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Was Satire alles darf

Was Satire alles darf

Über Humor und Satire in Zeiten von „Je suis Charlie“ und „Pegida“. Ein kleiner Ausflug in die schwierige Welt der deutschen Humorlandschaft.

Der oft zitierte Kurt Tucholsky wäre am heutigen Tage 125 Jahre alt geworden. Sein Anspruch, dass „Satire alles darf“, steht im Widerspruch zu den jüngsten Ereignissen, die uns derzeit beschäftigen. Dürfen Humoristen wirklich alles? Gibt es Grenzen und wenn ja – wo befinden sie sich? Wirft man einen Blick auf die deutsche Humorlandschaft, wird einem schnell übel. Denn was hier als Humor oder gar Satire verkauft wird, ist eine reine Mogelpackung. Statt Humor und Satire werden nur Stereotypen weichgekocht und letztendlich Vorurteile geschürt.

Vorurteile und Unterhaltungswert

Deutsche lachen über Migranten, über Fette und über Proleten. Zumindest so lange, wie sich die Klischees selbst auf die Schippe nehmen. Dafür zahlt der typisch deutsche Lachsack gerne. Gefüllte Reihen, wenn sich ein Deutscher mit türkischer Abstammung als Dönerverkäufer ausgibt und seine eigene Kultur verarscht. Ausverkaufte Hallen, wenn eine schlecht geschminkte Proletarierbraut im rosa Jogginganzug über ihre Fettleibigkeit witzelt. Solange sich die Satiriker in Selbstironie üben oder Kabarettisten gegen „die da oben“ wettern, ist die Welt noch in Ordnung. Problematisch wird es, wenn sich der zahlende Bürger angesprochen fühlt. Da hört der Spaß auf.

Satire: Form des Komischen in der Kunst, besonders in der Literatur, die mit dem Anliegen, Bestehendes zu verändern, durch Ausdrucksmittel des schärfsten Spottes und enthüllender Polemik charakteristische Widersprüche in Individuum und Gesellschaft aufdeckt und der Lächerlichkeit preisgibt

In Deutschland ist jedoch noch die kostümierte Satire in Mode. Im Gegensatz zu anspruchsvolleren europäischen Nachbarn werden hier noch gerne Perücken, Kostüme und trottelige Pseudonyme gebraucht, um die entsprechenden Figuren lachhafter zu gestalten. So ist eine Distanz zum Lachkunden in den Zuschauerreihen gewährleistet. Trotz aller Ähnlichkeiten zur Realität wird kaum derartig überzeichnet. Doch verbirgt sich hinter dieser Masquerade eine wahre Basis? Wie man so schön sagt: in jedem Witz stecke ein Fünkchen Wahrheit. Hätte sich der dicke Proletarier mit Asi-Frisur und Gossen-Wortschatz sich nicht selbst veralbert, hätten wir – die Zuschauer – es getan? Er erscheint uns nur sympathisch, da er Selbstironie beherrscht – eine gern gebrauchte Form des Humors. Problem ist halt nur, dass wir im Ernstfall (und somit ironiefrei) möglicherweise ganz anders auf ihn reagiert hätten. Und da liegt der Knackpunkt unserer Denkweise.

Schubladendenken für Ikea-Gemüter

Man fragt sich, ob Sendeformate wie „StandupMigranten“ es zwar gut meinen, aber ein Eigentor kassieren. Der Sender Einsplus zeigt junge, witzige und aufgeschlossene Personen, wobei man fast schon zynisch ein „gut integriert“ hinzufügen möchte. Damit auch dem letzten Depp vor dem TV-Gerät klar wird, dass es sich bei den Darstellern um Leute mit Migrationshintergrund handelt, trägt die Sendung diesen sperrigen Namen. Wird dort etwa mit einem Klischee Geld gemacht, weil sich die Kollegen Serdar Somuncu und Bülent Ceylan so gut verkaufen?  Würden sich die einen oder anderen Medien von derartigen Vorurteilen freisprechen, hätte das Format einen anderen Namen, aber möglicherweise weniger Zuschauer. Ich persönlich frage mich, wie viele Pegida-Idioten bei Somuncu bereits Tränen vor dem TV gelacht haben. Davon wollen sie bestimmt nichts mehr wissen.

Je suis Charlie

In Paris wurde ein Anschlag auf die Redaktion der Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“ verübt. Als möglicher Grund dafür gelten Abdrucke diverser Mohammed-Karikaturen. Aha. Das soll Satire also nicht dürfen? Die Täter werden hoffentlich just in diesem Moment gestellt, während ich diese Zeilen tippe. Die Bürger reagierten auf die Tragödie sofort. Selten sah ich derartigen Zuspruch für die Opfer in den Medien, sowie im Freundes- und Bekanntenkreis. Gerade in Zeiten der aufstrebenden Idiotenbewegung Pegida etwas beruhigend. Dumm nur, wenn sich diese realitätsfernen Scheuklappenträger das zunutze machen und weiter ihre Parolen gröhlen.

Jedoch sind es leider nicht nur die „Bösen“, die diese Tragödie zum eigenen Zweck verwursteln. In einem jüngst ausgestrahltem Interview mit Tim Wolff, Chefredakteur des deutschen Satiremagazins Titanic, wird die bekannte und beliebte German Angst geschürt. Kann das auch bei uns geschehen? Oder auf einen konkreten Fall bezogen: Ist im Falle einer japanischen Kernschmelze unser Discounter-Sushi verstrahlt? Und wenn ja, wo gibt es günstige Geigerzähler? Wie erwartet reagiert Tim Wolff auf die Panikmache souverän und bleibt gelassen. Satire, jetzt erst recht.

Statt Blah Blah Blah

Was darf Satire. Sie darf unterhalten, provozieren, zum Nachdenken anregen, beleidigen, unterstreichen, aufmuntern, motivieren, aufdecken, entlarven, bewegen und und und. Was sie nicht darf? Sie darf nicht lügen. Sie darf nichts verschleiern, beschönigen, verleugnen oder gar verschweigen. Denn sonst wäre sie keine mehr, sondern dummes Gelaber. „Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an“, sagte einst Tucholsky.

In diesem Sinne: Gegen die Spaßbremsen!

Update: Die mutmaßlichen „Charlie Hebdo“-Attentäter sind tot


photo credit: charlie hebdo by Muhammad Jaffar


Letzte Bearbeitung war am 05.10.2020

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