Gesundheit
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Mein Körper, mein Konsumtempel

Beitragsbild: Mein Körper, mein Konsumtempel

Isst Du noch oder lebst Du schon? Dieser Slogan wurde zwar noch nicht von der Fitness-Branche ins Spiel gebracht, aber dennoch sind sie auf dem besten Weg.

Kennst Du das Gefühl, wenn Du in der Warteschlange des Supermarktes verweilst, während vor Dir eine unförmige Person ihren Einkaufswagen voller Junkfood und Süßkram angestrengt umher schiebt? Angewidert bist Du, denn Du bist nicht nur eine hochmotivierte Sportskanone, sondern isst nur supergesundes Gemüse vom Biobauern. Wie kann man sich nur so ein Teufelszeug in den Rachen schieben und dann nicht einmal direkt aus Schuldgefühlen heraus joggen gehen? So etwas ist doch unnatürlich und Gift für den Körper! Schlechte Nachrichten für Pilates-Mäuschen und Disco-Pumper: Wenn hier etwas unnatürlich ist, dann ist das euer Körper- und Fitnesswahn. Also rollt euch Yoga-Matten zusammen und schenkt eure Chia-Samen dem nächsten Wellensittich.

Stichwort Evolution – Fressen, weil es verfügbar ist

Kein Lebewesen dieser Welt, abgesehen vom Menschen, würde freiwillig auf die heißgeliebten Kalorien in Form einer leckeren Mahlzeit verzichten. Ungläubige mögen ihren Haustiere so viele Hundekuchen/Katzensnacks vor die Schnauze halten, bis sie vor Übersättigung kotzen. Einige Zeitgenossen brüsten sich lieber mit Verzicht und quälen sich, indem sie sämtliche Köstlichkeiten ignorieren. Dabei ist der Hang zur Extreme ein scheinbar vollkommen normales Verhalten; da sich Lebewesen an die gegebenen Umstände anpassen, wird ein Großteil der ersten Welt immer fettleibiger – weil sie es können.

Dabei war unser Alltag nicht immer so organisiert, dass wir ein Drittel des Tages sitzend verbringen und auf irgendwelche Bildschirme starren. Um diesem erzwungenen Stillstand des Körpers (auch Job genannt) entgegenzuwirken, kam der Mensch auf die Idee, ins Fitness-Studio zu gehen. Anstatt alle zwanzig Minuten kurz aufzustehen und sich irgendwie einen Kaffee zu holen oder sich anderweitig körperlich zu betätigen, rennt er lieber eine Stunde am Stück, bis das Deo einsetzt – zwei bis drei Mal in der Woche. Der Rest kauft sich die Brigitte o.ä. und zelebriert die Diät der Saison.

Die Pfunde purzeln, die Industrie jubelt

Konsum macht glücklich. Doch waren nur wenige Branchen clever genug, diesen Effekt noch zu verstärken. Jahrelang war die Junkfood-Industrie Spitzenreiter für die regelmäßige Ausschüttung von Endorphinen. Mittlerweile hat die Fitness- und Gesundheitsbranche massiv überholt und verdient sich mit der ewigen Angst vor dem körperlichen Zerfall dumm und dämlich. Eine von Narzissmus geprägte und mit Smartphones ausgestattete Gesellschaft hat längst damit aufgehört, nur das Mittagessen zu fotografieren, sondern schwenkt den Fokus auf die eigene Person. Wie kann man Produkte besser verkaufen, als den Konsumenten selbst in den Mittelpunkt zu rücken? Zwar hat es zum Beispiel McDonald’s mit Werbekampagnen wie »Ich liebe es« auf die zwischenmenschliche Art versucht, doch ist derzeit eher Egomanie angesagt.

Die Wahrheit ist: Niemand verdient Geld, wenn alle gesund bleiben. Deshalb redet man den Leuten via Werbeversprechen und Medienvorbildern ein, dass sie unter anderem Nahrungsergänzungsmittel brauchen, um etwas darstellen. Auch entdecken immer mehr Personen sogenannte Intoleranzen an sich, was zum Kauf von speziell gefertigter Nahrung animiert. Die Messlatte der Selbstakzeptanz steigt ins Unermessliche, wenn tagtäglich der Wettkampf in den sozialen Medien stattfindet, wer den dicksten Bizeps oder die dünnste Taille hat.

Die Wampe markiert den Pflegefall

Nicht falsch verstehen, ich stelle die alarmierenden Zahlen Jahr für Jahr nicht in Frage. Es gibt immer mehr Menschen mit gesundheitlichen Problemen (Diabetes, Herzinfarkte), die auf eine falsche Ernährungsweise hinweisen. Aber womöglich ist es nicht die beste Lösung, der Gesundheitsindustrie zu glauben. So wurde letztens herausgefunden, dass eine Diät bei Mäusen zwar lebensverlängernd wirken kann, aber gleichzeitig auch das Immunsystem schwächt. Sollte das auch auf Menschen zutreffen gilt das Motto »Wie gewonnen, so zerronnen«: da hat man ein paar Jahre mehr erhungert, aber verbringt die angeschlagen im Krankenbett. Fail.

Scheitern ist eh das Damoklesschwert eines jeden körperbewussten Sportlers. Ewig schwingt die Gefahr des Versagens mit. Nimmt man wieder zu, hat man versagt – und jeder könnte es einem ansehen, weil die Hose kneift. Ein weiterer Ansatzpunkt der Fitness-Branche, die auf Teufel komm raus jedermann einreden wollen, dass man mit einer prächtigen Wampe beinahe zum zukünftigen Pflegefall abgestempelt wird.

Der Mainstream hat die wahren Probleme unseres Alltags und somit des alltäglichen Bewegungsmangels zwar gewiss erkannt, aber konnte es bislang erfolgreich ignorieren und vor den Konsumenten verschleiern. Wir ahmen das nach und ignorieren die Wurzel des Problems, während wir unser Sixpack per Selfie hochladen. Und bevor wir uns durch einen mit Schokolade gefüllten Einkaufswagen abbremsen lassen, laufen wir lieber um unser Leben.


Letzte Bearbeitung war am 26.03.2016

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