Ist ein trauriger Smiley eine angebrachte Reaktion auf einen Amoklauf? Und warum reagieren wir nur betroffen, wenn es vor der eigenen Haustüre geschieht?
Die Welt ist grausam und das wird uns täglich in sämtlichen Medien suggeriert. Schon so lange, dass sich niemand mehr an eine Welt ohne Kriege, Hungersnöte und Naturkatastrophen erinnert. Nur leider haben wir zwischen den täglichen Sorgen, welche Ernährungsform gerade gesund/angesagt ist und ob das Hochzeitskleid nun weiß oder elfenbeinfarben sein soll, keine Zeit für Sorgen der anderen. Bis plötzlich im direkten Dunstkreis ein geistig verwirrter Mensch Amok läuft. Dann ist das schockierend! Die sozialen Medien laufen über vor traurigen Emojis, Radiosender spielen nur noch Musik von Enya und geplante Veranstaltungen werden abgesagt. Deutschland ist in der emotionalen Schockstarre. Einzelne versuchen sich daraus zu lösen in dem sie in blindem Aktionismus Falschmeldungen posten, die sich viral verbreiten. Sicher hilft die eigene Fantasie den Polizeiermittlungen. Immerhin könnte es tatsächlich so gewesen sein!
Bitte nur angebrachte Empathie
Laut der Tagesschau ist es wahrscheinlicher den Tod zu finden, indem man an seinem Essen erstickt, als durch einen Amoklauf. Trotzdem guckt keiner ängstlich auf sein Schnitzel mit Pommes, bevor er sich den Nachschlag reinschiebt. Oktoberfeste, Weihnachtsmärkte und seit neuestem Besuche beim goldenen M hingegen, sind plötzlich ein Problem.
Was ist mit Krankheiten, die täglich mehr Menschen dahinraffen als es jemals Amok-Tote geben wird? »Ja, das kann man ja nicht verhindern!«, schreit der Mob im Chor. Deshalb ist Empathie hier Fehl am Platz. Amok-Opfer hingegeben hätte noch viele Jahre gesund weiterleben können und man kann sich ja auch nicht um alles kümmern.
Verkehrsopfer hingegeben sind nicht vermeidbar? Autofahrer, Motorradfahrer, Fahrradfahrer, sie alle sind ebenfalls einen Tod gestorben, der mehr als unnötig war, weil jemand dachte, für ihn gelten Regeln wie Blinker setzen oder Geschwindigkeitsbeschränkungen nicht. Hier verlange ich ab sofort bedrückte Gesichter hinter jedem Steuer, auch wenn der Po auf neuem Alpaca-Leder sitzt. Einzig angebrachte Musik beim Autofahren sind die Requiem von Mozart. Dies sollte gesetzlich vorgeschrieben sein.
Und all die Selbstmordopfer? Ach stimmt. Das betrifft das Volk ja nur indirekt und als Kollateralschaden höchstens das nähere Umfeld. Also wird es nüchtern zur Seite geschoben und es geht weiter im gewohnten Programm. Was kommt eigentlich heute Abend im Fernsehen?
Selektive Wahrnehmung
Kinder werden in Pakistan in die Luft gesprengt und es interessiert wirklich niemanden in der westlichen Welt. Sorgen ob der Lieblingskäse heute schon wieder ausverkauft ist, wirken in angesichts dessen mehr als pietätslos.
Sogar durch die Folgen eines Blitzeinschlages zu sterben, ist wahrscheinlicher, als in unseren Breitengraden durch Terror. Hier fände ich es angebracht, zum Gedenken der Opfer, an einem Tag in der Woche auf Elektrizität zu verzichten.
Benennen wir die derzeit herrschende Betroffenheit als das was es tatsächlich ist. Egoismus in Reinform. Statt in allen Postings #neverforget zu posten, sollten die Verbreiter solcher Beileidsbekundungen lieber schreiben, was sie womöglich wirklich denken. »Scheiße hab ich Angst, denn jetzt kommt mir der Dreck, den ich sonst erfolgreich ignoriere, zu nah! Bitte tötet wieder weiter weg von der ersten Welt, denn die sind Kummer gewohnt.«
Streitlust – Wieso Streiten gut für die geschundene Seele ist
Streiten will gelernt sein. Viele haben aber Angst, sich ihrer Streitlust hinzugeben. Wie man verbal um sich haut und nebenbei das Ego aufpoliert.
Halt die Fresse, du ######! Du jämmerliches Stück ######! Du immer mit deinem ver####### Rumge######! Jetzt geht es mir deutlich besser. Um eine außerordentliche Streitkultur zu etablieren, muss man wohl oder übel auch mal in die untersten Schubladen greifen. Ist schließlich gut für die Seelenhygiene; befördert den angesammelten seelischen Unrat nach außerhalb und man kann endlich wieder aufatmen. Nach einem Befreiungsakt wie diesem sollte man kritische Einwände nicht allzu ernst nehmen. Natürlich werden deine Widersacher behaupten, dass du extrem übertrieben hast – besonders, was deren Mütter angeht. Aber was tut man nicht alles für das eigene Wohlbefinden?
Simple Konfliktlösungen: Immer schön auf die Fresse
Fest steht: Streiten ist gesund. Unzählige verharren im Unglück, weil sie an das Allheimittel Wellness glauben. Lassen sich mit Steinen massieren und unterdrücken sämtliche negative Gedanken. Rennen auf einem Laufband vor ihrer Rage davon. Am Ende genügt nur ein kleiner Tropfen und das prall gefüllte Wutfass quillt über. Ich habe nie verstanden, warum man sich der erfüllenden Streitlust widersetzt. Man muss ja nicht ständig um des Streitens willen seinen Senf dazu geben. Aber ab und zu sollte man aufpassen, dass man nicht zum Fußabtreter wird, um den vordergründigen ver###### Haussegen zu wahren.
