter melden würde.
Die Diskussion spitzt sich zu, wobei Gudrun in ihrer Verzweiflung Hannelore zustimmt und die Nummer vom Schwarm löscht. Zuvor schreibt sie ihm noch die wütenden Zeilen: »DU SCHWEIN! Es ist aus! Geh doch zu Deiner Schlampe! Sowas wie mich hast Du gar nicht verdient! Melde Dich noch einmal und ich zeig Dich wegen Stalking an!«
Eine Stunde später schreibt er ihr doch: »Entschuldige, hatte heute einen wichtigen Außentermin und mein Akku war fast leer. Ist alles okay? Die Nachricht ging bestimmt nicht an mich, oder? :o)«
Blauer Haken-Terror
Wie man an dem eindeutigen Beispiel erkennt, schafft diese App Verwirrung der Extraklasse. Stets wirft man einen Blick auf das Handy, ob man noch in irgendeiner Form eine Rolle spielt. Ob man ignoriert wird. Wie wichtig man ist.
Die angesprochenen »Blauen Haken« zeigen in Echtzeit an, wann die Nachricht geöffnet und somit gelesen wird. Viele »Whatsapp« Nutzer wissen nicht einmal, dass man die nervigen kleinen Kontrollen ausschalten kann. In Kombination mit dem Hinweis »Wann zuletzt online?« wird aus Whatsapp das perfekte Tool zur Überwachung seiner Mitmenschen. Dumm nur, dass man selbst genauso kontrolliert werden kann und es wahrscheinlich auch wird: Ich sehe Dich!
Drum spricht sich neuerdings herum, dass man sich bei neuen Kontakten erst gar nicht auf den Terror einlässt. Viele schalten die eben genannten Funktionen ab, so dass man nicht sieht, wann der andere online war. Zusätzlich wird nicht angezeigt, ob die Nachrichten überhaupt gelesen wurden. Entspannung pur! Fast wie in den guten alten Zeiten der SMS. Nun darf man sich bloß nicht »Online« erwischen lassen, denn das zeigt die App weiterhin an. Es könnte eine entlarvende Nachricht wie »Seh Dich ;)« folgen.
Eine typische »Whatsapp«-Beziehung
Zurück zu Gudrun. Sie einigt sich mit ihrem Schwarm darauf, die Benachrichtigungen durch die Haken zu entfernen. Außerdem beschließen beide, die Option »Zuletzt online um…?« auszuschalten. Herrlich entspannte Tage folgen, in denen beide Turteltauben fröhlich und flirty Nachrichten austauschen.
Hannelore stört. Sie will wissen, wie es denn bei Gudrun und ihrem Schwarm so läuft. Natürlich antwortet Gudrun direkt, doch fühlt sich leicht gehetzt, da ihr Schwarm bereits auf eine Antwort auf die Frage »Was trägst Du drunter? ;)« wartet. Dennoch will sich die unterhalb perfekt gekleidete Gudrun nicht nehmen lassen, ihrer besten Freundin vom guten Verlauf der »Whatsapp«-Beziehung zu berichten. »Es ist herrlich! Seitdem wir auf die scheiß Haken und so verzichten, ist alles viel besser. Er ist voll kein Schwein mehr!« schreibt sie. Hannelore schickt einen glücklichen Smiley zurück, damit niemand merkt, wie sie die Worte ihrer besten Freundin anwidern.
Gudrun will den Smiley erwidern, doch erhält eine Nachricht von ihrem Schwarm. »Schreibst Du mit anderen Kerlen, oder was? Ich sehe doch, dass Du online bist … Du schreibst bestimmt mit jemanden – ABER NICHT MIT MIR« schreibt er. Gudrun verteidigt sich, indem sie antwortet: »Nein, meine Freundin wollte wissen, wie es bei uns läuft!«
Eine unerträgliche Minute Stille macht sich breit. Beide tippen etwas, löschen es … und sehen, dass er andere jeweils mehrere Nachrichten eingibt und wieder löscht. Gudrun ist verwirrt und will schnell noch eine Nachricht an Hannelore abschicken, doch ihr Schwarm gibt sich einen Ruck und schickt seine Nachricht ab: »Ihr macht euch über mich lustig, weil ich frage, was Du drunter hast, oder? SCHWEINE!«
Gudrun gibt einen Smiley ein. Ins falsche Fenster. Nämlich das von ihrem Schwarm.
Zwei Wochen später.
Gudrun schreibt ab sofort nur noch SMS. Wie in guten alten Zeiten. Hannelore hingegen hat nun einen neuen Freund und benutzt lieber Skype.
photo: on the phone by Buzzfarmers, CC 2.0
Letzte Bearbeitung war am 09.08.2017