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Liebe Medien, verschont mich nicht mit der Realität

Beitragsbild: Liebe Medien, verschont mich nicht mit der Realität

Schöne, heile Welt. Die UEFA traut uns keine Schlägereien zu. Wird ein üblicher Tatort in Zukunft auch ohne Mord und Totschlag auskommen müssen?

Die derzeit laufende Fussball EM 2016 brachte bereits einige Fragen zutage, die wohl zweifelsohne in die Geschichte eingehen werden. Warum hat sich Jogi Löw an die Eier gefasst? Waren die Schweizer Trikots schon immer so instabil? Was sollen nur Boatengs Nachbarn denken? Sollten Frauen Fussball kommentieren? War das bei der Eröffnungsfeier wirklich Otto Waalkes mit Bart? Diese absurden Themen überschatteten teilweise die Spielergebnisse, sodass mich besonders eine Meldung wunderte, die auch im Zuge der Berichterstattungen für Aufsehen sorgte. Die beiden großen Fernsehsender ARD und ZDF echauffierten sich darüber, weil die UEFA scheinbar ausgestrahlte Bilder aus den Stadien zensierte. Im Zuge dessen möchten die Öffentlich-Rechtlichen lieber ihre eigenen Kameras aufstellen.

Absurde Dronen

Themenwechsel. Vor ein paar Tagen las ich einige Rezensionen zu einem der letzten Tatort-Ausstrahlungen. Es ging um die Wiederholung der Tatort Episode »Kaltstart«, in welchem die deutsche Rüstungsindustrie zum Buhmann auserkoren wird. Focus Online bejubelte das Schleuserdrama mit Drone als »endlich kinotauglich«, während Spiegel Online von »kriminalistischen Absurdidäten« spricht. Nun ist das nicht die erste miserable Rezension der beliebten Krimi-Reihe, dessen Erfolg ich mir beim besten Willen nicht erklären kann. Jeder, der einmal einen guten Krimi unserer europäischen Nachbarn gesehen hat, möchte sich nie wieder mit abstrusen Fällen wie »Das Wunder von Wolbeck« beschäftigen müssen. Die anderen machen es blutiger, ernster und einfach realistischer. Doch ich befürchte, dass die Öffentlich-Rechtlichen uns Zuschauern solche harschen Bilder nicht zutraut und demzufolge lieber rosarote Brillen verteilt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Tatort regelmäßig auf Mord verzichtet.

Noch ein Themenwechsel. Der 61. Eurovision Song Contest bescherte uns einen herausstechenden letzten Platz. Wie konnte das geschehen? Waren nicht wir Zuschauer für diesen Song namens »Ghost« verantwortlich? Schwierig. Schließlich mussten wir nach dem Ausscheiden von Naidoo auf ein kleineres Übel setzen. Dazu stellten die Öffentlich-Rechtlichen einige Kandidaten auf, von denen es letztlich eine weitere Lena-Inkarnation werden sollte. Never change a winning team! Blöd nur, dass diese Taktik bereits im Vorjahr nicht funktionierte. Auch da belegte Deutschland den letzten Platz.

Rosarote Ironie

Sollte tatsächlich noch jemand bis zum Abspann eines Tatorts durchhalten, wird er nicht mit Sendeschluss belohnt, sondern mit einer typischen Talkshow, wie sie nur die Öffentlich-Rechtlichen ausstrahlen können. Selten habe ich eine Diskussionsrunde mit so wenig Diskussionen erleben dürfen. Kritische Fragen sind unpopulär und die ewig gleichen Talkshow-Touristen werden von Sendung zu Sendung weiter gereicht. Eine kritische Frage, die ich auf dem Herzen hätte, würde wahrscheinlich auch im Geschwafel-Nirwana untergehen: warum trauen die Medien uns Zuschauern so wenig zu? Es ist doch vollkommen logisch, dass nicht immer alles Sommer Sonne Sonnenschein sein kann – auch wenn uns die Werbung in nervigen Unterbrechungen uns das Gegenteil weismachen möchte. Wir können lesen! Und schlimmer noch: denken! Zumindest haben es einige noch nicht aufgegeben.

Welche Ironie, dass ausgerechnet die Öffentlich-Rechtlichen sich über die UEFA beschweren, weil Randale im Stadion und irgendwelche Flitzer nicht übertragen werden. Irgendwie drängt sich bei mir der Eindruck auf, dass insbesondere dort Volksverblödungen zelebriert werden, wie sie sonst nur bei den Privaten und Gleis- und Verspätungsansagen der Deutschen Bahn zu erleben sind. Meiner Meinung nach ist die Offenlegung und objektive Berichterstattung ein geeignetes Mittel, um die Menschen zu sensibilisieren. Fakten, Baby. Oder fangen wir demnächst an, wieder von Blumen und Bienen zu reden?

Also her mit den Blutgrätschen.

Photo: Destroyed by Ashley Campbell, CC 2.0


Letzte Bearbeitung war am 20.06.2016
Kategorie: Senf

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Notorischer Schwarzmaler und Weltmeister im »Böse gucken«. Geboren am Niederrhein, verdorben durch den Rest der Welt. Mag Pandas, verabscheut Pendeln. Kontakt: Facebook, Twitter oder Email.

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