Streiten schafft Klarheit, reinigt die Luft. Einfach mal aggressiv SCHEIßE rufen, wenn man Überstunden schieben muss. Der Freundin eine Standpauke halten, weil man keinen Bock auf einen Pärchenabend hat. Dem Kumpel in Grund und Boden dissen, wenn er dein letztes Bier leer trinkt.
Trainiere deine Streitlust
Keine Ahnung, wann sich diese Harmoniesucht eingeschlichen hat. Dieser Drang, alles Negative weg zu reden und dem Unangenehmen aus dem Weg zu gehen. Mit dieser Verdrängungstaktik werden schweren depressiven Phasen eine optimale Basis geboten. Und das alles nur, weil man sein Maul nicht aufbekam? Um das praktische Streiten zu üben, lohnt es sich, die folgenden Übungen durchzuführen:
- Wähle irgendeine Nummer und sage der Person am anderen Ende der Leitung, was dich alles ankotzt. Lass alles raus! Nur vergiss nicht, deine Nummer zu unterdrücken
- Gehe in einen Handyladen und lobe den genialen Service. Vermeide ironische Untertöne! Alle anderen anwesenden Kunden werden dich für verrückt erklären
- Schreibe einen Wutkommentar auf Facebook – am besten sowas wie »Hässlichstes Kind ever« unter ein Kinderfoto
- Trink einem Typen in der Kneipe frech das Bier vor der Nase weg und argumentiere, dass er ohnehin genug hat
- Stöber ungefragt in fremden Schubladen, Handys oder Unterhosen herum. Wenn die mit offenen Mund staunen, fragst du: »Is was?«
- Stell Passanten ein Bein und beschwer dich laustark über Wadenschmerzen, wenn sie dich anfahren
- Apropos Anfahren: bleib mitten auf der Strasse stehen und tanze. Je lauter er oder sie hupt, desto lauter musst du schimpfen
Endlich frei, du F######!
Anstatt einen Konflikt ohne Aussprache unendlich in die Länge zu ziehen, kann ein ordentlicher Streit mit Haareziehen und Beißen die Wogen glätten. Ein bisschen Ehrlichkeit im Umgang mit anderen kann ja nicht schaden. Jedoch sollte man bei aller Rage darauf achten, dass die Streitkultur nicht total aus dem Ruder läuft. Aus diesem Grunde empfiehlt es sich, ICH-Sätze aus dem Vokabular zu streichen. Ebenso wie immer und Sätze, die mit Du machst beginnen.
Die größte Hürde ist fehlende Empathie. Die Fähigkeit, die andere Seite der Medaille zu erkennen und zu akzeptieren. Zuhören und Kompromisse finden, ohne dabei auf das Argument zu verzichten. Nur wenn dir jemand blau für rot verkaufen will, musst du leider die gute Kinderstube vergessen und ihm die Fresse blau – pardon, rot – schlagen.
Wie du seine Arbeitslosigkeit erklärst
Du warst eine unglückliche Single-Lady und hast dir ausgerechnet einen angelacht, der ohne Job ist? Hier sind passende Ausreden für seine Arbeitslosigkeit.
Dieses Pärchen im Nachbarhaus habe ich noch nie verstanden. Damit ist nicht die Lautstärke gemeint, deren Pegel kann locker mit Manowar mithalten. Viel mehr ist die unendliche Streiterei gemeint, die morgens kurz nach dem Kaffee brüllend startet und abends zum Bier nuschelnd verstummt. Meist geht um seine Faulheit und ihre Intoleranz bezüglich seiner passiven Lebenseinstellung. Ich vermute mal, dass ihr seine Bequemlichkeit langsam unangenehm ist. Vor den Freunden, den Eltern und den neugierigen Augen der Nachbarschaft. Da er nie das Haus verlässt, wie es jeder anständige Arbeitnehmer tun sollte, könnte es dem einen oder anderen auffallen.
Hättest du nicht Alexander heiraten können?
Dabei kann das jeder verzweifelten Frau mit Torschlusspanik passieren. Sie verliebt sich ausgerechnet in den Typen, der schon immer von einem bedingungslosen Grundeinkommen träumte und deshalb freiwillig auf Arbeit verzichtet. Klar muss sie für alles aufkommen, aber hey – wenigstens braucht sie nicht alleine auf dem Sofa abhängen. Damit deine Freunde und Eltern jedoch in ihrer Neugierde befriedigt werden, brauchst du die passenden Ausreden für dein Techtelmechtel. Mit diesen Ratschlägen wirst du alle von deinem Glück überzeugen, obwohl du dich wie seine Mutti fühlst!
Er ist auf dem Selbstfindungstrip!
Das letzte Bewerbungsgespräch sagte er ab, weil er einen »Anzug tragen müsse« und ohnehin erst kurz nach 11:00 Uhr aufsteht. Das muss ja niemand erfahren. Genauso wenig, dass er 12 Stunden am Tag vor dem Rechner hockend zockt oder onaniert. Anstatt dreist zu lügen kannst du begeistert von seinem lang ausgedehnten Selbstfindungstrip reden. Zwar ist die Bude nicht aufgeräumt, aber wenn du von deinem unterbezahlten Pflegerjob heimkommst, könnt ihr wenigstens gemeinsam über RTL-Trash lachen.
Er macht gerade eine Weiterbildung!
