Du denkst, Dein Handy klingelt, doch es ist falscher Alarm? Kein Schwein rief Dich je an? Dann leidest Du unter der neuen Volkskrankheit Phantomklingeln.
Das übliche Szenario eines gegenwärtigen Alltags: Du bist mit Deinem Citybike in einer an Gentrifizierung leidener Großstadt unterwegs und spürst plötzlich Deinen treuen Begleiter – Dein Smartphone – vibrieren. Selbstverständlich hältst Du sofort an, um zu checken, wer Dich anruft oder eine lebenswichtige Nachricht hinterlassen hat. Doch was musst Du entdecken? Es war reine Einbildung; niemand hat Dich angerufen oder kam auch nur auf die Idee, Dich anzutexten. Du Opfer des Phantomklingelns.
Phantomklingeln: Schellemännchen über das Smartphone
Es erinnert ein wenig an Kinderstreiche, wenn die nervigen Nachbarskinder Dich in den Wahnsinn treiben wollen. Sie klingeln, rennen weg und rauchen nach ihrer Flucht auf einem Hinterhof Crack. Du gehst zur Türe, weil Du Deine Pakete von Zalando und Amazon erwartest, doch schleichst enttäuscht und mit leeren Händen zurück in die Wohnung, um „Poststreik“ zu googeln.
Das Phantomklingeln stellt eine der vielen neuen Krankheiten des Internet-Zeitalters dar. Mittlerweile sind diese so verbreitet und alltäglich geworden, dass sie kaum auffallen. Schließlich wird man ja im im Minutentakt von irgendwelchen Leute via Handy heimgesucht. Diesem Zustand der Gewöhnung ist es zu verdanken, dass mit mobiler Dauerbeschäftigung gerechnet wird. Doch was geschieht, wenn es ausbleibt? Wenn keine Nachricht übermittelt und kein Anruf getätigt wird? Da helfen nur noch imanginäre Freunde bzw. Anrufe und Texte.
Geisteranrufe: Ich sehe tote Displays
Laut einer Studie leiden 25 Millionen Deutsche an Phantomklingeln und Pseudo-Vibrationen. Es sind hauptsächlich Männer, die sich verwundert fragen: „Hat es nicht gerade geblinkt?“ Es ist die unbestreitbare Selbstüberschätzung des vermeintlich starken Geschlechts, welche zu solchen Irrtümern verleitet – dies ist oft auch in anderen Lebenssituationen zu beobachten. Doch auch Frauen leiden unter angeblichen Vibrationen. Wer diesem Satz nun einen angeblichen Subkontext unterstellt, ist einfach nur verdorben oder minderjährig.
Oftmals ist die Folge solcher Geisteranrufe fatal. Schnell zweifeln Betroffene an ihren Fähigkeiten und verfallen in Panik. Das Smartphone wird mehrfach auf Funktionstüchtigkeit geprüft und zur Not auch neu gestartet. Manche erkundigen sich gar bei ihrem virtuellen Umfeld, ob eine Nachricht an sie nicht durchgestellt wurde. Ein Posting bei Facebook mit dem Textinhalt „Hat mich gerade wer angepingt? SORRY!!!111 Mein Handy spinnt!“ ist keine Seltenheit.
Besonders gefährdet sind Menschen zwischen 14 und 29 Jahren. In diesem Lebensabschnitt ist der Wunsch nach ungebremster Bestätigung übertrieben ausgeprägt. Ein junger Mensch ohne dutzende Textnachrichten (SMS, Whatsapp usw.) und Anrufe täglich ist ungefähr so angesagt wie eine Taschenlampe im Darkroom.
Es hat sich bewegt – ehrlich!
Wie kann man gegen die Volkskrankheit Phantomklingeln vorgehen? Muss man dafür erst 30 Lenze erleben? Nein, es geht auch mit einfacheren Methoden. Beispielsweise lohnt es sich, einen unverkennbaren Klingelton zu verwenden. Mit einem eindeutigen Signal kommt es weniger zu Irritationen, da ähnlich klingende Alltagssituationen nicht gegeben sind. Oder man geht den umgekehrten Weg und lässt das Handy einfach am Ohr. Das geht zwar in die Arme, aber stellt sicher, dass nichts verpasst wird.
Abschließend hilft vielleicht auch ein realistischer Blick auf die Gesamtsituation. Gäbe es keine Smartphones, sondern nur den guten alten Postweg, würde man ja auch nicht alle 10 Minuten zum Briefkasten gehen. Vielleicht erwischt man auf diesem Wege ja sogar die elendigen Nachbarskinder.
photo: texting by Kamyar Adl, CC 2.0
Letzte Bearbeitung war am 16.08.2017