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Neulich bei den Anonymen Plastikfreunden

Titel: Neulich bei den anonymen Plastikfreunden

Dilemma Plastik: Man stelle sich eine Art Selbsthilfegruppe für Leute vor, die partout nicht auf Plastikmüll verzichten wollen. Wie das wohl ablaufen würde?

Ich gab mir den Namen Bruno. Wie lässig es klingt, wenn Leute »Was geht, Bruno?« sagen! Beste Voraussetzungen für die Vorstellungsrunde bei den Anonymen Plastikfreunden. Die ultimative Anlaufstelle für alle armen Kreaturen wie mich, die nicht auf ihre tägliche Portion Plastik verzichten können/wollen. In erster Linie geht es natürlich um Austausch von Erfahrungen, zusätzlich sämtliche Sorgen bezüglich der Kampagne gegen Plastik sollen auf den Tisch; Gleichgesinnte können dank der engagierten AP über ihr Lieblingsmaterial debattieren und brauchen sich nicht zu schämen, wenn sie mal ’nen Kaffee im Plastikbecher getrunken haben.

Aufmerksam wurde ich auf diese Veranstaltungen auf dem üblichen Weg: Filterblase, sprich Social Media. Überrascht über die regen Followerzahlen erkundigte ich mich nach dem Ort für das nächste Treffen und ob ich einfach mir nichts dir nichts vorbeischauen könnte. Na klaro! Musste mich halt zu der angekündigten Uhrzeit vor der lokalen IKEA Filiale einfinden. Warum IKEA? Weil jeder Teilnehmer bei einem spontanen Bedürfnis nach Plastik (und nur im Notfall!) schnell im Bällebecken abtauchen darf.

Finger weg von meiner Strohhalm-Sammlung

Leider sagte niemand zu mir »Was geht, Bruno?«, aber wenigstens begrüßte mich die illustre Gruppe freundlichst. Es war ein komplett durchmischter Haufen, die sich nur dank ihrer Zuneigung zum Plastik in einem klischeehaften Sitzkreis versammelten. Da einige neue Gesichter am Start waren, fiel die Vorstellungsrunde etwas ausführlicher aus.

Eine schmächtige Linda berichtete uns von ihrer heimlichen Strohhalm-Sammlung, die sie scheinbar über Jahre hinweg auf dem Dachboden hortete. Timo (mit Bart) hingegen schwörte auf in Plastik eingeschweißtes Obst und Gemüse, ohne Wenn und Aber. Ein sogenannter Nikolaus übertreibt total, da er zu den absurdesten Gelegenheiten einen prall gefüllten gelben Sack mit sich herum schleppt. So unterschiedlich die Vorlieben der Anonymen Plastikfreunde auch sein mochten, uns alle verband ihre Liebe zum Kunststoff. Wir wollten der Umwelt zuliebe und aufgrund des medialen Drucks unsere Neigungen bändigen, aber es ist wahrlich kein Zuckerschlecken. Als zum Beispiel ein anderer Timo (ohne Bart) das Verbot für Plastiktüten ansprach, mussten zwei Teilnehmer zur Beruhigung direkt ins Bällebad.

Der künstliche Stein der Weisen

Irgendwann war auch mein Moment gekommen. Gespannt wartete die Truppe auf meine Vorstellung. »Hi. Ich bin Bruno und möchte euch meine Obsession präsentieren.« Wortlos holte ich einen Lego-Stein aus meiner Hosentasche und hielt ihn vor mich. Ein leises Raunen ging durch die Runde. Aus dem Augenwinkel meinte ich sogar zu erkennen, dass hinter einer vorgehaltenen Hand getuschelt wurde. Einleuchtend, keine Frage. Es war die pure Provokation, als ob ich eine Sektflasche bei einem Treffen der Anonymen Alkoholiker köpfen würde.

Zweifelsohne ein gelungener Einstand. Anstatt ihre Hemd- und Blusenknöpfe, Wasserflaschen oder Smartphones zu befummeln, wollten sie alle meinen Lego-Stein halten. Plastik, welches man bereits seit der Kindheit lieben gelernt hat. Das selbst heute noch – und sogar in der furchtbar ernsten Businesswelt – den guten Ruf inne hat, Kreativität zu fördern und Fantasien zu formen. Ein magischer Stein, der noch nicht für überflüssig erklärt und durch alternative Materialien ersetzt wurde – im Gegensatz zu Lindas Strohhalmen.

Dem Plastik zuliebe

Eine Woche später. Die Runde der Kunststofffanatiker hat sich wieder eingefunden, doch etwas hat sich seit meinem Einstieg verändert. Für die nächste Zusammenkunft durfte jeder sein neues Lieblingsobjekt mitbringen. Linda hat neuerdings keinen Bedarf mehr an ihren alten Strohhalmen, stattdessen feiert sie Bambus. Timo stieg der Umwelt zuliebe auf natürlich verpacktes Obst um – die Banane.

Mancher Plastikmüll kann vermieden werden, warum nicht einfach anfangen? Scheint zumindest bei den Anonymen Plastikfreunden recht angebracht. Nur Nikolaus druckste herum, kam aber letztendlich nicht mit leeren Händen: zwei vollgestopfte gelbe Säcke mit Lego-Bausteinen.

Photo credit: michaelkowalczyk.eu on Visual Hunt / CC BY-SA

Letzte Bearbeitung war am 06.10.2020

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