Weiterbildungen sind gut, denn sie bieten die Chance auf mehr Geld in der Kasse. Das wird deine materiell veranlagten Freunde mächtig beeindrucken. Besonders Linda, die Urlaub und Schmuck mehr liebt als ihren Jörn. Auch deine Mutter wird deinen Namen wieder im Testament erwähnen, denn bei einer Weiterbildung ist noch nicht alle Hoffnung verloren. Wenn du es geschickt anstellst, könnte dein Umfeld sogar denken, dass du dir ein besonders cleveres Exemplar Mann geangelt hast. Dass er dafür den ganzen Tag nur Longboard-Clips bei YouTube sieht, darf jedoch niemand erfahren.
Er verdient sein Geld im Internet!
Auch wenn alle im Netz unterwegs ist: die schier unendlichen Möglichkeiten sind den meisten unbekannt. Bei einer solchen Ankündigung denkt die Meute direkt an Mark Zuckerberg und Co. Jede Menge Kohle scheffeln mit fremden Daten und langsam aber sicher zur Weltherrschaft gelangen. Praktisch ist diese Ausrede obendrein. Immer, wenn er sein Smartphone in die Hand nimmt, sieht es nach schwerer Arbeit für sein Imperium aus.
Er ist Alternative Communication & Marketing Assistent!
Bereits bei den ersten zwei Wörtern werden deine Freunde weghören, weil sie nur Bahnhof verstehen. Zu viele denglische Ausdrücke und sie werden sofort über andere Sachen reden wollen, wie Game of Thrones oder so. Sollte jemand dennoch Verdacht schöpfen, weil er oder sie die Bezeichnung noch nie gehört hat, bietet sich ein gewagter Themenwechsel an. Geschlechtskrankheiten oder so.
Seine Eltern habe eine Firma!
Ähnliches Prinzip. Hier werden kritische Fragensteller schnell verstummen, weil bei ihnen der blanke Neid hochkocht. Erfolg anderer Menschen war schon immer unattraktiv und uninteressant – egal, wie nahe man ihnen steht. Anstatt deinen Freund schief und angewidert anzuschauen, betrachten sie ihn voller Ehrfurcht. Halte deine Single-Freundinnen fern! Nur die Eltern bilden hier die Ausnahme. Die werden nur vertraglich festhalten wollen, dass die Kostenübernahme der Hochzeit ohne sie geregelt wird.
Wenn Du diese Dinge kennst, bist Du offiziell alt
Zeige mir Deine VHS-Sammlung und ich sage Dir, wie alt Du bist. Viele Produkte unserer Jugend lösen wahre Nostalgie aus, wie z.B. tanzende Sonnenblumen.
Kannst Du die Eingangsmelodie von MacGyver summen? Hast Du mal farblose Pepsi getrunken? Weißt Du, dass die Simpsons ihre Deutschlandpremiere im ZDF feierten? Dann bist Du ganz schön in die Jahre gekommen – um nicht zu sagen kurz vor der Vergreisung. Alt zu sein ist sicherlich keine Schande, doch sagen einige Produkte oder Gegebenheiten, die wir selbst heute noch beim Namen nennen können, etwas über unseren fortlaufenden Verfall aus.
Generation tanzendes Plastik
In meiner Jugend hing ich öfter im Traumlandpark (Bottrop Kirchhellen) ab. Dieser Vergnügungspark war bekannt für das größte Dinosaurier-Freilichtmuseum und wurde irgendwann durch Daffy Duck und Co. ersetzt. Als ich damals angestrengt mit einem Tyrannosaurus aus Pappe abklatschen wollte, hätte ich mir nie zu träumen gewagt, dass ich eines Tages ähnlich vom Aussterben bedroht sein werde. All die Symbole meiner Jugend, die zum Teil auch in dieser kleine Liste auftauchen, stehen heute für eine Zeit ohne Sorgen wie Steuererklärungen und graue Haare. Aber wie absurd diese zum Teil waren! Erst mit genügend Abstand wird meine hoffnungslose Liebe zu Plastik deutlich. Zum Glück wurde das heute durch digitale und unbegreifliche Dinge wie Facebook ersetzt, sonst würde ich wohl immer noch die folgenden Dinge feiern.
Wurli – Das lustige Zaubertier
Eine Abflussbürste mit einem Nylonfaden war eins der beliebtesten Kinderspielzeuge, als man noch nicht mit dem Handy auf Pokémon Jagd ging. Dank der damals hochmodernen Nylontechnik, die für das bloße Menschenauge ab einer Promille kaum nachvollziehbar war, waren waghalsige Stunts mit dem Flauschewurm möglich. Auf der Homepage werden selbst heute noch die unendlichem Möglichkeiten zur Nutzung angepriesen: lass deinen Wurli-Wurm über leere Weinflaschen krabbeln, durch zerkratzte CDs hopsen oder Salti schlagen, um sich im Ventilator zu verheddern.
Audiocassetten
Die besten und auch geschmacklosesten Jahre sind auf diversen Mixtapes zu finden. Der letzte verbleibende Kasssettenspieler wird bei heimischen Besäufnissen genutzt, um leicht lädierte Ansammlungen von fragwürdigen Titeln der 80er und 90er abzuspielen. Zwar möchten Kenner am liebsten dazu wie in Teenie-Jahren »tanzen« (d.h. motorisch grob abspacken), aber stattdessen folgt auf jeden Song ein ironischer Kommentar. Spätestens, wenn irgendein Dirty-Dancing-Song läuft, wird einem die Vorstufe zur Midlife-Crisis bzw. den Wechseljahren bewusst und es wird großzügig nachgeschenkt.
