Am 29.01.2018 wurde der »Goldene Blogger« 2017 in Berlin verliehen. Hier ist mein ganz persönlicher Bericht über die wichtigsten Influencer, mampfende Pandas und meinen arg eingeschränkten Wortschatz – wenn es darauf ankommt.
Im Frühjahr 1989 schnappte mich mein Vater und setzte mich in einen unbequemen Bus. Reiseziel Berlin. Im KaDeWe bestaunten wir mit schmerzenden Knochen unzählige Dino-Riders-Spielfiguren und spätestens an der »Uhr der fließenden Zeit« drohte eine Reizüberflutung. Wenige Monate später fiel die Mauer. Berlin stellte für einen Kleinstadtjungen wie mich immer schon den Ort des Undenkbaren dar. Die Stadt, in der das Leben tobt und wo Geschichte geschrieben wird. Bei uns am Niederrhein knallen bereits die Sektkorken, wenn zwei grüne Ampeln hintereinander erwischt werden. Ihr wisst, was ich meine. Berlin gibt den Ton an.
Was sagt man in Berlin
2018. Ich stand mit Nadine vor einen Aufzug und wurde sichtlich nervös. Oben in der vierten Etage warteten die anderen Nominierten samt der Veranstalter der #GoldeneBlogger Verleihung. Meine Fähigkeiten hinsichtlich Smalltalk beschränken sich auf »Hi« und »Bier«. Zum Glück ist Nadine weitaus weniger auf den Mund gefallen und bot mir die Sicherheit, den Abend nickend und grinsend zu überstehen. Zur Erklärung: ich bin per se schon »socially awkward«, aber an dem Wochenende waren meine Gedanken erst recht woanders. Meine Mutter lag auf der Intensivstation mit miserablen Nierenwerten und einem viel zu schnell pochenden Herzen. Sie und ich diskutierten lange, ob ich überhaupt fahren sollte. »Bitte fahr, Oliver. Mach‘ dir nicht so viele Sorgen«, sagte sie. Die Stationsschwester beruhigte mich, wiegte mich in Sicherheit. Kurz vor meiner Abreise schmierte ich meiner Mutter noch ein Butterbrot. In Berlin würde man Stulle sagen. Es war ihre erste Mahlzeit des Tages. Sie hatte in den vergangenen zwei, drei Tagen kaum etwas gegessen und ich war froh, dass sie endlich Appetit verspürte.
In der vierten Etage angekommen ging alles recht schnell. Zum Glück informierte ich mich vorab schon ausführlich über die Personen bzw. Blogger, die mir heute über den Weg laufen könnten. Ein paar bekannte Gesichter huschten an mir vorbei: Raul Krauthausen, Maria Sophie Hingst und Eva Schulz von Deutschland 3000. Daniel Fiene, Journalist und einer der Veranstalter, geleitete Nadine und mich direkt zu einem Interview mit dem TV. Totale Überforderung! Miesepeters im Fernsehen? Einfach so? War mein Hemd überhaupt gebügelt? Da reichte »Hi« und »Bier« bei weitem nicht.
Goldige Pandas und goldene Preise
Einen Tag vorher war alles viel einfacher. Da besuchten wir die Pandas im Berliner Zoo. Normalerweise schauten wir uns die flauschigen Purzelkugeln bislang nur via Instagram an. Aber zu dem Zeitpunkt trennten uns nur ein paar Meter. Männchen Jiao Qing fraß haufenweise Bambus und kümmerte sich nicht um die kreischenden Kinder, die von ihren Eltern an die Scheibe gedrängt wurden. Seelenruhig mampfte Panda Jiao Qing vor sich hin. Nach dem Zoo rief ich meine Mutter an, um nach ihrem Befinden zu fragen. Sie klang überraschend normal und ich wollte ihr eigentlich erzählen, wie sehr ich mir ein Haustier (genauer einen Panda) wünsche. Doch ich beließ es bei einem »Halt die Ohren steif«.
Von der vierten Etage ging es runter in den vorbereiteten Saal zur Verleihung der Goldenen Blogger 2017. Es gab Bier und somit hatte selbst ich keine Hemmnisse, ein Gespräch zu führen. Niemals hätte ich mit so vielen Leuten gerechnet und lernte großartige Menschen samt ihrer Projekte kennen, wie unter anderem »Tim schraubt Bass«. Einfach toll, was die anderen Nominierten hier präsentierten. In meiner Rubrik »Bester Nischen-Blog« wurde recht früh abgestimmt, doch mein Smartphone weigerte sich, Kontakt mit der Außenwelt aufzunehmen. Ohnehin hatte ich das Gefühl, dass Twitter das Werkzeug der Wahl gewesen wäre. Doch von Hashtags habe ich nach wie vor keine Ahnung. Ich wurde Dritter und Juna Grossmann mit ihrem Blog »Irgendwie Jüdisch« gewann mit großen Vorsprung, absolut verdient. Ein paar Tage vor der Reise nach Berlin malte ich mir noch aus, wie ich selbst die Auszeichnung mit nach Hause nehmen würde – aber in dem Moment war ich froh, dass ich überhaupt dabei sein durfte. Mit leeren Händen würde ich eh nicht heimgehen, man denke unter anderem an die vielen Eindrücke und unzähligen Panda-Fotos. Jiao Qing bedeutet übrigens »Schätzchen«. Klingt auch goldig.
Blogger des Jahre: @MlleReadOn 🎈🎉♥️ #goldeneblogger pic.twitter.com/jJePHN1eI9
— Goldene Blogger (@goldeneblogger) 29. Januar 2018
Die wahren Influencer
Am Morgen nach der Verleihung geschah das Undenkbare. Nadine und ich kehrten vom Frühstück zurück ins Hotelzimmer, als ich drei verpasste Anrufe auf meinem Smartphone erkennen musste. Ich rief zurück. Meine Mutter verstarb um halb sechs in der Früh, Herzstillstand, teilte mir eine Stimme am anderen Ende der Leitung mit. An den genauen Wortlaut erinnere ich mich kaum, aber ich wurde gefragt, ob sie Organspender sei. Ich spürte für einen Augenblick nichts mehr, bis mich Nadines Arme fest umklammerten. Wie ein Rettungsring. Den hatte ich in diesem Moment auch bitter nötig.
Mittlerweile sind ein paar Tage vergangen. Der Schutthaufen ist noch nicht abgetragen, aber es lichtet sich. Viele Stimmen berichteten über den grandiosen Abend (Einfach mal »Goldene Blogger« goggeln) und ich wägte lange ab, ob auch ich mich zu Wort melden sollte. Sehr persönlich, was innerhalb dieses Blogs bisher nicht meine Art war. Doch der Abend drehte sich um Influencer, eine Bezeichnung, welches Nadine ganz und gar nicht leiden kann. Aber es geht in diesem Fall ja um die Wortbedeutung. Eine Person, die aufgrund ihrer starken Präsenz und Einflusses ein hohes Ansehen genießt. Diese Zeilen widme ich Dir, Mama. Du fehlst mir.
Letzte Bearbeitung war am 06.10.2020