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Sapiosexuell: Das Hirn als Geschlechts­organ

Sapiosexuell - Das Hirn als Geschlechtsorgan

Sapiosexuell – Männer und Frauen stehen auf pralle Hirnrinden. Was steckt hinter dem Ausdruck und heizen Dich eindeutige Zweideutigkeiten erst dann an, wenn der IQ stimmt?

Da sitzen sie nun. Mann und Frau, beide auf der Suche und horny dazu. Sie checken sich ab, ignorieren dabei sekundäre Geschlechtsmerkmale und den ausgebeulten Hosenlatz. Alles was bei der Annäherung zählt, sitzt zwischen den Ohren. Er zitiert seine Lieblingsstelle eines Murakami-Romans und sie rutscht nervös hin und her. Als sie jedoch entgegnet, dass sie fließend vier Fremdsprachen spricht, ist das Eis gebrochen. Der Mann dieser inszenierten Episode kann sich vor Wolllust kaum halten und schlägt ihr eine Runde Schach vor. Sie stimmt zu – auf schwedisch – und sie spielen eine Partie Nackt-Schach. Danach rauchen sie eine und kraulen sich dabei gegenseitig die Häupter.

Sapiosexuell – Wenn Intellekt geiler macht als Viagra

Es war schon immer schwierig, sich selbst zu finden. Gerade in sexueller Hinsicht war das Vorhaben „Selbstfindung“ und somit auch Selbstvermarktung häufig nicht ohne Kritik möglich. Nicht falsch verstehen: die beiden heiß diskutierten Themen Homosexualität und Transsexualität sind keine „Marke“, sondern endlich gesellschaftsfähig (?). Doch was machen nun all jene, die sich mit einer Sexualität einen Charakter zusammen geschustert haben? Die Rede ist unter anderem von Metrosexualität, Lumbersexualität und der nun angesagten Sapiosexualität. Letzteres beschreibt in simplen Worten, dass Intelligenz sexy wirkt.

Sapiosexuell (Sapio, lateinisch = Ich weiß) sind oberflächlich gesehen all jene, die Intelligenz vortäuschen können. Demzufolge wäre der Ex-Minister Guttenberg ein Sexsymbol. Jeder Brillenträger, der im Zug oder Café Wälzer blättert, atmet anhand dieses Trends der Neuorientierung auf. Statt auf den langsam auslaufenden Fitness-Wahn zu setzen, ist unter den Singles plötzlich wieder Hirn- statt Muskelmasse gefragt. Bedeutet das nun, dass Hipsterbrillen doch wieder gefragt sind? Dass man stets seine Notendurchschnitt statt Kontoauszüge dabei haben sollte?

Ich denke – also bin ich sexy

Auch wenn Forschungen das als Neuigkeit verbreiten wollen: Intellekt war schon immer ein Anziehungsgrund. Wer will schließlich Nachwuchs von einem sozialen Neanderthaler oder jemanden, der Probleme beim Schnürsenkel binden hat? Tagtächlich amüsiert sich die Netzgemeinde über offensichtliche Dummheiten, sogenannten „FAILs“ und zitiert die besten Sprüche aus dem Unterschichten-TV, um sich über die (für) dumm verkauften Protagonisten zu positionieren. Dummheit war nie anziehend oder gar sexy.

Nun hat das Ganze halt ein Label – die Sapiosexualität. Aktuell behaupten gerade in den sexuellen sozialen Medien einige Twitterer und Facebook-User, dass sie ab sofort sapiosexuell sind. Wow! Ab sofort erregt also ein IQ und kein Sixpack oder Doppel D. Zum Glück, kann man da fast sagen. Nicht auszumalen, was sonst passiert wäre. Obwohl, wer den Film „Idiocracy“ vom Beavis & Butthead Erfinder Mike Judge aus dem Jahre 2006 gesehen hat, hat eine gewisse Vorahnung, was sonst passiert wäre.

Liebe auf dem ersten IQ Test

Der nächste Trend ist gewiss schon in den Startlöchern. Nachdem die gestählten Körper und die geschulten Hirne abgehandelt wurden, stellt sich die Frage, welche Identität demnächst als sexuelle Orientierung herhalten muss. Vielleicht führt der Weg zurück zum Wesentlichen? Zur einer Sexualität – in dem die Frage geklärt wird, wer die Rechnungen zahlt? Lateinexperten können gerne den passenden Ausdruck beisteuern. Oder wie wäre es mit Zwerchfellsexualität? Wenn witzige Zeitgenossen als Sexualpartner hoch gehandelt werden? Wobei das nun auch nichts Neues wäre. Wobei ein Wechsel zwischen den Extremen durchaus auffällt. Selbst Christian Grey wird gewiss in naher Zukunft vom Gegenteil abgelöst – der Vanillasexualität.

Da sitzen sie wieder, Mann und Frau. Beide hochverliebt und weiterhin horny. Mittlerweile haben sie sich xmal gegenseitig mit der App Quizduell herausgefordert, um das Allgemeingewissen – die sexuelle Basis – abzugleichen. Ihre Freunde fragen manchmal, wie sie sich kennenlernten und die Ergebnisse sind hochinteressant. Sie lobt sein Lächeln, seine Geduld und dass er ihr zuhört – egal, was gerade auf dem Smartphone geschieht. Ihm gefällt die Art, wie sie ihr Haar trägt und ihn akzeptiert, wie er ist. Die Listen sind noch länger, doch in keinem Wort wird erwähnt, dass er oder sie besonders geil denken konnten.


photo: talk to the hand, baby von Jes, CC 2.0


Letzte Bearbeitung war am 31.08.2017

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