Sendeschluss
Auch das Fernsehen hatte mal ein Ende, welches als Sendeschluss betitelt wurde. Meist erhielt man eine rauschige animierte Schneelandschaft, die der menschlichen Vorstellungskraft weitaus mehr Spielraum darbot, als das heutige Nachtprogramm voller Wiederholungen und Titten. Kurz vor diesem Spektakel wurde ein sogenanntes Testbild eingeblendet, um auch die Gehörgänge mit einem hohen schrillen Piepton zu inspirieren. Die öffentlich-rechtlichen Sender nahmen ihren Bildungsauftrag seinerzeit ernst und wollten die Bürger frühzeitig ins Bett jagen.
Tamagotchi
Das Konzept klingt wahnsinnig: Mitte der 90er wurde ein Schlüsselanhänger namens Tamagotchi zum Massenphänomen, der ein virtuelles Tierchen beherbergte. Es handelte sich dabei um ein Küken, welches die üblichen Bedürfnisse eines Haustieres dem Besitzer abverlangte. So musste es gefüttert, gestreichelt und gebettet werden und war sogar fähig, eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln, d.h. zum nervtötenden Scheusal zu werden. Die Vorteile zum echten Vierbeiner lagen auf der Hand: keine Kothaufen im Hausflur, keine erlegten Mäuse auf dem Balkon und kein Gerammel am Hosenbein. Harsche Kritik erfuhr das Digiküken, weil es bei Nachlässigkeit innerhalb weniger Stunden sterben konnte. Die Konsequenz: zahlreiche Kinder schwänzten die Schule und nennen sich heute »Generation Y«.
Tanzende Sonnenblume/Cola-Dose
Die 80er stehen für seltsame Frisuren und Produkte. Da dürfen auf keinesfalls die tanzenden Sonnenblumen bzw. die Dancing Coke Can fehlen, die sich bei Musik in Bewegung setzten. Welchen Zweck diese Staubfänger hatten, lässt sich aus heutiger Sicht nur schwer beurteilen. Möglicherweise war MTV noch nicht verbreitet und es fehlten die lässigen Tanzschritte zu den Beats von MC Hammer. Tragischerweise wurden die Moves eine Dekade lang übernommen und erst spät durch einen ebenso ungelenken Tanzstil abgelöst – dem Macarena. Wer die Teile heute noch in seinem Regal stehen hat, riskiert ausgelaufene Batterien und Werbebroschüren vom Altersheim.
21. Juli – Alle Macht den Drogen
Heute ist der nationale Gedenktag für verstorbene Drogenabhängige. Stichwort Drogen. Das Wort, bei dem dieser Unterton mitschwingt, den die Muttis einem als Teenager immer warnend zuraunten, wenn man auf Partys gehen wollte. Das Wort, das die Biolehrerin einem präventiv versuchte ins Hirn zu pflanzen, um auf Gefahren hinzuweisen. Das Wort, wegen dem zahlreiche christliche Minderheiten auf den Straßen unterwegs sind, um alle anderen dagegen aufzuwiegeln.
Gebracht hat es alles nichts. Jeder konsumiert täglich Drogen. Angefangen beim Kaffee am Morgen bis zur Zigarette danach. Egal ob Zucker, Heroin, Pokémon Go, Ecstasy oder Alkohol.
Warum wird man drogenabhängig?
Was ist das für eine blöde Frage? Weil es gesellschaftsfähig ist. Jedes Subsystem der Gesellschaft hat dabei seine eigenen abhängig machenden Substanzen. Bei den Werbeagenturen ist Marihuana groß im Kurs, Manager schwören dagegen auf Kokain, paramilitärische Jemeniten kauen Kat, für Kinder, die nicht essen wollen hält die Lebensmittelindustrie eine Menge Rohrzucker bereit und Ärzte nehmen die Pillen, die ihre Patienten nehmen, die gut drauf sind.
Kann man sich dem Bann der Drogen entziehen?
Wer sozial akzeptiert sein will, muss die Drogen zu sich nehmen, die seiner Gruppe zugeordnet sind. Man stelle sich einen Fußballfan vor, der umgeben von seinen Hooliganfreunden, bei einem Tor der gegnerischen Mannschaft statt der üblichen Bierdosis den Inhalt einer Lachgaskapsel inhaliert hat.
Oder ein Politiker, der für das Kanzleramt kandidiert und nach langem Wahlkampf und vielen durchwachten Nächten vor dem TV-Duell nicht zu einem Aufputschmittel greift, sondern zum sedierenden und halluzinogenen Fliegenpilz.
Auch ein Hochleistungssportler der Tour de France, dessen Präparate sehr subtil verabreicht werden müssen, damit die Dopingkontrolle seiner Karriere nicht ein jähes Ende bereitet, ist schlecht beraten, wenn er etwas Brachialeres ausprobiert und kurz vor dem Start an einer Kröte leckt.
Man begibt sich in die Gefahr Reputation unter seinen Kollegen einzubüßen, wenn man nicht die richtigen Drogen nimmt. Und nur sehr wenige schaffen es völlig abstinent zu leben.
Ist es möglich, durch Drogen zu sterben?
Das ist möglich. Meist passiert dies aber nicht. Leute, die durch Drogenkonsum den Löffel abgeben, sind oft Aufsteiger, die trotz des höheren Gehaltes, das ihnen die Gesellschaft in einer neuen besser angesehenen sozialen Position bereitstellt, die auf eine minderwertigere Droge zurückgreifen (wie zum Beispiel Rockstars). Oder Menschen, die nicht besonders angesehen sind und nicht im Fokus der Öffentlichkeit stehen (Klebstoffschnüffler hinter dem Bahnhofsklo).
