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Pokémon Go vs. Tinder – Hoch lebe der Sammeltrieb

Beitragsbild: Pokémon Go vs. Tinder - Hoch lebe der Sammeltrieb

Pokémon Go löst Tinder ab, ohne wirklich das Konzept zu ändern. In beiden Apps geht es um das Sammeln und die Befriedigung unserer Leidenschaft.

Seit nicht einmal einer Woche werde ich von Meldungen über Pokémon Go terrorisiert. Es fing harmlos an. Sonntag morgens entdeckte ich mitten in meiner Facebook-Chronik einen Beitrag über Überfälle, die bei der Nutzung der App geschahen. Das tat ich noch als Skurrilität ab und widmete mich wieder dämlichen Werbeanzeigen, weil irgendein Troll meiner Freundesliste »Hornbach« mit »Gefällt mir« markierte. Am nächsten Tag nahmen die Meldungen über Pokémon Go zu. Noch mehr Überfälle und schwindelerregende Zahlen über die rasante Verbreitung der App. Es dauerte nur weitere 24 Stunden, da lief mir ein Typ in meinem Alter höchst auffällig über den Weg. Starrte auf sein Handy und schien gleichzeitig etwas zu suchen. Keine Frage – ein weiteres Pokémon Go Opfer. Mittlerweile sind nicht nur meine Chronik, sondern auch die ersten Google-News Seiten vollgestopft mit dem Pokémon Hype.

Ich selbst werde die App nicht aus Neugierde testen. Das letzte Mal, dass ich aus »Forschungsgründen« eine App installierte, ist schon etwas her und bescherte mir reichlich obskure Erfahrungen. Manche besser, manche schlechter. Doch kam mir neuerlich der Gedanke, dass der Unterschied zwischen Tinder und Pokémon Go gar nicht so riesig ist. Im Gegenteil, am Ende lösen beide Apps den gleichen Reiz bei uns aus.

Wenn die Sammelwut durchkommt

Wer die Dating-App Tinder kennt und sogar nutzt, kennt auch das Phänomen »Benching«. Dieses Modewort umschreibt den Umstand der Anhäufung von Kontaktleichen. Personen, die man im Laufe seiner Tinder-Zeit ansammelte, aber nie getroffen hat. Manche brüsten sich gar mit ihren Matches; je mehr Optionen man sich angesammelt hatte, desto besser fühlt man sich. Auch mir ging es so. Ich war überrascht, dass ich mit dem unendlich hässlichen Hund meiner Mutter so viel Zuspruch erhielt, sodass mich das motivierte, die anfangs verfluchte App noch weiter zu gebrauchen.
Pokémon Go hat zum Ziel, sogenannte »Pocket-Monster« wie Pikachu einzusammeln und diese für Zweikämpfe zu leveln. Auch hier geht es somit um das Ansammeln von Optionen, um am Ende als Sieger hervorzugehen. Möglicherweise triggern diese Apps unseren Antrieb, möglichst viele Ressourcen zu hamstern, in einfachen Worten eine Sammelleidenschaft zu befriedigen.

Sammeln gegen innere Leere

Freud bezeichnete das Sammeln, welches Männer mehr ausüben als Frauen, als eine »Ersatzhandlung für sexuelle Eroberungen«. Sollte man diese Sichtweise auf Pokémon Go übertragen, so wirkt das zombiehafte Umherlaufen mit dem Smartphone auf Suche nach dem versteckten Ditto recht bizarr. Bei Tinder hingegen leuchtet diese Argumentation schnell ein. Laut einer Statistik sind 34 Prozent der Deutschen der allgemeinen Sammelwut verfallen. Diesbezüglich ist nicht geklärt worden, ob es sich tatsächlich um Sammler oder Leute mit Messie-Syndrom handelt.

Briefmarken, Fotos, Sticker, dämliche Sprüche, Comics, Kalender, Schuhe, Zeitungsausschnitte, Bücher, DVDs, Schmuck, He-Man Figuren, Kinokarten und Wollmäuse. Das Sammeln von Objekten drückt meist den Wunsch aus, eine überschaubare und vor allem kontrollierbare Welt zu schaffen, die man als eine eroberte und »geordnete Realität« bezeichnen könnte. Ob das auch für Apps wie Tinder und Pokémon Go funktioniert, stelle ich arg in Frage. Auch wenn diese Applikationen den Schein erzeugen, dass wir Personen und japanische Ungeheuer als Sammelware abtun können. Warten wir erst einmal ab, bis wir nur noch mit Virtual-Reality-Brillen rumlaufen – auf der Suche nach virtuellen Monstern und Liebhabern.


Letzte Bearbeitung war am 31.05.2017

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