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Boreout vor der Flimmerkiste Orientieren sich die Anstalten am »dümmsten anzunehmenden Zuschauer«?

Beitragsbild Boreout vor der Flimmerkiste

Wenn die Fernsehsender weiterhin anhand des DAZ (»Dümmsten anzunehmenden Zuschauer«) ihr Programm planen, sehe ich in Zukunft schwarz.

Wie sich die Zeiten ändern. Damals verzweifelte ich noch an der Programmierung meines VHS Rekorders, eine bestimmte Sendung via Timer aufzunehmen. Die Bedienungsanleitung machte einen hochkomplizierten Eindruck und schüchterte mich mit Fachchinesisch ein. Sollte ich es fluchend und den Tränen nahe geschafft haben die Uhrzeit korrekt einzustellen, machte es ein falscher Knopfdruck alles zunichte. Noch einmal von vorn. So war das damals gegen Ende der technlogischen Steinzeit.
Und heute? Die Einstellungen für eine App oder die Bedienung eines Online-Portals geben mir das Gefühl, dass sie mich für den dämlichsten Nutzer unter der Sonne halten. Jeder noch so offensichtliche Schritt wird ins kleinste Details erklärt. Damit auch der größte Idiot kapiert, wie es geht – und somit auch Du und ich.

DAU – Oder wie ein Toaster unterfordert

Das hierzu passende Stichwort lautet DAU. Das steht für »Dümmster anzunehmender User« und soll demzufolge die Umstände verdeutlichen, unter denen heute programmiert wird. Jede App, jedes Gerät und sämtliche Benutzeroberflächen sollte so gestaltet sein, dass man sich selbst nach einer Magic-Mushroom-Komasaufen-Party bestens zurechtfindet. Es muss unbedingt ausgeschlossen werden, dass ein typischer Konsument durch einen falschen Knopfdruck auf seiner Küchenwaage den 3. Weltkrieg auslöst.

Mittlerweile geht diese extrem schonende Schritt-für-Schritt Bedienung bereits so weit, dass ich mich persönlich beleidigt fühle. Für wie dumm hält man mich? Warum erklärt man mir, wie ich den frisch erworbenen Toaster optimal gebrauche? Fehlt nur noch: »Für ein authentisches Toast-Gefühl nehmen Sie zwei handelsübliche Toastscheiben (gerne auch Vollkorn!), die Sie in die oberhalb angebrachten Vertiefungen einführen (siehe Zeichnung). Bitte beachten Sie, dass es dank der uToast-it!© Technologie unerheblich ist, in welcher Reihenfolge Sie die Scheiben toasten. Wollen Sie eine ganz bestimmte Toast-Bräune? Kein Problem! Ihr neuer Blue-Tooth Toaster ZQUFIII5637 kann sämtliche Rezepturen für insgesamt 38439 Toast-Texturen (basierend auf diversen Frühstücksfernseh-Formaten) interpretieren. Profi-Tipp: Stecken Sie vorhab den Stecker in eine Steckdose, damit Sie schnellere Erfolge erzielen.

Du bist, was du schaust

Apropos Frühstücksfernsehen. Oder allgemein jedes Programm, welches in der Flimmerkiste läuft, wie es damals zu Zeiten der VHS-Programmierung geschimpft wurde. Warum habe ich das unangenehme Gefühl, dass die Programmmacher sich hier auch am »DAZ«, sprich den »Dümmsten anzunehmenden Zuschauer« orientieren? Anders kann ich mir einen Großteil der Sendungen nicht erklären.

Doch da stellt sich schnell die klassische Frage. Was war zuerst da? Huhn oder Ei? In Bezug auf das Thema also Format oder Zuschauer? Gar nicht so einfach. Reagierten die Sender auf den Wunsch der Zuschauer, unbedingt Bauern beim Daten zuzuschauen? Oder nimmt der Zuschauer einfach in Kauf, was ihm vorgesetzt wird?

Dabei möchte ich nicht indirekt ausschließlich die Medien anklagen. Schließlich wollen die auch nur Geld machen und geben den Zuschauern, was sie wollen. Die eine Castingshow beschert nur Traumquoten? Dann bringen wir noch eine Castingshow! Ihr habt es ja so gewollt! Es drängt sich die Frage auf, ob man den Zuschauern keine gehaltenvollen Formate mehr zutraut. Das große Flagschiff der deutschen TV-Unterhaltung, Tatort, habe ich bereits zur Sprache gebracht. Es ist kein Wunder, dass die Leute sich gelangweilt vom Evergreen-Krimi abwenden und sich lieber der kompletten Staffel ihrer neuen Netflix-Serie widmen.

Mehr Weitsicht, bitte

Ich wünsche mir mehr Vertrauen in unsere Lernfähigkeit. Traut uns ruhig zu, dass wir einen Handlungsstrang länger als 90 Minuten folgen können. Man muss uns auch nicht jede gesendete Szene von Grund auf erklären, es sei denn, der Öttinger redet wieder Englisch.

Das Fernsehen in der jetzigen Form ist eh ein Auslaufmodell. Was werden die Fernsehanstalten nur machen, wenn sich das Modell durchsetzt, bei dem man nur noch die Programme konsumiert, die man sehen möchte? Zu dem Zeitpunkt, wann es passt? So oft man will? Quasi, wenn Systeme wie Amazon Prime und Netflix sich gegen das bekannte Fernsehen durchsetzen? Vielleicht wird dann Reue gezeigt, weil man den Zuschauer nicht ernst genommen hatte – und er genauso bockig reagieren wird wie ein VHS-Rekorder anno 1989.


Letzte Bearbeitung war am 07.11.2016

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