Zwischen den Auf- und den Absteigern findet sich die abhängige Mitte. Die Zuckerschlecker, die Smarthphone-Besessenen und die Gewohnheitstrinker. Diejenigen, die ein wenig mehr auf ihre Mutter gehört haben aber dennoch an den alltäglichen und gesellschaftlich akzeptierten Süchten teilhaben. Und wer denkt schon ans Ableben, wenn Mutti ihren Lieben eine Packung Schnapspralinen öffnet?
Urlaub für Masochisten – Sommerlust oder Reisefrust?
Urlaub ist doch nur was für Masochisten. Für solche, die unendlichen Staus und verlorenen Koffern Lust abgewinnen können. Ein Plädoyer gegen das Verreisen.
Die Urlaubszeit bricht an und Deutschland ist unterwegs. Denn jeder mag es im Urlaub zu sein, nur dorthin zu kommen gleicht einer Odyssee. Natürlich hat man die Wahl, welches Fortbewegungsmittel man auch immer bevorzugt. Nur leider gleicht es eher der Wahl zwischen Strick und Wasser.
Auto fahren
Pünktlich zur Urlaubszeit füllen sich die Straßen und die Autobahnen sind verstopft. Zwischen den Baustellen, Unfällen und Vollsperrungen schaffst du es tatsächlich manchmal Schrittgeschwindigkeit zu fahren. Du fixierst mit deinem Blick Käfer am Wegesrand, nur um sicher zu gehen, dass du nur gefühlt rückwärts fährst. Deine Frau zetert mit der Karte in der Hand rum, dass du selbst schuld bist dich verfahren zu haben, weil du damals zu geizig für das Navi warst. Hinten quengeln die Kinder, wovon eines vor einer halben Stunde meinte, dass es Pipi müsste und die letzten 5 Minuten verdächtig still und erleichtert aussieht. Das andere weint, weil der Akku der Spielkonsole leer ist und es aus Versehen die Capri-Sonne im Fußraum entleer hat.
Bahn fahren
Lokführer, Fahrscheinkontrolleure oder die Typen, welche die Mülleimer im Zug leeren, einer streikt immer. Gerüchten zufolge gibt es eigens hierfür eine WhatsApp-Gruppe, in der täglich geklärt wird, wer heute an der Reihe ist. Alternativ gibt es noch technische Defekte oder Verspätungen im zweistelligen Stundenbereich, von denen nie jemand verstehen wird, wie sie entstehen. Egal was passiert, die Bahn sorgt dafür, dass die Fahrt zum Erlebnis wird und man etwas zum Erzählen hat. An sehr unkreativen Tagen läuft alles nach Plan, aber um im Gespräch zu bleiben schalten sie wenigstens die Klimaanlage aus.
Fähre
In deiner Fantasie stehst du auf Deck, während dir eine leichte Brise durch das Haar weht und du einen auf »Ich bin der König der Welt!« á la Titanic machen kannst. Die Wahrheit sind stürmische See und peitschender Regen. Du torkelst durch die Gänge und suchst panisch die nächste Toilette, um dein Frühstück rückwärts zu essen. Bei Traumschiff sah das anders aus.
Flugzeug
Zur Jet-Set-Society zu gehören ist auch nur cool, wenn man es in Hollywood-Filmen sieht. Schmale Sitze, furchtbares Essen, das laute Dröhnen der Turbinen wäre alles zu ertragen. Dein Nebensitzer, der Duschen für Luxus hält und dessen Krankheit du panisch versuchst an der Farbe seines Auswurfs zu identifizieren, eher nicht. Sein Redebedarf ist noch ekelhafter als seine Erscheinung und nach 7 Stunden Flug, kennst du seine komplette Lebensgeschichte. Du bist froh »Patient 0« entkommen zu sein und wartest auf deinen Koffer, der leider verloren gegangen ist. Freu dich auf eine Woche leben aus dem Handgepäck. Nach etlichen Formularen wird Monate später ein Bruchteil des Anschaffungswertes überwiesen.
Jeder der mir erzählt, dass Reisen ja so toll sei und einem Abenteuer gleicht, entgegne ich stumm mit skeptischem Blick und einer hochgezogenen Augenbraue. Solche Menschen mögen sicher auch Fußpilz oder Reiszwecken im Sandwich, weil beides ja so aufregend ist. Da bleibe ich lieber zu Hause und beobachte mein Joghurt-Experiment im Kühlschrank, welches wöchentlich die Schimmelfarbe wechselt. Spannender als zu reisen ist das allemal und dabei deutlich nervenschonender.
Pokémon Go vs. Tinder – Hoch lebe der Sammeltrieb
Pokémon Go löst Tinder ab, ohne wirklich das Konzept zu ändern. In beiden Apps geht es um das Sammeln und die Befriedigung unserer Leidenschaft.
Seit nicht einmal einer Woche werde ich von Meldungen über Pokémon Go terrorisiert. Es fing harmlos an. Sonntag morgens entdeckte ich mitten in meiner Facebook-Chronik einen Beitrag über Überfälle, die bei der Nutzung der App geschahen. Das tat ich noch als Skurrilität ab und widmete mich wieder dämlichen Werbeanzeigen, weil irgendein Troll meiner Freundesliste »Hornbach« mit »Gefällt mir« markierte. Am nächsten Tag nahmen die Meldungen über Pokémon Go zu. Noch mehr Überfälle und schwindelerregende Zahlen über die rasante Verbreitung der App. Es dauerte nur weitere 24 Stunden, da lief mir ein Typ in meinem Alter höchst auffällig über den Weg. Starrte auf sein Handy und schien gleichzeitig etwas zu suchen. Keine Frage – ein weiteres Pokémon Go Opfer. Mittlerweile sind nicht nur meine Chronik, sondern auch die ersten Google-News Seiten vollgestopft mit dem Pokémon Hype.
Ich selbst werde die App nicht aus Neugierde testen. Das letzte Mal, dass ich aus »Forschungsgründen« eine App installierte, ist schon etwas her und bescherte mir reichlich obskure Erfahrungen. Manche besser, manche schlechter. Doch kam mir neuerlich der Gedanke, dass der Unterschied zwischen Tinder und Pokémon Go gar nicht so riesig ist. Im Gegenteil, am Ende lösen beide Apps den gleichen Reiz bei uns aus.
Wenn die Sammelwut durchkommt
Wer die Dating-App Tinder kennt und sogar nutzt, kennt auch das Phänomen »Benching«. Dieses Modewort umschreibt den Umstand der Anhäufung von Kontaktleichen. Personen, die man im Laufe seiner Tinder-Zeit ansammelte, aber nie getroffen hat. Manche brüsten sich gar mit ihren Matches; je mehr Optionen man sich angesammelt hatte, desto besser fühlt man sich. Auch mir ging es so. Ich war überrascht, dass ich mit dem unendlich hässlichen Hund meiner Mutter so viel Zuspruch erhielt, sodass mich das motivierte, die anfangs verfluchte App noch weiter zu gebrauchen.
Pokémon Go hat zum Ziel, sogenannte »Pocket-Monster« wie Pikachu einzusammeln und diese für Zweikämpfe zu leveln. Auch hier geht es somit um das Ansammeln von Optionen, um am Ende als Sieger hervorzugehen. Möglicherweise triggern diese Apps unseren Antrieb, möglichst viele Ressourcen zu hamstern, in einfachen Worten eine Sammelleidenschaft zu befriedigen.
Sammeln gegen innere Leere
Freud bezeichnete das Sammeln, welches Männer mehr ausüben als Frauen, als eine »Ersatzhandlung für sexuelle Eroberungen«. Sollte man diese Sichtweise auf Pokémon Go übertragen, so wirkt das zombiehafte Umherlaufen mit dem Smartphone auf Suche nach dem versteckten Ditto recht bizarr. Bei Tinder hingegen leuchtet diese Argumentation schnell ein. Laut einer Statistik sind 34 Prozent der Deutschen der allgemeinen Sammelwut verfallen. Diesbezüglich ist nicht geklärt worden, ob es sich tatsächlich um Sammler oder Leute mit Messie-Syndrom handelt.
Briefmarken, Fotos, Sticker, dämliche Sprüche, Comics, Kalender, Schuhe, Zeitungsausschnitte, Bücher, DVDs, Schmuck, He-Man Figuren, Kinokarten und Wollmäuse. Das Sammeln von Objekten drückt meist den Wunsch aus, eine überschaubare und vor allem kontrollierbare Welt zu schaffen, die man als eine eroberte und »geordnete Realität« bezeichnen könnte. Ob das auch für Apps wie Tinder und Pokémon Go funktioniert, stelle ich arg in Frage. Auch wenn diese Applikationen den Schein erzeugen, dass wir Personen und japanische Ungeheuer als Sammelware abtun können. Warten wir erst einmal ab, bis wir nur noch mit Virtual-Reality-Brillen rumlaufen – auf der Suche nach virtuellen Monstern und Liebhabern.
»Wollen Männer nur das Eine?«
Sind Männer nichts weiter als hormongesteuerte Schweine, die alles rammeln möchten, was nicht bei drei auf den Bäumen ist? Eine Demotivationsfrage.
Morgen treffe ich ihn wieder. Es wird unser drittes Date sein und ich bin sehr nervös. Natürlich habe ich noch keinen blassen Schimmer, was ich anziehen sollen. Ich mein – ich will keine falschen Signale setzen. Nachher denkt er, ich wäre leicht zu haben. Zu streng darf es aber auch nicht wirken, da er sonst annimmt, dass ich vor dem Sex sämtliche Glühbirnen zerkloppe. Mir wird schon das die ideale Kombination zwischen nuttig und stilvoll einfallen, aber hoffentlich ist sämtliche Mühe nicht umsonst! Jedermann weiß ja, wie Männer ticken und meine bisherigen Erfahrungen könnten allesamt den Stempel »Epic Fail« tragen. Ich habe nie verstanden, wo deren Antrieb liegt. Warum versetzen Männer Berge, überqueren Ozeane und spendieren mir mindestens sieben Cocktails, nur um mein O-Face zu sehen? Meine Freundinnen nerven mit Floskeln à la »Männer wollen Sex, Frauen wollen reden«, dabei ist zwischen ihm und mir mittlerweile alles gesagt. Was ist, wenn er nach unserem dritten Date meine Nummer und unsere Facebook-Markierungen löscht? Wie Jason, der blöde Bastard. Oder Labertasche Timmy.
Möglicherweise hatte ich bisher nicht immer das richtige Händchen bei der Partnerwahl, aber es muss doch mal einer dabei sein, der es bis zum Frühstück mit mir aushält oder wenigstens wartet, bis ich keine Lust mehr habe. Ist mir sowieso schleierhaft, warum so viele Männer von mir nur das Eine wollen. Als feste Partnerin wäre ich total super! Ich trinke sogar ab und zu ein Bier (Veltins V+ Curuba) und würde für einen Abend vor der Playstation auf Pilates verzichten. Oder sind in der Hinsicht Hopfen und Malz verloren? Haben Männer von Haus aus Bindungsängste und verzichten lieber auf Zweisamkeit, um sich möglichst oft die Hörner abzustoßen?
Selbst die unattraktivsten Freundinnen meiner Freundesliste haben es irgendwie geschafft, sich einigermaßen ansehnliche Kerle bzw. feste Partner an Land zu ziehen. Mir will das aber nicht gelingen. Wenn ich nur poppen will, kann ich mich auch bei Tinder anmelden und einmal beliebig nach rechts wischen. Nein, so hoffnungslos kann es nicht sein. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass es in der Männerwelt nur Typen wie Jason gibt. Deshalb meine Frage: Wollen Männer am Ende tatsächlich nur das Eine? – Linda H. aus Bremen
Juhu! Endlich eine Frage, auf die eine kurze Antwort möglich ist:
Ja. Männer wollen nur das Eine. Sorry!
Kleiner Tipp am Rande: Genießen Sie die Cocktails.
Weitere Demotivationsfragen.
Ein kurzer Dialog in der S-Bahn zur Zeit
Wenn ältere Menschen mit der Jugend sprechen, bleiben Konflikte nicht aus. So auch in der unterhaltsamen Konversation, die ich jüngst belauschen durfte.
Heute wurde ich Zeuge eines Generationenkonflikts. Ich wartete auf die Abfahrt der S-Bahn, in der ich schmökernd hockte, als plötzlich eine lautstarke junge Dame den Wagon enterte. Im Schlepptau ihren Opa. Sie hatte blaues Haar und er trug trotz Sommerwetter einen Regenschirm bei sich. Normalerweise würde so ein Gespann kaum meine Aufmerksamkeit auf sich lenken, aber deren Konversation war zu unterhaltsam. Außerdem finde ich es immer wieder erfrischend, wenn der Nachwuchs ältere Familienmitglieder fragt: Alter, bist du behindert?
Blau vs. Beige
Damit man sich die Szenerie besser vorstellen kann: Die Enkelin musste garantiert noch nie an die Wahlurne und war hochgewachsen; ihre Haare blau gefärbt und zu einem lieblosen Dutt verknotet. Ihre Stimme war das Erste, was ich von ihr wahrnahm. Ein Klang, so dröhnend wie eine Entkernung des Nachbarhauses und mit nicht zu überhörbaren Sch-Lauten. Ihr Opa betrat die Bühne erst, als sie bereits einen Sitzplan ausgewählt hatte. Er trug einen schlichten Anorak in der typischen ü60 Farbe Beige. Rasch stiegen sie in ein atypisches Großvater-Enkel-Gespräch ein, dem ich mich kaum entziehen konnte.
Enkelin: Schau mal, die ist voll Hardstyle. Erkennt man sofort an der Lonsdale-Jacke und den Buffalos. Sehen immer gleich aus. Erkennste sofort. (sie zeigt auf eine Person zwei Sitzreihen weiter)
Opa: Sind das diejenigen, die ich letztens bei YouTube sah? Mit der bayrischen Volksmusik? Der Clip hatte mir gut gefallen!
Enkelin: Nein, man. Das war Industrial.
Opa: Und das ist nun ..?
Enkelin: Hardstyle! Möglicherweise auch Shuffle. Hüpfen auf einer Stelle rum und bilden sich ein, das wäre Tanzen. Voll bescheuert.
Opa: Macht das der Justin auch?
Justin war der erste Name, der in diesem Gespräch fiel. Irgendwie überraschte mich dieser Name kaum. Jedoch erstaunte mich die Gelassenheit, wie der garantiert schon lange in Rente gegangene Opa den aggressiven Tonfall seiner Enkelin tolerierte. Die S-Bahn kam ins Rollen.
Justin macht gerne Cyber
Enkelin: Justin macht so einen Scheiß nicht. Der macht Cyber. Oh, schau mal. Krasse Graffitis.
Opa: Das sind die hässlichsten Graffiti, die ich je sah.
Enkelin: Der Yoshi, der Arbeitskollege von Justin, der sprayt auch.
Opa: Das sind ja nur Schriftzüge.
Enkelin: Der Totenschädel ist total gut geworden.
Opa: Nicht so schön. Was soll denn das überhaupt? Ich schreibe doch meinen Namen auch nicht überall hin. Im Gegenteil! Bei Unterschriften bin ich vorsichtig geworden.
Enkelin: Der Regenbogen gerade war auch sehr krass. Boar, guck mal. Heftige Outline.
Opa: Vandalismus.
Es muss mir entgangen sein, da ich das Gespräch mehr hören denn sehen konnte. Aber ich gehe davon aus, dass sie während der Unterhaltung permanent ihr Smartphone zur Hand hatte. Anders lässt sich der (erneut) schnelle und verwirrende Themenwechsel kaum erklären.
Enkelin: Schau mal. So tanzt Justin.
Opa: Aha. Aber man erkennt ja kaum was.
Enkelin, abgelenkt: Ich muss dir unbedingt Tokyo zeigen.
Opa: Oh, gibt es die noch?
Enkelin: Nein, von Tatanka! Boar, ich hasse Sonne.
Opa: Dabei haben die Regen angesagt. Deshalb auch der Schirm.
Enkelin: Regen? Bist du behindert? Die Sonne nervt doch jetzt schon.
Letzte Hoffnung Pommesbude
Diese Bemerkung ließ der Opa ohne Regung an sich abperlen. Möglicherweise hat es aus diesem Grund einen Regenschirm dabei, falls die Enkelin doch über die Stränge schlägt. Diese Gelassenheit imponierte mir. Wahrscheinlich wiegte er sich in der Sicherheit, dass sich die Blauhaarige eines Tages in einer ähnlichen Situation wiederfinden könnte, nur um sich von der Jugend den nächsten Steampunk-Nanotechnik-Roboto-Style erläutern zu lassen. Den Rest der Fahrt diskutierten sie noch über die Verkommenheit der hiesigen Bahnhöfe und dass eine gern frequentierte Pommesbude voraussichtlich anstehenden Bauarbeiten weichen muss. Die Enkelin kommentierte dies mit »Finde ich scheiße. Wieso machen die das? Boar, ich hass‘ die.«
Auch hier reagierte der Opa entspannt. Was will man gegen den Wandel der Zeit auch machen, erklärte ich mir sein Verhalten und stieg wenige Augenblicke später aus. Das ungleiche Gespann fuhr weiter ins Unbekannte und ich ertappte mich dabei, wie ich erst einmal Hardstyle googelte.
Kuschelhormon Oxytocin: Angst kann man nicht wegschmusen
Schmuse deine Sorgen weg. Dank des Kuschelhormons Oxytocin soll es möglich sein, mit Gekuschel glücklich zu werden. Seit wann machen volle U-Bahnen happy?
Ich versuche mir das vollen Ernstes auszumalen. Oxytocin soll also die Rettung sein. Der Alltagswahnsinn zermürbt mich und meinen Ruf als Therapie-Tourist habe ich schon lange durch. Bleibt demzufolge nur noch ein Kuschelmeeting. Ein Event, bei dem Ängste, Sorgen und alle sonstigen Probleme weggeschmust werden. Warum nicht einfach sämtliche Verschuldungen, nervige Deadlines und den Frust über laute Nachbarn bedeutungslos kuscheln?
Klingt bizarr und muss es auch sein. So sehe ich mich in einem undefinierbaren Haufen voller Jogginghosenträger mit einer kontroversen Vorstellung von Hygiene, wobei ich diese Situation auch in der Berliner U-Bahn haben kann. Dieses Kuschelhormon, das sogenannte Oxytocin, soll angeblich glücklich machen? Wer sich einmal die Mühe macht und die angepissten Gesichter in den öffentlichen Verkehrsmitteln zählt, kann über diese Kuscheltheorie nur lachen.
Kuscheln wie bei Mama
Muttersöhnchen. So möchte ich sie am liebsten schimpfen, diesen Haufen Kuschler. Man stelle sich vor: die meisten Leute mit Ängsten, Sorgen und sonstigen Problemen sollen sich auf solchen Kuschelpartys schmusend von ihren Lasten befreien. Ironisch, wie die Realität häufig ist, basiert dieses Leid doch auf der Interaktion mit anderen Personen. Angefangen mit der Mutter, die einem die Kekse verweigert. Später nervt der Vater, weil ihm die Berufswahl des Nachwuchses nicht passt – und die Frisur erst recht nicht. Die Folge sind Unsicherheiten, schwaches Selbstwertgefühl und ein Abo auf Ritalin. In der Schule wird es auch nicht besser; Mitschüler hänseln und der Mathelehrer redet irgendeine Fremdsprache. Dieses Drama findet seiner Steigerung in der Universität. In diesem Lebensabschnitt eiert man orientierungslos von einem Drogenexzess zum nächsten und paukt zwischendurch ein wenig, obwohl man keine Ahnung hat, welche Kurse man überhaupt belegt hat. Absurder wird es nur noch bei der Partnerwahl. All die gerissenen Kondome auf der Rückbank und jene Telefonnummern, an die man sich nicht mehr erinnert, bestätigen nur die Vorurteile im Hinterkopf, die bereits die Eltern ansprachen: man hat auf voller Linie versagt.
Konsequenz: Kuscheln gehen. Man holt sich dieses Gefühl von fehlender Wärme und Geborgenheit wieder zurück, indem man flauschigen Körperkontakt austauscht. Das soll zur Ausschüttung des Kuschelhormons Oxytocin dienen, fast wie damals mit Mutti. Erwachsene Menschen holen sich auf so einem Kuschelmeeting die Portion Glückseligkeit in Form von Berührungen. Auf diese Art und Weise kann man es seinen Eltern noch einmal richtig beweisen, nach dem Motto: »Ich bin zwar 32 und habe nichts erreicht, aber hey – Hans-Günther reibt seinen Bauch an mir«. Wer soll da nicht glücklich werden? Doch gibt es auch dunkle Seiten des Kuschelhormons Oxytocin.
Kuscheln gegen den Krieg
Das Kuschelhormon triggert auch unsere schlechten Erinnerungen. In einer US-Studie wurde Oxytocin auch als »Hormon der negativen Erinnerung« betitelt. Das leuchtet ein. Dieses Gekuschel muss zwangsläufig an frühere Erlebnisse erinnern, in denen man sich geborgen fühlte. Im Laufe der Jahre verändert sich aber möglicherweise das Verhältnis zu der Person oder der Situation, bei/in der man sich wohl fühlte. Man denke da nur an all die Frauen, die in jungen Jahren ihren Vater heiraten wollten und ihn am Ende verfluchten, weil er alle Schwiegersohn-Kandidaten vergraulte.
Ohnehin ist es fraglich, ob die Ausschüttung von Oxytocin so positiv ist, wie behauptet wird. Angeblich soll das Kuschelhormon ja schmerzlindernd wirken und sogar Hilfsbereitschaft wecken und Vertrauen stärken. Ein totaler Selbstwertgefühlbooster. Jedoch zweifeln immer mehr Wissenschafter an diese Aussagen und vermuten eine kleine Imagekampagne, die der Geldmaschine Wellness in die Hände spielt.
Man kann Alltagsscheiß nicht wegschmusen. Man kann auch nicht Rassismus, Korruption, Terror, den Klimawandel und die Rechnung der Autowerkstatt wegkuscheln. Bis ich die bezahlt habe, muss ich wieder U-Bahn fahren. Seltsam, irgendwie macht mich diese Vorstellung nicht glücklich.
Photo: 155/365. FREE! by Denise P.S., CC 2.0